| # taz.de -- Lebensmittelhilfe in der Coronakrise: Für Kinder bleibt nur Charity | |
| > Spendenfinanziert verköstigt ein Hamburger Verein arme Kinder. Dafür | |
| > staatliches Geld zu verwenden, wird in Mecklenburg-Vorpommern versucht. | |
| Bild: Schoko-Osterhasen mit Schutzmaske bekommen bedürftige Kinder nicht – e… | |
| Hamburg taz | Während die Wirtschaft [1][in der Coronakrise] mit Milliarden | |
| gestützt wird, sieht es so aus, als könnte der Staat bei Leistungen für | |
| arme Kindern sogar sparen: Seit die Schulen geschlossen sind, fällt dort | |
| das für bedürftige Kinder kostenlose Essen weg. Eine „kinderfeindliche“ | |
| Auslegung des Gesetzes kritisiert die [2][Deutsche Kinderhilfe]. | |
| In Hamburg starteten besorgte Bürger, darunter Familienrichter, Anfang | |
| April eine rein über Spenden finanzierte Aktion. [3][Unter dem Namen | |
| „Mittagsrakete“] bekommen über 1.600 Kinder von einem Caterer fertig | |
| zubereitetes Essen, Obst und Gemüse vor die Wohnung gestellt. „Der Ansturm | |
| ist auf eine traurige Art überwältigend“, sagt Esther Rosenboom, die | |
| Vorsitzende des Vereins. Der Bedarf sei so groß, dass sie dringend mehr | |
| Spenden brauche. | |
| Der Staat zahlt nichts dazu. Dabei gibt es die bewilligten Bundesmittel für | |
| das kostenlose Mittagessen aus dem „Bildungs- und Teilhabepaket“ (BuT). | |
| Darauf Anspruch haben Kinder, die von Hartz IV oder anderen | |
| Sozialleistungen leben oder deren Eltern zu wenig Geld haben, um ihre | |
| Bedürfnisse nach Teilhabe zu decken. [4][Allein in Hamburg sind das über | |
| 70.000]. | |
| Der Verein bedauert auf seiner Homepage, er könnte mit Spenden „leider | |
| nicht für alle Kinder der Stadt das Essen ersetzen“. Die „Mittagsrakete“ | |
| sei deshalb für Kinder, bei denen das Jugendamt oder ein anderer Träger | |
| Sorge hat, dass sie „aufgrund einer besonderen Familienkonstellation“ nicht | |
| ausreichend mit gesunder Nahrung versorgt werden. Eine knappe Familienkasse | |
| allein reicht also nicht aus, um Hilfe zu bekommen. | |
| ## Helfer verteilen 1.000 Beutel mit Nudeln, Reis und Obst | |
| Indes startete in Mecklenburg-Vorpommern die Deutsche Kinderhilfe mit dem | |
| Roten Kreuz ein Pilotprojekt, von der alle BuT-berechtigten Kinder | |
| profitieren sollten. Im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, wo rund | |
| 8.000 finanziell bedürftige Kinder leben, verteilten sie am Mittwoch in | |
| vier Städten „Verpflegungsbeutel“ mit Kartoffeln, Äpfeln, Gurken, Rotkohl, | |
| Nudeln, Reis, Milch, Jogurt und sogar ein paar Ostereiern. Da noch etwa die | |
| Hälfte der 1.000 Beutel übrig ist, wird die Aktion „Kinderessen für alle“ | |
| am 15. April wiederholt. | |
| Auch wenn die Schulen geschlossen sind, die Kinder hätten „trotzdem Hunger | |
| und nicht selten ist der Kühlschrank und die Kasse in ihren Familien leer“, | |
| hieß es in der Ankündigung. Dabei seien die Mittel des Bundes da und | |
| müssten „sogar zurückfließen, wenn sie nicht an die bedürftigen Kinder | |
| ausgegeben wurden“. | |
| Der CDU-Politiker Marcus Weinberg fordert nun, Hamburg solle dem Beispiel | |
| der Kinderhilfe folgen und das Modell einer Lebensmittelausgabe aus den | |
| bereitstehenden Mitteln des Bundes prüfen. „Vielen dieser Familien stehen | |
| nur wenig finanzielle Mittel für die tägliche Versorgung der Kinder zur | |
| Verfügung und sie sind auf diese Unterstützung angewiesen“, [5][so der | |
| familienpolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion]. Er habe sich | |
| deshalb mit einem Brief an Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) | |
