# taz.de -- Kyjiw statt Kiew: Ukrainisch für Fortgeschrittene | |
> Die taz nutzt nun die ukrainische Schreibweise für Kyjiw anstelle der | |
> russischen. Dass nur wenige hier sie kennen, liegt an fehlendem Wissen | |
> über die Kultur. | |
Bild: Das Unabhängigkeitsdenkmal der Ukraine in Kyjiw | |
Es sind nur ein paar Buchstaben – und doch ist es viel mehr. „Kyjiw“ | |
schreibt die taz neuerdings, wenn es um die ukrainische Hauptstadt geht. | |
Nicht mehr „Kiew“ wie bisher. Diese Änderung der Schreibweise ist Anlass | |
für heftige Diskussionen, auch in der Redaktion. Aber die Entscheidung dazu | |
wurde bewusst getroffen. Sie ist auch ein politisches Statement. | |
Um zu verstehen, worum es in der Debatte geht, hilft es, sich ein wenig mit | |
der ukrainischen Sprache zu beschäftigen. Ukrainisch ist, wie Russisch und | |
Belarussisch, eine ostslawische Sprache. Alle drei werden mit kyrillischen | |
Buchstaben geschrieben. Bei der Transkription, also der Umschrift von | |
kyrillischer in lateinische Schrift, gibt es [1][feste Regeln]. | |
„Kyjiw“ ist die Umschrift des ukrainischen Namens der Stadt (Київ), „… | |
die des russischen (Kиев). Manchmal wird bei der Transkription noch ein „j… | |
eingefügt, wie zum Beispiel beim russischen Schriftsteller Dostojewski. Bei | |
„Kiew“ hat sich die Schreibung ohne „j“ durchgesetzt. | |
Die Ukraine ist ein mehrsprachiges Land, in dem neben Ukrainisch und | |
Russisch auch etwa Ungarisch und Tatarisch gesprochen wird. Je nachdem, | |
welche Sprache man verwendet, heißen die Städte auf Ukrainisch zum Beispiel | |
Lwiw, Charkiw, Dnipro und Mykolajiw, auf Russisch hingegen Lwow, Charkow, | |
Dnepro und Nikolajew. Manchmal sind die Unterschiede minimal, wie bei | |
„Odesa“ (russ. Odessa) oder dem Kohlegebiet Donbas (russ. Donbass). | |
Mariupol und Cherson hingegen heißen in beiden Sprachen gleich. | |
## Ein Dekolonisierungskrieg | |
Schon seit Jahren plädieren Menschen und Organisationen in der Ukraine für | |
die ukrainische Schreibweise ihrer Städtenamen im Ausland. Unter dem | |
Hashtag #KyivnotKiev gab es dazu 2018 sogar eine Kampagne des ukrainischen | |
Außenministeriums. In englischsprachigen Ländern hat sich „Kyiv“ bereits | |
durchgesetzt. In Deutschland hingegen gilt „Kiew“ häufig noch als der | |
„eingeführte“ Städtename. | |
Die Tatsache, dass die ukrainische Regierung so etwas überhaupt fordert, | |
zeigt, dass sie mit ihrer Sprachkampagne sehr bewusst darauf abzielt, sich | |
von der russischen Dominanz, auch der sprachlichen, zu lösen. Deshalb wird | |
auf ukrainischer Seite der derzeitige Krieg häufig als Befreiungs- bzw. | |
Dekolonisierungskrieg von der russischen Vorherrschaft gesehen. | |
Wenn die taz nun also „Kyjiw“ schreibt, tut sie das nicht, um den | |
ukrainischen Nationalismus zu unterstützen oder einen angeblich | |
„eingeführten“ Namen zu ändern, sondern um zu zeigen, dass sie das | |
Ukrainische als eigenständige Sprache wahrnimmt und akzeptiert. So, wie sie | |
auch schon lange Republik Moldau statt „Moldawien“ und seit 2020 Belarus | |
statt Weißrussland schreibt. | |
Dass ein Text wie dieser überhaupt geschrieben wird, liegt auch am | |
fehlenden öffentlichen Wissen über die Ukraine, ihre Sprache, Geschichte | |
und Kultur. | |
## Ukrainisch an Unis nur auf Anfängerniveau | |
Woran das eigentlich liegt, ist gar nicht so einfach zu erklären. Zwar kann | |
man an einem Dutzend deutscher Universitäten Ukrainisch lernen, allerdings | |
lediglich auf Anfängerniveau. Ein ukrainisch-deutsches Wörterbuch von einem | |
deutschen Verlag existiert nicht und ist auch nicht geplant. Der | |
Langenscheidt-Verlag begründete dies auf Anfrage der taz im Januar damit, | |
dass es sich um eine „Nischensprache“ handele. An der Universität | |
Frankfurt/Oder gibt es immerhin einen Lehrstuhl für „Entangled histories of | |
Ukraine“, an der Universität Greifswald eine Juniorprofessur für | |
