# taz.de -- Tiere in der Ukraine: Tiger unter Beschuss | |
> Ob der gesprengte Damm oder tägliche Raketenangriffe: Der Krieg macht | |
> Tieren in der Ukraine zu schaffen. Das zeigt auch ein Besuch in Kyjiws | |
> Zoo. | |
Bild: Tigerdame Dalila aus dem Zoo von Charkiw ist nun in Kyjiw | |
Kyjiw taz | Horace genießt die Frühlingssonne. Im Sommer, wenn Kyjiw zu | |
einem bewohnten Backofen wird, bevorzugt er aber den Schatten. „Dann hängen | |
wir ein Sonnensegel für ihn auf“, erklärt Zoodirektor Kirilo Trantin. | |
Horace ist ein asiatischer Elefant. Vier Tonnen schwer und Kyjiws | |
gewichtigster Bewohner. Recht zielstrebig läuft er durch sein Freigehege in | |
der Mitte des Zoos. Er hat einen Apfel entdeckt, den Trantin vorher dort | |
hingeworfen hat. „Wir versuchen ihn zu beschäftigen. Er bekommt das Futter | |
nicht einfach vorgesetzt.“ | |
Vor ein paar Wochen hat Horace neues Spielzeug bekommen. In Elefantengröße: | |
Zwei Baumstämme und einen neun Tonnen schweren Felsbrocken. Am meisten | |
gefalle ihm, seine dicke Elefantenhaut daran zu reiben und die Stämme mit | |
seinen Stoßzähnen zu traktieren. Etwas Normalität, während in der Ukraine | |
Krieg herrscht und nicht nur Menschenleben beendet. | |
Nach der [1][Zerstörung des Kachowka-Staudamms] in der Südukraine leiden | |
auch viele Tiere unter den Überschwemmungen. In der Stadt Nowa Kachowka | |
soll ein Zoo mit etwa 300 Tieren überflutet worden sein, wie die Zeitung | |
Ukrajinska Prawda am Dienstag berichtete. Die Besitzerin gehe davon aus, | |
dass praktisch alle Tiere – darunter Affen, Esel und Ponys – bei der Flut | |
getötet worden seien, hieß es weiter. | |
Kyjiws Zoo hat einen harten Winter hinter sich. Ab Oktober hat Russland | |
versucht, den Widerstand der ukrainischen Bevölkerung mit Raketenangriffen | |
auf die zivile Infrastruktur zu brechen. Es gab Dutzende Großangriffe auf | |
Kraftwerke, Umspannwerke und Energienetze mit Marschflugkörpern und | |
Raketen. Zwar ging der Plan nicht auf, die Schäden waren trotzdem immens. | |
[2][Über Monate gab es in der Ukraine nicht genug Strom], weshalb die | |
Energieversorger immer wieder Teilen des Netzes den Saft abdrehen mussten. | |
Auch der Kyjiwer Zoo war betroffen. | |
## Heizmaterial wächst auf dem Areal | |
Trantin führt zum Heizhaus des Zoos. Hinter hochgewachsenen Pappeln ragen | |
zwei Schornsteine empor. In dem Gebäude wird das Wasser für die Heizungen | |
erhitzt. Allerdings werden die Pumpen elektrisch angetrieben. Beim Blackout | |
bleibt die Heizung also kalt. Inzwischen ist neben dem Gebäude ein | |
Generator auf einem Anhänger geparkt, blau und so groß wie ein Kleinwagen. | |
Gespendet von Partnerzoos aus der EU. „Der springt im Notfall ein.“ Aber in | |
den ersten Wochen des Winters musste man sich anders helfen. | |
Wie, das kann man bei Tony sehen, dem Gorilla. Er ist einer der | |
bekanntesten Bewohner des Zoos und lebt mit anderem Tieren aus tropischen | |
Teilen der Welt in einem speziellen Gebäude. Gegenüber lebt ein Krokodil, | |
nebenan eine Löwin. Dort hat Tony einen Innen- und einen Außenbereich nur | |
für sich und kann wechseln, wann er will. „An der Tür ist ein Sensor | |
angebracht.“ Bei 13 Grad Außentemperatur Ende April bleibt Tony aber lieber | |
drinnen. Durch die Panzerglasscheibe beobachtet er die Besucher und kratzt | |
sich die Stirn. | |
Zwischen den Segmenten der Scheibe steht ein schwarzer Metallkessel. | |
Ungefähr einen Meter lang und 80 Zentimeter hoch ist der Apparat. Von der | |
Oberseite führen zehn blechern schimmernde Schläuche in Tonys Gehege und | |
ein Schornstein zur Decke. Daneben liegen handliche Holzscheite bereit. | |
„Mit den Holzöfen haben wir die Gehege warmgehalten“, erklärt Trantin. Das | |
habe gut funktioniert. Der schwierigste Teil sei gewesen, den | |
Brandschutzbeauftragten zu überzeugen. | |
Beim Heizmaterial sitzt der Zoo an der Quelle. Auf dem Areal wachsen | |
allerlei Bäume. Man müsse sowieso immer welche fällen oder Äste kürzen. �… | |
fällt einiges an“, sagt er und führt zu einem Vorratslager. Ein Stahlkäfig | |