| gewandt. | |
| Die wollte sich zu dem Brief nicht äußern. Ihr Sprecher hatte der taz aber | |
| schon vor einer Woche, als die „Mittagsrakete“ startete, mitgeteilt, dass | |
| die BuT-Mittel den Kindern lediglich für eine [6][„gemeinschaftliche“ | |
| Mahlzeit in Schule oder Kita] zustünden. Sprich: Sind diese Einrichtungen | |
| geschlossen, gibt es eben kein Essen. | |
| ## Gutscheine könnten Schulessen ersetzen | |
| Diese strenge Auslegung des Paragrafen 28 im Sozialgesetzbuch II stellt | |
| auch die Betroffenen in Mecklenburg-Vorpommern vor Probleme. „Unsere | |
| Pressemeldung war schon raus, da kamen Bedenken aus dem Sozialministerium, | |
| die Aktion könne nicht über BuT-Mittel bezahlt werden“, berichtet Rainer | |
| Becker, der Vorsitzende der Deutschen Kinderhilfe. „Wir haben die Aktion | |
| aber trotzdem durchgezogen, um auf Bundesebene eine Diskussion anzustoßen“, | |
| sagt Becker. „Es gibt auch unter Juristen eine kinderfreundliche und eine | |
| kinderfeindliche Auslegung dieses Paragrafen. Ich bin ganz klar der | |
| Auffassung, dass es eine Kompensation der ausfallenden Mahlzeiten geben | |
| muss.“ | |
| Das Schweriner Sozialministerium teilt auf taz-Nachfrage mit, die Aktion | |
| könne nach jetzigem Stand nicht aus BuT-Mitteln bezahlt werden. | |
| Sozialministerin Stefanie Drese (SPD) habe aber einen Brief an | |
| Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) geschrieben, mit der Bitte, | |
| während der Coronakrise eine Lösung zu finden, etwa in Form von Gutscheinen | |
| für die Eltern. „Da ist Bewegung drin“, sagt ein Sprecher. | |
| Der Gutschein-Idee schließt sich nun auch Becker in einem Brief an den | |
| Bundesminister an. „In Krisenzeiten wie jetzt sollten wir Eltern Gutscheine | |
| für Lebensmittel aushändigen, mit denen sie selber einkaufen können“. | |
| Solange es offene Läden gebe, sei dies nicht originäre Aufgabe der | |
| Hilfsorganisationen. | |
| Das Bundesarbeitsministerium beantwortet die Frage, ob BuT-berechtigte | |
| Kinder während des Shutdown einen Ersatz bekommen, nur allgemein. Man sei | |
| im „engen Austausch“ mit anderen Ressorts und den Ländern, um die sozialen | |
| Härten der Coronakrise abzufedern. | |
| Derweil stellt sich ganz praktisch die Frage, wer den Inhalt der 1.000 | |
| Beutel bezahlt, die den Helfern aus den Händen gerissen werden. Eine | |
| Sprecherin des Landkreises Seenplatte, sagt, ob dafür BuT-Mittel verwendet | |
| werden können, „ist noch nicht klar“. Selber aus Haushaltsmitteln zahle der | |
| Landkreis die Lebensmittel nicht. Doch unbenommen davon bemühe sich der | |
| Kreis „um Spenden“. | |
| Aktualisierung der Redaktion: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil gab nach | |
| erscheinen dieses Berichts am 16. April in Potsdam bekannt, dass Kommunen | |
| Bundesmittel auch dafür nutzen können, bedürftigen Kindern ein kostenloses | |
| Mittagessen nach Hause zu liefern. Sein Ministerium hat am 20. März alle | |
| Kommunen darüber in einem Rundbrief informiert, der der taz vorliegt. Nicht | |
| vom Bund übernommen werden demnach die Kosten der Auslieferung. | |
| 13 Apr 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /!t5660746/ | |
| [2] https://www.kindervertretung.de/ | |
| [3] https://www.mittagsrakete.de/ | |
| [4] /Probleme-durch-Wegfall-von-Schulessen/!5672655/ | |
| [5] https://www.marcusweinberg.de/images/aktuelles/2020/PM-Marcus_Weinberg-Kind… | |
| [6] /Isolation-wegen-Schulschliessungen/!5673405&s=Kutter/ | |
| ## AUTOREN | |
| Kaija Kutter | |
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