# taz.de -- Künstler über Repressionen in Kuba: „Nur für Außenstehende ha… | |
> Hamlet Lavastida, Stipendiat in Berlin, wurde in Havanna verhaftet. Ein | |
> Gespräch mit dem Künstler Marco A. Castillo über die Praktiken des | |
> Regimes. | |
Bild: Ihm wird übel mitgespielt: Hamlet Lavastida vor kurzem in Berlin | |
Am Morgen des 26. Juni 2021 verkündete das kubanische Staatsorgan Razones | |
de Cuba, dass „der kubanische Bürger Hamlet Lavastida Cordoví festgenommen | |
und in die Abteilung für Verbrechen gegen die Staatssicherheit verbracht“ | |
wurde. | |
Die Regierung im sozialistischen Einparteiensystem des karibischen | |
Inselstaates mit dem gelernten Elektroingenieur Miguel Díaz-Canel an der | |
Spitze, warf ihm vor, „wiederholt öffentlich zu zivilem Ungehorsam | |
aufgerufen zu haben und dazu, soziale Netzwerke zu nutzen, um direkt auf | |
andere konterrevolutionäre Elemente einzuwirken“. | |
Was war passiert? Bevor der bildende Künstler Lavastida fünf Tage zuvor | |
nach seinem Rückflug von Berlin nach Havanna die Wände des in Havanna | |
berüchtigten Gefängnisses für politische Gefangene, „Villa Marista“, von | |
innen kennenlernte und seine Familie zunächst nicht wusste, wohin ihn die | |
Geheimpolizei verbracht hatte, war der 38-Jährige für ein Jahr zu Gast als | |
Stipendiat am Künstlerhaus Bethanien in Berlin. | |
Dort hatte er in einer viel beachteten Einzelausstellung in seiner Kunst | |
die staatspolitischen Praktiken Kubas der 1960er bis 1980er Jahre | |
behandelt, um daraus Ableitungen und einen Möglichkeitsraum für die | |
Gegenwart zu treffen. Offensichtlich unterstützt Lavastida auch die | |
regierungskritische Bewegung „27. November“ (27N), die sich für eine | |
demokratische Öffnung des Systems auf Kuba einsetzt. | |
Für das Nachfolge-Regime Fidel und Raúl Castros womöglich bereits das | |
Überschreiten einer roten Linie? Über die möglichen Hintergründe der | |
Verhaftung sprach die taz mit dem kubanischen Künstler Marco A. Castillo. | |
Geboren 1971, hat er 1992 in Havanna das Künstlerkollektiv „Los | |
Carpinteros“ mit gegründet. | |
Er setzt sich künstlerisch seither für eine Demokratisierung Kubas ein und | |
setzte international mit seinen Ausstellungen Akzente. Die Castro-Ära | |
schien überwunden, nachdem am 10. Oktober 2019 Miguel Díaz-Canel als | |
Staatspräsident der Republik Kuba bestellt wurde. Doch seither halten | |
Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch dem herrschenden System | |
weiterhin „systematische Menschenrechtsverletzungen gegen unabhängige | |
Künstler und Journalisten“ vor. | |
taz: Herr Castillo, was passiert gerade in Ihrem Land, warum gelten | |
kritische Künstler als staatsgefährdend? | |
Marco A. Castillo: Das politische und gesellschaftliche Klima ist | |
aufgeheizt! Offenbar hält es das politische System für möglich, dass | |
Künstler:innen die Initialzündung für eine Protestwelle erzeugen, | |
ähnlich den Massenprotesten, [1][wie sie in anderen lateinamerikanischen | |
Ländern stattgefunden haben]. Eine für das System [2][kaum beherrschbare | |
Situation.] | |
Dabei sind es die verfehlte Wirtschaftspolitik, die wegen der Pandemie | |
ausbleibenden Einnahmen durch den Tourismus sowie die marktwirtschaftliche | |
Turbulenzen nach dem US-Handelsembargo und eine rückwärtsgewandte Politik | |
der Regierung, die in der Summe der Faktoren ins Desaster führt und die | |
Kubaner hungern lässt. | |
In aktuellen kubanischen Medien hieß es zur Verhaftung von Hamlet Lavastida | |
lapidar: „Der Häftling wurde der Anstiftung zu einer Straftat angeklagt.“ | |
Was können Sie uns dazu sagen? | |
