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# taz.de -- Krieg in der Ukraine: Unreflektierter Pazifismus
> Gerne werden mit Blick auf den russischen Angriffskrieg Nazi-Vergleiche
> bemüht. Solche Analogien bringen nichts, findet unsere Autorin.
Bild: Putin-Hitlervergleich bei einer Demonstration in Barcelona
Seit Russlands Angriffskrieg in der Ukraine laufen die Feuilletons und
sozialen Medien mit historischen Vergleichen über. Auf
Ukraine-solidarischen Demonstrationen habe ich schon einige Male Plakate
gesehen, auf denen man Russlands Präsidenten als Hitler sah [1][(„Stop
Putler“)]. So mit Bart und Scheitelfrisur, Sie wissen schon.
Bekannte Historiker haben in großen Medien Abhandlungen darüber
geschrieben, warum es Parallelen zwischen den beiden gebe. Auch die taz
befragte den Historiker Herfried Münkler dazu. Götz Aly nennt als
Beispiele die Vorbereitung und Rechtfertigung des Kriegs.
„Auch Hitler hat ja enorme Truppen aufmarschieren lassen, während
gleichzeitig versichert wurde: ‚Der Führer will nichts anderes als den
Frieden‘ “, sagte er der dpa.
Eine Gleichsetzung halten die meisten, und da bin ich ja froh, für nicht
zulässig. Putin wirke wie ein gelehriger Schüler Adolf Hitlers, da auch
Putin versuche, die von ihm angestrebte Wiederherstellung eines
vermeintlichen früheren Großreichs historisch zu untermauern, schrieb
Heinrich August Winkler [2][in der Zeit.]
## Plumpe Analogien
Gut, der letzte Satz ist komplett übertrieben. Bei plumpen
Putin-ist-fast-wie-Hitler-Analogien zuckt in mir immer etwas zusammen. Wozu
das Ganze? Wo bleibt der Erkenntnisgewinn? Braucht es diesen dramatischen
Vergleich, [3][um größere Empathie für die Ukraine zu erreichen]?
Der Zweite Weltkrieg spielt im deutschen Diskurs nicht erst seit dem 24.
Februar eine Rolle. 2014, nach der Annexion der Krim, sagte der damalige
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble: „Das kennen wir alles aus der
Geschichte. Mit solchen Methoden hat schon der Hitler das Sudetenland
übernommen – und vieles andere mehr.“ Später räumte er ein, er habe es
„klar abgelehnt, Russland in irgendeiner Weise mit dem Dritten Reich zu
vergleichen“. Und Damals-Kanzlerin Angela Merkel musste daraufhin
versichern: „Ich betrachte den Fall der Annexion der Krim als einen für
sich stehenden Fall.“
Von der aktuellen Bundesregierung wurde der Zweite Weltkrieg zunächst
argumentativ benutzt, um sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine
auszusprechen. Die Verantwortung, die aus der eigenen Geschichte erwächst,
hat demnach zur Folge: Deutschland dürfe keine Kriegspartei werden.
## Erinnerungskultur als Ausrede
Deutschlands Erinnerungskultur an den Zweiten Weltkrieg ist längst zu einem
„Ersatz für die Konfrontation mit der Gegenwart geworden“. Das schrieb Karl
Schlögel im März [4][in einem Beitrag für die NZZ]: Das rituelle Gedenken
beschreibt er als ein Hindernis, heutzutage politische Verantwortung zu
übernehmen. Wenn „Nie wieder“ als Lehre aus dem von Deutschen begangenen
Vernichtungskrieg Ausgangspunkt eines unreflektierten Pazifismus wird, wie
viel ist er dann noch wert? Darf sich ein Land, das seit über 30 Jahren
umringt ist von Freunden und nicht Feinden, heute zum Moralapostel
aufspielen?
Geschichte wiederholt sich nicht. Theoretisch kann man aus ihr lernen. Wozu
aber all die Bezüge, Vergleiche, Analogien, wenn daraus die falschen Lehren
gezogen werden?
In ihrem Buch „Offene Wunden Osteuropas“, das die Dimensionen des deutschen
Vernichtungskriegs in Ost(mittel)europa aufzeigt, stellen Franziska Davies
und Katja Makhotina eine treffende Frage: „Hätte eine stärkere
Sensibilisierung in Deutschland für ostmitteleuropäische Perspektiven auf
den Krieg vielleicht dazu beigetragen, die Positionen der Ukraine in den
letzten Jahren besser zu verstehen?“
Um glaubwürdig den Opfern der Vergangenheit zu gedenken und für die Opfer
des russischen Kriegs einzustehen, müssen Erinnerungslücken in Bezug auf
die deutsche Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts in Osteuropa geschlossen
werden. Putin mit Hitlerbart hingegen möchte ich nicht mehr sehen.
14 May 2022
## LINKS
[1] /Krieg-der-Sprache/!5854267
[2] https://www.zeit.de/2022/11/wladimir-putin-russland-ukraine-krieg-adolf-hit…
[3] /Krieg-in-der-Ukraine/!5846460
[4] https://www.nzz.ch/meinung/krieg-in-der-ukraine-deutschland-kommt-eine-beso…
## AUTOREN
Erica Zingher
## TAGS
Kolumne Grauzone
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Ukraine-Krise
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