# taz.de -- Künstler debattieren über Ukrainekrieg: Keine Brücken nach Russl… | |
> In Berlin diskutierten Künstler aus der Ukraine und Russland über „Krieg | |
> und Frieden“. Der Tenor: Selbst jetzt reagiere der Westen zu langsam. | |
Bild: Sasha Marianna Salzmann bei einer Solidaritätsveranstaltung auf der Lit.… | |
Die in Leipzig lebende ukrainischstämmige Autorin und Übersetzerin Svetlana | |
Lavochkina kann derzeit nicht schreiben. Im 18. Akademie-Gespräch der | |
Akademie der Künste Berlin am Dienstag, dem sie online zugeschaltet war, | |
sagte sie, dass sie tagsüber als Sprachlehrerin arbeite, die andere Zeit, | |
die ihr bleibe, helfe sie Flüchtlingen etwa mit Spendensammeln. | |
Der in Russland geborenen und heute in Berlin lebenden Dramatikerin | |
[1][Sasha Marianna Salzmann] geht es ganz ähnlich. Sie hat seit | |
Kriegsbeginn rund um die Uhr Flüchtlingen geholfen, eine Wohnung zu finden | |
zum Beispiel. An Schreiben war nicht zu denken. | |
„Russland und Ukraine – Künstlerinnen und Künstler diskutieren über Krieg | |
und Frieden“, versprach der Titel der Veranstaltung. Diskutiert wurde | |
allerdings kaum, über weite Strecken beschränkte sich der Abend auf Fragen | |
zur künstlerischen Praxis oder dem Ausbleiben derselben. Ansonsten wurde | |
über den Krieg viel in politischer Hinsicht gesprochen. | |
Der Politikwissenschaftler Volker Weichsel, Redakteur der Zeitschrift | |
Osteuropa und einziger Nichtkünstler, wies eingangs darauf hin, dass der | |
Westen bis zum Krieg versucht habe, Russland Brücken zu bauen. Russland | |
habe aber nie ein ernsthaftes Interesse daran gehabt. „Es hat sich nicht | |
geändert.“ | |
Das bekräftigte [2][der ukrainische Filmemacher Sergei Loznitsa,] auch er | |
lebt seit Jahrzehnten in Deutschland, mit dem Hinweis, dies sei kein Krieg | |
zwischen zwei Ländern, sondern zwischen zwei Weltsichten. Die Brücken | |
offenzuhalten, sei in so einem Fall das Dümmste, was man tun könne: „Denn | |
dann kommt der Gegner und frisst einen auf.“ Weichsel ergänzte, dass zwar | |
Russlandkenner die Entwicklung schon lange erkannt hätten, aber niemand | |
darauf zu reagieren gewusst habe. Selbst jetzt, mit dem Krieg, vollziehe | |
sich der geistige Wandel sehr langsam hin zu der Einsicht, dass dies ein | |
Anschlag auf „uns“ ist. | |
## Den spirituellen Raum bewahren | |
Eine weniger offensichtliche Gefahr des Kriegs sieht Loznitsa in den | |
Bildern, wie sie die Welt aus Butscha erreichen. Wenn der Krieg andauere, | |
könnten diese Bilder bewirken, dass auch die Menschen im Westen in den | |
Krieg hineingezogen werden und sich die Gesellschaft durch sie verändert. | |
Dem hielt Lavochkina entgegen: „Wir können den Krieg nicht mit Schreiben | |
gewinnen“, doch man könne dazu beitragen, den spirituellen Raum zu | |
bewahren. „Wir sind die Hüter der Psyche.“ | |
Besonders deutlich wurde die Realität des Kriegs in der Schweigeminute, um | |
die Loznitsa im Namen des im Ukrainekrieg getöteten litauischen | |
Filmemachers Mantas Kvedaravicius bat. Dieser hatte in Mariupol russische | |
Kriegsgräuel dokumentieren wollen. Von Loznitsa stammte auch das | |
ernüchterte Fazit: „Trau keinem Russen. Sie lügen immer.“ | |
Er selbst wurde im Übrigen, wie die Gastgeberin, Akademie-Präsidentin | |
Jeanine Meerapfel, eingangs erwähnte, vor Kurzem [3][von der Ukrainischen | |
Filmakademie ausgeschlossen.] Der Grund: Loznitsa lehnt einen pauschalen | |
Boykott russischer Filmemacher ab. | |
6 Apr 2022 | |
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## AUTOREN | |
Tim Caspar Boehme | |
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