# taz.de -- Leonie Krippendorffs Film „Looping“: Männer machen krank | |
> Leonie Krippendorffs Debütdrama „Looping“ weist seine Protagonistinnen in | |
> die Psychiatrie ein. In der Isolation sind sie glücklich. Vorerst. | |
Bild: Leila, Frenja und Ann | |
Psychische Probleme sind eine Seltenheit im deutschen Kino. Und wenn sie | |
gezeigt werden, dann oft verpackt in Witze wie in Til Schweigers „Barfuss“ | |
oder auf die Spitze getrieben wie im Exorzismus-Drama „Requiem“. Vielleicht | |
liegt es daran, dass Geschichten über Angstzustände und Depressionen nur | |
schwer zu erzählen sind. Sie haben keine Pointe. Diese Art Stoff ist | |
anscheinend nichts für die große Leinwand – dabei ist das Kino der beste | |
Ort dafür. | |
Leonie Krippendorff weiß das. Die drei Protagonistinnen ihres Debüts | |
„Looping“ treffen in einer psychiatrischen Klinik am Wattenmeer | |
aufeinander. Sie lernen sich kennen. Sie werden Freunde, Vertraute, | |
Partner. Und für kurze Zeit beinahe glücklich. Um begreiflich zu machen, | |
warum ihnen dieses Glücklichsein so schwerfällt, schaut der Film zurück. | |
In Minute 1 steht da Leila. Die Kamera biegt mit der Neunzehnjährigen um | |
Straßenecken, begleitet sie in ein Stripteaselokal, zeigt, wie sie mit | |
halbgeleerter Wodkaflasche durch die Stadt läuft. Kurze Zeit später drückt | |
ein Mann ihr Gesicht auf den Beifahrersitz seines Lkw. In Minute 42 schaut | |
Frenja durch blaue Augen an die Decke ihrer Altbauwohnung – als Mutter, | |
Ehefrau, Freundin macht sie es immer allen recht. Nachts kotzt sie heimlich | |
im Bad. Dann ist da Ann. Sie hat die schwierigste Vergangenheit von allen. | |
Wahrscheinlich wartet der Film deshalb bis zum Schluss, um sie zu erzählen. | |
Im Jahr 2014 wurden 1.238.830 Fälle psychischer Erkrankungen und von | |
Verhaltensstörungen in Deutschland stationär behandelt. Im Film wie in der | |
Realität kann es dafür traumatisierende Auslöser geben: Vergewaltigung und | |
Misshandlung. Oft sind es aber gesellschaftliche, inneren Druck aufbauende | |
Strukturen – Job, Familie, Beziehung –, die zu Ängsten führen. | |
## Niemand fliegt übers Kuckucksnest | |
„Für 'ne Weile einen geregelten Alltag erleben, das reicht ja schon | |
manchmal“, sagt eine Ärztin im Film und verschwindet aus ihm. In „Looping�… | |
gibt es keine streberhaften Therapeuten, keinen Seelenstriptease im | |
Sitzkreis, keine unter der Zunge versteckten Tabletten – keine Klischees. | |
Niemand fliegt übers Kuckucksnest. | |
Denn dieser Film ist mehr, und doch eines ganz bestimmt: ein Frauenfilm. | |
Die Klinik ist ein durch und durch männerfreier Ort. In den Rückblenden | |
stehen vor allem sie, sei es durch Kraft, Alter oder Ego, für die | |
krankmachenden Strukturen. Die Frauen sind Opfer und bleiben es bis zuletzt | |
– „geheilt“ wird keine von ihnen. Das kann man kritisieren, „Looping“… | |
nicht unbedingt das, was man einen feministischen Film nennen würde. | |
„Es nervt mich, dass selbstbewusste Frauen immer stark sein müssen. Das ist | |
ein sehr veraltetes feministisches Frauenbild. Und unehrlich“, sagt | |
Regisseurin Krippendorff dazu. | |
## Wo warst du? | |
Stattdessen entsteht eine vorerst sichere Parallelwelt – die allein vom | |
Cast lebt. Jella Haase (Leila) ist der Teenager mit Quietschstimme aus dem | |
Kinofilm „Fack ju Göhte“, hier wird sie durch ihr unverstelltes Spiel zum | |
roten Faden der Geschichte. So entwickelt sich langsam eine intimer | |
werdende Gruppendynamik – dafür muss gar nicht viel passieren: Die drei | |
laufen am Strand entlang, liegen zusammen im Bett, schwimmen, reden, | |
knutschen, kiffen. Der Film lebt von Gesten, Blicken und Berührungen, die | |
das ausstrahlen, was die Protagonisten so dringend brauchen: Ruhe. | |
Nur selten, dann aber plötzlich, wird Reibung erzeugt: wenn Leila unter | |
Wasser gedrückt wird, wenn die Neunzehnjährige allein im Bett weint oder | |
eine der drei verschwindet und der Rest ratlos auf die vernebelte Nordsee | |
starrt. Zwischendurch werden dann Sätze gesagt, die noch eine Weile im Raum | |
stehen bleiben. „Wo warst du?“, oder „Du musst etwas versprechen.“ | |
Krippendorffs blasenartige Figurenkonstellation bietet die nötige Zeit, um | |
Vorurteile über solche Erkrankungen zu entkräften. Und sie als das zu | |
zeigen, was sie sind: langwierige, komplizierte, unabgeschlossene Prozesse. | |
Ohne Pointe. Diese Entscheidung der Filmemacherin kann man öde finden. Oder | |
klug. Denn das Kino tut hier, was es tun sollte. Es zeigt die Leute da, wo | |
sie am schönsten und schlimmsten sind: ganz allein. | |
25 Aug 2016 | |
## AUTOREN | |
Christine Stöckel | |
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