# taz.de -- Filmfestival San Sebastian: Die Hexen haben alles im Griff | |
> Ein schlechtes Kinojahr und ein gutes Festival: Der Psychokrieg der | |
> Geschlechter tobt weiter in spanischen Filmen. | |
Bild: Still aus „Las brujas de Zugarramurdi“ von Alex de la Iglesia. | |
Was haben mittelalterliche Hexen, Marlene Dietrich und Angela Merkel | |
gemeinsam? Sie alle tauchen im Vorspann von Álex de la Iglesias neuem Film | |
„Las brujas de Zugarramurdi“ auf, einer brachialen Horrorkomödie über eine | |
Gruppe benachteiligter Männer, die nach einem Juwelenraub in die Fänge von | |
Hexen geraten. Soll die Assoziationskette zu Beginn nur ein platter Scherz | |
sein? Auf der Premiere beim Filmfest im baskischen San Sebastián wurde beim | |
Anblick Merkels jedenfalls lautstark gejohlt, viele krisengeschüttelte | |
Spanier sehen in der deutschen Kanzlerin gern das personifizierte Böse. | |
Dabei gilt de la Iglesia spätestens seit „Mad Circus – Eine Ballade von | |
Liebe und Tod“, der haarsträubenden Abrechnung mit der Franco-Ära, als | |
hellsichtiger Kommentator, der die spanischen Verhältnisse gerne mit der | |
Axt seziert. Der Anfang verspricht dann auch eine rabaukige Abrechnung mit | |
Geschlechterklischees, die Männer sind allesamt erbärmliche Trottel, die | |
sich von den Frauen übervorteilt fühlen. Die von einer grandiosen Carmen | |
Maura angeführten, männerfressenden Hexen dagegen haben scheinbar alles im | |
Griff. Doch leider sind de la Iglesias Frauenfiguren bald ebenso | |
selbstmitleidig wie die männlichen Protagonisten. | |
Ein echter Augenöffner war dagegen der Dokumentarfilm „The Basque Swastika“ | |
von Alfonso Andrés und Javier Barajas über das Interesse der Nazis am | |
Baskenland. Ausgangspunkt war der Fund eines 12-minütigen Kulturfilms des | |
Nazipropagandafilmers Herbert Brieger, der mitten im Zweiten Weltkrieg das | |
Bild eines gesunden, fleißigen Bauernvolks mit jahrhundertealten | |
Traditionen zeichnete. Hintergrund waren die Pläne, nach dem Endsieg ein | |
Europa mit halbautonomen Gebieten für jene Völker zu schaffen, die im Sinne | |
der nationalsozialistischen Rassenideologie einen Sonderstatus eingeräumt | |
bekommen könnten. | |
Offensichtlich gefiel ihnen auch das baskische Nationalsymbol Lauburu, das | |
damals dem Hakenkreuz der Nazis zum Verwechseln ähnlich sah und dessen | |
Ecken nach Kriegsende abgerundet wurden. | |
Die Filmemacher haben bei ihren Recherchen Erstaunliches zutage gefördert, | |
etwa wie sehr sich manche baskischen Separatisten an Hitler anbiederten, | |
weil sie sich im Falle eines Nazisiegs gegen Franco absichern wollten. Die | |
Doku stiftet seit der Aufführung vergangene Woche Unruhe unter den | |
baskischen Nationalisten, die diesen Teil ihrer Geschichte lieber vergessen | |
hätten. | |
## Maßgeschneidertes Doppelleben | |
Von der Krise war in den starken spanischen Wettbewerbsbeiträgen selbst | |
nicht viel zu spüren, stattdessen ging es meist um Psychokriege zwischen | |
den Geschlechtern. In Manuel Martín Cuencas subtilem Thriller „Caníbal“ | |
führt ein Maßschneider in Málaga ein nach Außen überkorrektes Doppelleben. | |
Nachts geht er auf Frauenjagd, das Fleisch seiner Opfer verspeist er. | |
Erklärt wird sein psychopathisches Treiben nicht, aber man ahnt: Da muss | |
ihm eine Frau wohl mal sehr weh getan haben. | |
Von einer bipolaren jungen Frau, die sich in bisweilen schwer erträglichen | |
Szenen immer wieder selbst verletzt, handelt die beklemmende Studie „La | |
herida“ (Die Wunde). Hauptdarstellerin Marián Alvárez erhielt für diese | |
Tour de Force völlig zu Recht den Preis als beste Schauspielerin und | |
Regisseur Fernando Franco den Sonderpreis der Jury. | |
## Homophobe Attitüde | |
Ein echter Crowdpleaser war dagegen David Truebas belangloser „Vivir es | |
fácil con los ojos cerrados“ (Das Leben ist einfach mit geschlossenen | |
Augen), eine Retrokomödie über einen Beatles liebenden Lehrer, der 1966 | |
versucht, sein Idol John Lennon bei den Dreharbeiten zu „Wie ich den Krieg | |
gewann“ in Almería zu treffen. Die Jury unter Vorsitz des amerikanischen | |
Independentregisseurs Todd Haynes hat sie zum Glück ignoriert und | |
stattdessen einen Film aus Venezuela mit der Goldenen Muschel für den | |
besten Film ausgezeichnet. | |
Der Held in Mariana Rondóns improvisierten Drama „Pelo Malo“ (Schlechtes | |
Haar) ist der neunjährige Junior, dessen alleinerziehende Mutter verbittert | |
versucht, ihren chaotischen Alltag in den Griff zu bekommen. Ihre größte | |
Sorge ist Juniors Art, die so gar nicht in ihr klassisches Männerbild | |
passt. Seine Schwärmerei für den Nachbarsjungen ist ihr ein Dorn im Auge. | |
Rondón verknüpft die homophobe Attitüde der Mutter unaufdringlich mit einem | |
Porträt der venezolanischen Gesellschaft. | |
## Sparzwang und Sponsoren | |
Das dritte Jahr von Festivalleiter José Luis Rebordinos war kein leichtes. | |
Nach der starbesetzten letzten Ausgabe wurde diesmal trotz starker | |
Kürzungen sogar eine neue Sektion mit Actionsportfilmen gestemmt. Noch sind | |
die Zuschauerzahlen nicht ausgewertet, doch hat Rebordinos bereits | |
angekündigt, dass womöglich die renommierten, aber weniger erfolgreichen | |
Retrospektiven dem Sparzwang zum Opfer fallen werden. Bei knappen | |
Staatskassen werden auch in San Sebastián die Sponsoren immer | |
einflussreicher. Der Zuschauerpreis wurde in diesem Jahr bereits nach dem | |
Hauptsponsor benannt. | |
Auch die spanische Filmindustrie hat zu kämpfen. Nachdem im vergangenen | |
Jahr nicht nur die Fördermittel drastisch gesenkt wurden, sondern auch die | |
Mehrwertsteuer auf Kinoeintrittskarten von 8 auf 21 Prozent erhöht wurde, | |
könnte 2013 als das bislang schlechteste Kinojahr in die Geschichte | |
eingehen. In den ersten sechs Monaten waren sechs der neun | |
besucherschwächsten Wochenenden seit Beginn der Zählung zu verbuchen. Ein | |
Festival wie San Sebastián, immerhin die Nummer vier nach Cannes, Berlin | |
und Venedig, bleibt deshalb dringend notwendig. Als Plattform, aber auch | |
als Förderer. | |
30 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Thomas Abeltshauser | |
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