mit einem Wellblechdach: zwei Meter lang, zwei Meter breit und etwa | |
zweieinhalb Meter hoch. Darin liegen übereinandergeschichtete Holzklötze. | |
„Davon haben wir noch vier weitere.“ | |
Trantin ist viel herumgekommen. Zwischen 2004 und 2009 absolvierte er | |
Praktika in Zoos in der Ukraine, Russland, der Tschechischen Republik, | |
Ungarn und Deutschland. Dem Zoo seiner Geburtsstadt ist er schon lange | |
verbunden. Los ging es für den heute 50-Jährigen 2001 in der | |
Marketingabteilung. Seit 2014 ist er der Generaldirektor. | |
## Futter für die Tiere in der Ukraine | |
So hart der Winter für den Zoo war, in den ersten Wochen der Invasion war | |
die Gefahr größer. Die russischen Truppen standen nahe der nördlichen | |
Stadtgrenze in Irpin, vom Zoo aus sind das 20 Kilometer Luftlinie. Beim nur | |
zwei Kilometer entfernten Fernsehturm [3][schlugen am 1. März 2022 zwei | |
Raketen] ein. „Auch auf dem Gebiet des Zoos sind Geschosse eingeschlagen.“ | |
In den ersten Wochen war es eine große Herausforderung, ausreichend Futter | |
zu finden. Die üblichen Lieferungen kamen nicht an. Straßen waren von der | |
russischen Armee abgeriegelt oder zerstört. Fahrer kamen nicht durch. | |
Freiwillige brachten Hilfe in den Zoo und Partnerzoos aus Spanien und | |
Deutschland schickten tonnenweise Trockenfutter. Die Mitarbeiter seien auch | |
in die noch geöffneten Supermärkte ausgeschwärmt, um zum Beispiel Bananen | |
für die Primaten zu finden. | |
Auch Horace hat unter den Angriffen gelitten. In den ersten Wochen sei er | |
sehr gestresst gewesen. Es sei ja nicht nur der Lärm der Explosionen, | |
sondern auch die Veränderungen, zum Beispiel die fehlenden Besucher. Zwei | |
Monate war der Zoo geschlossen. Um ihn zu beruhigen, habe eine Pfleger:in | |
jede Nacht bei ihm geschlafen. [4][Zeitweise musste er aber Antidepressiva | |
bekommen]. Inzwischen gehe es ihm wieder besser, erzählt Trantin und klopft | |
Horace zur Begrüßung auf den Rüssel und steckt ihm ein paar Äpfel ins Maul. | |
Er habe großen Appetit. Täglich verdrückt Horace 150 Kilogramm Futter, vor | |
allem Gemüse, Obst und Heu, sowie bis zu 120 Liter Wasser. Außerdem | |
brauchen Elefanten wie er eine bestimmte Sorte Haferstroh, so Trantin. Die | |
bekommt der Zoo normalerweise aus dem Süden der Ukraine. Doch die Region | |
ist von der russischen Armee besetzt. Deshalb hätten internationale Partner | |
das Stroh für Horace geliefert. | |
## Keine Extraportion Fleisch | |
Der Elefant ist im Berliner Zoo geboren. Von dort wurde zuerst einem Zoo im | |
russischen Rostow am Don übergeben, von wo er nach Kyjiw weitergegeben | |
wurde. „Er hat einen sehr ruhigen Charakter“, sagt Trantin. Mit seinen 18 | |
Jahren sei er auch für Elefantenverhältnisse noch ein Teenager. | |
Kyjiws Zoo hat auch Tiere aus den Zoos umkämpfter Städte aufgenommen. Eines | |
davon ist Tigerdame Dalila. Sie hat eigentlich in einem privaten Zoo in | |
Charkiw im Osten des Landes gelebt. Doch dieser ist durch die Angriffe | |
schwer getroffen. Im Frühjahr 2022 habe man Dalila nach Kyjiw gebracht. | |
Mittlerweile habe sie sich gut eingelebt. Am Nachmittag liegt sie auf ihrer | |
Aussichtsplattform in ihrem Freigehege. Als sie Trantin erblickt, eilt sie | |
zum Rand des Geheges, folgt ihm entlang des Wassergrabens und schaut dabei | |
die ganze Zeit zu ihm. „Sie hofft auf eine Extraportion Fleisch, wenn der | |
Direktor mit Gästen kommt.“ An diesem Tag hat Trantin nichts dabei. Dalila | |
legt anklagend den Kopf schräg. | |
## Das leere Aquarium als Bunker | |
Eigentlich hat Trantin große Pläne für die Zukunft des Zoos. Die alte | |
Anlage aus der Sowjetzeit soll zu einem modernen Zoo nach europäischen | |
Standards umgebaut werden. Praktisch heißt das vor allem, dass die Tiere | |
mehr Platz bekommen sollen. Beispielsweise hätten die Bisons, die in der | |
Natur große Flächen beweiden, künftig ein viermal so großes Gehege. | |
Außerdem sollen die Tiere immer einen Rückzugsraum bekommen, wenn sie Ruhe | |
vor den Zoogästen suchen. | |
