# taz.de -- „League of Legends“-Weltmeisterschaft: Mehr als nur ein Spiel | |
> Südkorea ist das Paradies für E-Sport. Professionelle Computerspieler | |
> verdienen hier wie Fußballstars – und trainieren ebenso hart für ihren | |
> Erfolg. | |
Bild: Über 26.000 Fans verfolgten das Finale im Stadion. Die Tickets waren fr�… | |
INCHEON taz | Song Eui-jin inspiziert fachmännisch seine Maus, streckt | |
seine Finger mehrmals durch, renkt kreisförmig seinen Hals. Ein letztes | |
Vorbereiten vor dem großen Match. In der schalldichten Spielerkabine hört | |
der 21-jährige Koreaner nicht die 26.000 Fans auf den Tribünen, die ihn mit | |
martialischen Schlachtrufen und roten Leuchtstäben anfeuern. An diesem | |
Samstagabend im Munhak-Fußballstadion von Incheon wird der schüchtern | |
wirkende Junge mit der fahlen Haut zum Shootingstar „Rookie“ – dem besten | |
„League of Legends“ (LoL)-Spieler seiner Generation. | |
„Heute tritt nicht David gegen Goliath an, es stehen viel mehr zwei | |
Goliaths auf dem Feld“, ruft der Sportkommentator überschwänglich in sein | |
Headset. Auf der Bühne knallt ein letztes Feuerwerk in den Himmel, bevor | |
auf den absurd riesigen Bildschirmen ein Countdown heruntergezählt wird: | |
Das Spiel beginnt. | |
[1][Das Finale der LoL-Weltmeisterschaft] ist die wichtigste | |
E-Sport-Veranstaltung, und sie steht einer herkömmlichen Sportveranstaltung | |
in nichts nach: Wenn das chinesische Team Invictus Gaming gegen die | |
europäischen Spieler von Fnatic antritt, geht es schließlich um ein | |
Preisgeld von 2,13 Millionen US-Dollar. Die Computerspieler haben sich | |
zunächst aus vierzehn verschiedenen Regionalligen qualifiziert, später in | |
einer einmonatigen K.-o.-Runde in Südkorea gegen Teams aus allen | |
Kontinenten durchgesetzt. | |
Als „Kampf zweier Welten“ wird das Match von den Veranstaltern beworben – | |
schließlich hat zum ersten Mal ein europäisches Team die Chance, die | |
ostasiatische E-Sport-Dominanz zu durchbrechen. „Wir waren extrem | |
enttäuscht, dass die koreanischen Teams bereits im Viertelfinale | |
ausgeschieden sind“, sagt Yoon Young-hak vom Veranstalter Riot Games Korea: | |
„In den letzten Jahren hat Südkorea schließlich jede Weltmeisterschaft | |
dominiert“. Sorgen über schleppende Ticketverkäufe erwiesen sich jedoch als | |
unbegründet: Früh waren die Tickets ausverkauft, bis zu 50 Euro haben die | |
Fans dafür gezahlt. | |
## Von Turnier zu Turnier | |
[2][Beim Fantasy-Strategiespiel „League of Legends“] treten zwei Teams aus | |
jeweils fünf Spielern gegeneinander an. Wie im Fußball gibt es mehrere | |
strategische Positionen, sie heißen etwa Top Laner oder Jungler. Taktisches | |
Feingefühl und extreme Reaktionsschnelligkeit sind gefordert, die einzelnen | |
Abläufe sind derart einstudiert, dass der Spielverlauf für Außenstehende | |
nur mehr schwer nachzuvollziehen ist – eben Hochleistungssport mit | |
Computertastatur und Maus. | |
„Je älter man wird, desto langsamer werden die Reflexe. Spätestens mit Ende | |
20 gehört man schon zum alten Eisen – das ist ähnlich wie beim Fußball“, | |
sagt Timo Verdeil. Mit seinem riesigen Teleobjektiv im Schlepptau und dem | |
Smartphone in der Hand, schreitet der 22-jährige E-Sport-Journalist mit | |
riesigen Schritten vom Pressezentrum durch die Stadiongänge. | |
Verdeil hat bereits während seiner Schulzeit in der südfranzösischen | |
Provinz gewusst, dass er mit seiner Leidenschaft für die Computerspielszene | |
auch eine berufliche Laufbahn aufbauen kann. Seither reist er als E-Sport | |
Reporter für die Zeitung L’Équipe um die Welt, von Turnier zu Turnier. | |
„Meine Mutter kann das immer noch nicht verstehen, was ich überhaupt mache. | |
Sie hätte es lieber gehabt, dass ich was ordentliches studiere“, sagt | |
Verdeil: „Weil sie denkt, dass E-Sport ein Trend ist, der schon bald wieder | |
vergeht.“ Seither ist die Industrie jedoch immer weiter angewachsen. | |
## Staatliche Investitionen | |
Vor allem die Spieler haben sich zunehmend professionalisiert. Die meisten | |
trainieren in eigenen Team-Wohnhäusern sieben Tage die Woche, mindestens | |
zehn Stunden täglich. Sie werden von großen Firmen gesponsert, ihr | |
Verdienst steht professionellen Leistungssportlern in nichts nach. | |
Südkorea gilt dabei zweifelsohne als Geburtsort für das professionelle | |
Computerspielen. Hier ist E-Sport längst weit mehr als nur ein Hobby für | |