Ich kenne viele befreundete Künstler und Journalisten, die bereits wegen | |
ähnlicher Vorwürfe im Gefängnis sitzen. Nur aufgrund ihrer Inanspruchnahme | |
künstlerischer Freiheiten. Dabei ist deren Kunst doch nur das Instrument | |
einer freien Meinungsäußerung. Doch eine Diktatur bietet keine rechtlichen | |
Freiräume! Und so schüchtern sie die Leute ein. | |
Wie muss ich mir das genau vorstellen? | |
Sie möchten Exempel der Abschreckung statuieren, ohne etwa einen Menschen | |
dabei zu töten. Sie wissen auch, sollten sie körperlich zu brutal und offen | |
gewalttätig vorgehen, könnte die Situation schnell kippen. Deswegen gehen | |
sie subtiler vor. Der Alltag sieht so aus: Sie holen einen verdächtigten | |
Künstler vor aller Augen von seiner Wohnung oder dem Atelier ab und bringen | |
ihn dann wieder zurück. Das geht mitunter monatelang. Die Polizei kommt | |
tagsüber, nimmt dich mit, um dich gegen Nachmittag wieder zu entlassen, nur | |
damit sie dich am kommenden Morgen wieder festnehmen kann. | |
Klingt zermürbend. | |
Das System setzt darauf, dass dies destabilisierend auf deine Psyche wirkt. | |
Es verunsichert dich stärker, als würdest du einfach nur lange Zeit im | |
Gefängnis sitzen. Oder: Es steht immer sichtbar ein Polizeiauto vor deiner | |
Tür. Und wann immer du rausgehen möchtest, wirst du daran gehindert, nach | |
draußen zu gehen, ohne dass sie dir eine Erklärung geben. | |
Es gibt aber auch die Variante, dass sie dich mit dem Auto abholen und weit | |
von deinem Ort wegbringen, so dass du das Gefühl hast, du wirst nie wieder | |
zurückkommen. Manchmal holen sie dich aber auch nur ab, um dich auf die | |
Rücksitzbank zu setzen. Die Polizisten gehen dann den gesamten Tag ihren | |
Dingen nach. Sie verlassen den Wagen und du bleibst bei geschlossenen | |
Fenstern und über 40 Grad im Fond zurück. Natürlich egal, ob du mal auf die | |
Toilette müsstest. | |
Das hört sich nach psychologischer Kriegsführung an … | |
Es sieht erst mal für Außenstehende ziemlich harmlos aus. Kuba befindet | |
sich unter großer internationaler Beobachtung, und das korrupte System will | |
nicht negativ in die internationalen Schlagzeilen geraten. Und es | |
funktioniert. Regelmäßig werden Häuser von Künstlern oder Regimegegnern | |
außen komplett schwarz angestrichen. So warnt man die Nachbarschaft, sich | |
bloß nicht mit denen einzulassen. Das Lustige dabei ist jetzt aber auch, | |
dass zurückgeschlagen wird. In Nacht- und Nebel-Aktionen werden nun auch | |
Häuser von Geheimdienstlern und Mitgliedern der Geheimpolizei von | |
Oppositionellen schwarz angestrichen. | |
Sie haben zwar noch ein Atelier in Havanna, haben aber bereits vor geraumer | |
Zeit Ihren Lebensmittelpunkt nach Mexiko verlegt. Wie stark sind | |
Kubaner:innen, insbesondere Künstler:innen, die im Ausland leben, mit der | |
Bevölkerung im Inland verschränkt? | |
Exilant:innen sind durch ihre Überweisungen und Devisenzahlungen an die | |
Familien auf der Insel für die Binnenökonomie ein entscheidender Faktor. | |
Sie finanzieren Geschäfte und verantworten praktisch den größten Teil der | |
Umsätzen des Landes. Dabei ist vor allem die kubanische Community in Miami | |
sehr aktiv. Dazu kommen auf Kuba die eigenen nationalen Ressourcen. | |
Der Agrarbereich und das russische Öl sind zwei weitere | |
Wirtschaftsfaktoren, die das herrschende System Kubas gestützt und nach der | |
Revolution einen neuen Lebensstil geprägt haben. Doch Künstler:innen | |
wurden in den vergangenen Jahren Vordenker einer neuen möglichen Revolution | |
hin zur Demokratie. Es ist ein mittlerweile weltumspannendes Netzwerk, das | |