Ukrainische Kulturwissenschaften und eine studienbegleitende | |
Zusatzausbildung in ukrainischer Sprache. Die Einsicht, dass es ein | |
Wissensdefizit in Bezug auf die Ukraine gibt, setzt sich außerhalb | |
akademischer Kreise erst seit 2022 wirklich durch. | |
Bis zum Ende des 2. Weltkriegs war das etwas anders. In Berlin gab es von | |
1926 bis 1945 sogar ein außeruniversitäres „Ukrainisches Wissenschaftliches | |
Institut“. Die Initiative dazu ging Anfang der 1920er Jahre von | |
Exilukrainern aus. Das Institut stand von Anfang an im Spannungsfeld | |
politischer Auseinandersetzungen und wurde nie in universitäre Strukturen | |
überführt. So blieb es hochschulpolitisch isoliert und stand nur | |
ukrainischsprachigen Wissenschaftlern und Stipendiaten offen. Während des | |
Kriegs bestand seine Arbeit dann auch nur noch aus Dienstleitungen für die | |
Politik, vor allem für das Außenpolitische Amt des Deutschen Reiches und | |
für die Wehrmacht. | |
Nach 1945 kam die Ukrainistik in Deutschland quasi vollständig zum | |
Erliegen. Wissen über ukrainische Geschichte wurde kaum vermittelt. Der | |
Schweizer Slawist und Osteuropahistoriker Andreas Kappeler, der sich | |
bereits seit den 1980er Jahren mit der Ukraine beschäftigt und unter | |
anderem 1994 die „Kleine Geschichte der Ukraine“ veröffentlichte, sagte in | |
einem Interview, das im Sommer 2022 in der Zeitschrift Osteuropa erschien: | |
„In den 1960er Jahren habe ich Geschichte und Slawistik an der Universität | |
Zürich studiert. Die Ukraine kam im Studium nicht vor. In der Slawistik | |
haben wir allenfalls gelernt, dass es ostslawische Sprachen gibt. (…) Ich | |
war fast 30 Jahre alt und mein Wissen über die Ukraine war praktisch null.“ | |
Susanne Frank, Professorin für Ostslawische Literaturen und Kulturen an der | |
Berliner Humboldt-Universität, erklärt auf Anfrage der taz, der Leitung sei | |
„erst 2022 klar geworden, das sie Ukrainisch brauche“. Nach dem Euro-Maidan | |
2014 etwa sei es nicht möglich gewesen, Geld für eine | |
Ukrainisch-Lektorenstelle zu bekommen. | |
Im November 2013 hatte die ukrainische Regierung auf russischen Druck ein | |
bereits unterschriftsreifes Assoziierungsabkommen mit der EU nicht | |
unterzeichnet. Die darauf folgenden Demonstrationen in Kyjiw gingen als | |
„Euromaidan“ in die ukrainische Geschichte ein. Im März 2014 folgte die | |
russische Annexion der Krim. | |
Doch nach 2014 stattete man nicht etwa die Fakultäten für Slawistik oder | |
Osteuropäische Geschichte besser aus. Die Ukrainistik an der Universität | |
Greifswald wollte man aus Kostengründen 2015 sogar gleich [2][ganz | |
abwickeln]. Stattdessen wurde mit finanzieller Unterstützung des | |
Auswärtigen Amtes 2016 das Zentrum für Osteuropa- und internationale | |
Studien ([3][ZOiS]) gegründet, ein Forschungsinstitut, das auch politische | |
Entscheidungsträger beraten soll. „Entweder gibt es kurzfristige | |
Förderungen oder Parallelgründungen, statt bestehende Strukturen sinnvoll | |
zu ergänzen“, resümiert Susanne Frank etwas resigniert. | |
Die Ukraine ist der größte Flächenstaat Europas mit bis Kriegsbeginn 40 | |
Millionen Menschen. Es ist die Tragik der Geschichte, dass es erst einen | |
Krieg brauchte, bis man sie im Westen endlich als eigenständigen Staat | |
wahrnimmt. | |
Gaby Coldewey ist Slawistin und hat u.a. in Odesa studiert. Dort standen | |
auch ein Ukrainisch-Sprachkurs und ein Seminar über ukrainische Literatur | |
auf dem Lehrplan. Bei der Rückkehr nach Deutschland hätte sie ihre | |
Kenntnisse gerne vertieft. Allein: Es scheiterte am fehlenden Angebot. | |
24 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://home.uni-leipzig.de/krueger/lehress/ukrain/ukraintranskript.pdf | |
[2] /Ukrainistik-an-der-Uni-Greifswald/!5215060 | |
[3] https://www.zois-berlin.de/ | |
## AUTOREN | |
Gaby Coldewey | |
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