Teenager in Kinderzimmern: Eine hochprofitable Industrie, die laut einer | |
Studie des südkoreanischen Kulturministeriums einen Mehrwert von 76 | |
Millionen Dollar generiert. | |
Der E-Sport-Boom hat vor allem auch mit den massiven staatlichen | |
Investitionen zu tun: Bereits Mitte der Neunzigerjahre erkannte die | |
südkoreanische Regierung das Potenzial des Online-Zeitalters. 1995 | |
erarbeitete sie einen Zehn-Jahres-Plan zum Ausbau der | |
Breitbandverbindungen. Heute verfügt das Land am Han-Fluss über die | |
schnellsten Internetleitungen der Welt, flächendeckendes WiFi in urbanen | |
Räumen und eine überaus technikaffine Bevölkerung. | |
Bei der Digitalisierung hatte Südkorea von Beginn an die besten | |
Voraussetzungen: ein dicht besiedeltes Land auf kleiner Fläche und eine | |
hochurbane Bevölkerung. Seit der Jahrtausendwende eröffneten Internetcafés | |
zu Tausenden in der Hauptstadt Seoul. Dort wurde schon bald kompetitiv | |
gegeneinander gezockt. Es war die Geburtsstunde des elektronischen | |
Leistungssports. Es entstanden erste E-Sport-Stadien, Fernsehsender | |
exklusiv für E-Sport und Trainingszentren für die besten Teams. | |
## Wie Heiligtümer | |
Die Bedeutung der Branche für den südkoreanischen Staat zeigt sich bei der | |
Eröffnung der ersten E-Sport-Hall of Fame: Das Kulturministerium hat ins | |
E-Sport-Zentrum Sangam am westlichen Stadtrand von Seoul geladen, | |
Regierungsbeamte in Anzug und Krawatte halten im Blitzlicht der über 100 | |
Fotografen floskelhafte Reden. | |
Einem Museum gleich wird hier auf Wandtafeln die Historie des | |
Computerspielens in Südkorea erklärt, in Vitrinen sind die Keyboards und | |
Trikots der besten Spieler wie Heiligtümer aufgebahrt. Als Testimonial ist | |
an diesem Spätsommertag ein ganz besonderer Gast gekommen: „Faker“ gilt als | |
bester LoL-Spieler aller Zeiten. | |
Mit seiner runden Nickelbrille, Pilzfrisur und Collegejacke sieht Lee | |
Sang-hyeok zwar wie ein ganz gewöhnlicher Unistudent aus. Unter seinem | |
600.000 Fans gilt der Südkoreaner jedoch als „Gott“, der bereits dreimal | |
die Weltmeisterschaft des Fantasy-Spiels gewonnen hat. Gesponsert wird | |
Faker von SKT, einem der großen Telekommunikationsanbieter Südkoreas. | |
Geschätztes Jahreseinkommen: drei Millionen US-Dollar. Mit starrer Mine | |
sagt er vor den anwesenden Journalisten: „Ich fühle die Verantwortung für | |
mein Land, unsere Industrie auf die nächste Stufe zu heben“. | |
Nur wenige Wochen später sorgte Faker für die Überraschung des Jahres – | |
indem sein Team die Qualifikation für die LoL-Meisterschaft verpasste. | |
Seither liegt die Hoffnung auf Landsmann Rookie, das Erbe von Faker | |
fortzuführen. | |
## Star-Allüren | |
Dieser zeigt beim Finale im Munhak Fußballstadion von Incheon eine | |
tadellose Leistung. Nach knapp zwei Stunden hat der Clan Invictus Gaming | |
das Match mit einem triumphalen 3:0 für sich entschieden. In einer | |
Abschlusszeremonie mit Konfettidusche und spektakulärer Lichtperformance | |
huschen die Spieler jubelnd auf die Bühne, um die silberne Pokaltrophäe | |
entgegenzunehmen – nur Rookie ist in Freudentränen aufgelöst, die der | |
21-jährige mit seinen Händen vor den Blicken der Kameras zu verstecken | |
versucht. | |
Dass die europäischen Spieler so sang- und klanglos untergegangen sind, hat | |
– so munkelt man im Pressezelt – vor allem mit den Ego-Problemen des Teams | |
zu tun. Fnatics bester Spieler, der 24-jährige Franzose sOAZ, wurde an | |
diesem denkwürdigen Abend erst in der dritten und damit letzten Partie | |
eingewechselt. Er gilt als Diva, manche sagen ihm Star-Allüren nach. Im | |
Sommer soll er nach einem missratenen Spiel seine Faust wutentbrannt gegen | |
eine Wand geschlagen haben, so dass er mehrere Wochen pausieren musste. | |
In der koreanischen Novemberkälte wartet Timo Verdeil auf die | |
Pressekonferenz mit dem chinesischen Siegerteam. Er spricht von einem | |
Paradigmenwechsel der LoL-E-Sport-Szene, der sich an diesem Abend vollzogen | |
hat: „In Sachen Spielergehälter und Investorengeldern ist China längst an | |
Korea vorbeigezogen“, sagt er. | |
Auch die Statistiken am nächsten Morgen geben ihm recht: Über 205 Millionen | |
Zuschauer haben das Finale im Internet aus verfolgt – davon 203 Millionen | |
User aus China. | |
4 Nov 2018 | |
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## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
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