Trantin zeigt auf einer Tafel die Pläne. Im Norden des Areals sollte ein | |
ganzer neuer Bereich für Elefanten geschaffen werden. Horace würde das in | |
mehrfacher Hinsicht zugute kommen. Nicht nur mehr Auslauf, sondern auch | |
eine Gefährtin, für die momentan kein Platz sei. Bei den Plänen orientiere | |
man sich an den Standards des Europäischen Verbands für Zoos und Aquarien. | |
Man kann auch schon einige der Veränderungen sehen. Der neue Haupteingang | |
mit Kassen und Toiletten lockt Besucher mit einer riesigen Videowand. Es | |
gibt viele neue Bänke und einige neue Wege. Und am Rand wurde ein neues | |
Parkhaus gebaut. Auf Elektromobilität ist man eingestellt. „Die Gäste | |
können während des Zoobesuchs ihre Batterie aufladen.“ | |
Gleich neben dem Eingang steht ein halb fertiges Gebäude. In den Neubau | |
sollte eigentlich ein Besucherzentrum mit Restaurant sowie ein Aquarium | |
einziehen. Die Fertigstellung war für das vergangene Jahr geplant, doch mit | |
dem Beginn der Invasion wurden die Bauarbeiten eingestellt. Genauso wie | |
beim benachbarten Affenhaus. Wie es weitergehen soll, ist unklar. Zwar | |
erhalte der Zoo Mittel für den Unterhalt und die Gehälter, das Geld für | |
Investitionen sei aber gestrichen worden. „Das Land braucht das Geld für | |
die Armee.“ | |
Aus der Not hat man eine Tugend gemacht. Das, was mal ein Foyer werden | |
soll, wird als Werkstatt genutzt. Und im verglasten Restaurant ist ein | |
Gewächshaus untergebracht. Verschiedene Blattsalate und Löwenzahn gedeihen | |
in Regalen. „Pro Tag ernten wir zwei bis drei Kilogramm.“ Hauptabnehmer sei | |
Tony der Gorilla. Als im Frühjahr 2022 die Versorgung mit Futter schwierig | |
war, habe das eigene Gewächshaus geholfen. | |
Von dort geht es an unverputzten Betonwänden vorbei in den fensterlosen | |
Keller. Nur eine Notbeleuchtung erlaubt die Orientierung. Die Wände sind | |
etwa vier Meter hoch. Unter der Decke sind allerlei Rohre angebracht. | |
Trantin zeigt auf fensterartige Öffnungen in den Wänden. „Das soll mal das | |
Aquarium werden.“ [5][Man wolle die Ökosysteme der großen Flüsse der | |
Ukraine] sowie des Schwarzen und des Asowschen Meeres nachbilden. | |
Doch im Frühjahr 2022 wurde der Keller Zufluchtsort für die | |
Zoo-Mitarbeiter:innen – und ist es bei Alarm noch immer. Im Gang stehen aus | |
Holzpaletten gebaute Sitz- und Schlafgelegenheiten, in einem Nebenraum ein | |
grob gezimmerter Tisch und eine Sitzbank. Sogar eine Art Kaffeetischchen | |
hat man sich gebaut. „Wir hatten bisher 520 Mal Alarm.“ In den ersten | |
Wochen praktisch permanent, als die russische Armee am nördlichen Stadtrand | |
stand. | |
## Etwas Normalität, trotz Krieg | |
Die Mühe, den Zoo wieder aufzubauen, lohne sich. Es kommen wieder Besucher, | |
berichtet Trantin. Zwar nur halb so viele wie vor Krieg und Pandemie. Aber | |
dass der Zoo geöffnet ist, sei eben auch ein Zeichen. Man wolle den | |
Menschen in Kyjiw ein Stück Normalität bieten. | |
Einige der Besucher an diesem Tag tragen Uniform, ein paar sind auf Krücken | |
unterwegs. Soldaten müssen derzeit keinen Eintritt zahlen. „Sie sollen hier | |
ein paar schöne Stunden erleben und etwas Ablenkung finden“, sagt Trantin. | |
Kurzfristig ist Trantin erst mal guter Dinge, aber sehr beschäftigt. Am | |
letzten Aprilwochenende erweiterte der Zoo seine Öffnungszeiten von vier | |
auf sieben Stunden täglich. „Wir eröffneten sozusagen die Sommersaison.“ | |
Doch der nächste Winter komme bestimmt. „Wir bereiten uns vor, so gut wir | |
können.“ | |
Die Generatoren werden erst mal bleiben, auch wenn man sie im Moment nicht | |
braucht. Nur weil es das russische Militär in diesem Winter nicht geschafft | |
hat, heiße es ja nicht, dass es im nächsten Winter nicht wieder die | |
Energieinfrastruktur angreift. „Wenn man einen verrückten Nachbarn hat, | |
muss man mit allem rechnen.“ Der 521. Alarm kommt noch am selben Abend | |
dazu. | |
9 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Marco Zschieck | |
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