die Möglichkeiten des Internets und die der neuen Medien für ihre Proteste | |
und Informationskampagnen nutzt. Es entstand auch eine neue unabhängige | |
kubanische Kunstszene, die wir mit „Los Carpinteros“ 1992 mit angestoßen | |
haben. | |
Wie würden Sie Ihre eigenen künstlerischen Werke charakterisieren? | |
Früher stellte ich mit dem Mittel der Kunst vor allen Fragen. Wie bei | |
meiner Präsentation für die Havanna-Biennale „The Decorator’s Home“ (20… | |
Da habe ich mich der verschollenen Generation Kubas mit seinen Architekten, | |
Möbeldesignern, Bildhauern und Malern gewidmet. [3][Künstler, die seit den | |
1950er Jahren Großartiges hervorgebracht haben], deren Biografien durch | |
Kubas Isolation und die Lage im eigenen Land aber vergessen sind. | |
Die Frage ist doch, wie können neue Avantgarden entstehen, wenn die | |
kulturelle Grundlage, das bisher Geschaffene nicht bewahrt und dokumentiert | |
wurde. Meine kritische Auseinandersetzung mit der kubanischen Geschichte | |
ist aktuell in Brasilien in der Ausstellung „Property of the State“ zu | |
sehen. Es geht um Schönheit im Kontext von Gewalt und Diktatur. | |
Was zeichnet Hamlet Lavastidas Kunst aus? | |
Hamlet betreibt in seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit einem | |
eigens zusammengetragenen Archiv verschiedener ikonografischer und | |
sprachlicher Zeugnisse aus der Zeit der Institutionalisierung des | |
Sozialismus in Kuba, also der 1960er bis 1980er Jahre, eine Form von | |
Archäologie. | |
5 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Feministisches-Manifest-aus-Chile/!5751295 | |
[2] /Regierungskritische-Musik-in-Kuba/!5753446 | |
[3] /Musikstile-aus-Kuba/!5749862 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Strenger | |
## TAGS | |
Kuba | |
Politische Kunst | |
Repression | |
taz.gazete | |
Kuba | |
Schwerpunkt Fidel Castro | |
Miguel Díaz-Canel | |
Kuba | |
Kuba | |
Landwirtschaft | |
Kuba | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kuba – der Fall Lavastida: „Da wartet ein Taxi auf Sie“ | |
Von Berlin in den Knast. Der kubanische Künstler Hamlet Lavastida spricht | |
über seine Inhaftierung und Ausweisung aus Kuba. | |
Kuba bürgert kritischen Künstler aus: Von Kubas Stasi ins Exil geschickt | |
Der kubanische Künstler Hamlet Lavastida saß seit Ende Juni in | |
Untersuchungshaft. Am Samstag wurde er freigelassen und musste das Land | |
verlassen. | |
Proteste auf Kuba: Der Tabubruch | |
Fidel Castro suchte 1994 den Dialog mit unzufriedenen DemonstrantInnen. Der | |
neue Machthaber Miguel Díaz-Canel setzt auf Repressionen. | |
Proteste auf Kuba: Seltene Revolte geht weiter | |
Tausende Menschen sind in Kuba am zweiten Tag auf die Straße gegangen, mehr | |
als Hundert wurden festgenommen. Das Internet ist zum Teil blockiert. | |
Proteste in Kuba: Wut auf den Straßen | |
Viele haben in kubanischen Städten am Sonntag gegen die sozialistische | |
Regierung demonstriert. Sie forderten ein Ende der Unterdrückung und | |
Mangelwirtschaft. | |
Kunstfreiheit in Kuba: Kubanischer Künstler wieder frei | |
Nach vier Wochen ist Luis Manuel Otero von der regierungskritischen | |
Künstlerbewegung San Isidro frei. Seine Freunde sitzen weiter in Haft. | |
Agrarreform in Kuba: Laues Lüftchen statt großer Wurf | |
Die kubanische Regierung hat 63 Maßnahmen zur Reanimierung der | |
Landwirtschaft beschlossen. Die massive Versorgungskrise wird das nicht | |
beenden. | |
Neuer Führer der KP auf Kuba: Máximo Líder mit kleinem Radius | |
Nach über sechs Jahrzehnten Castrismo übernimmt mit Miguel Díaz-Canel ein | |
neuer Parteichef das Kommando. Mit 61 gehört er zur „neuen Generation“. |