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# taz.de -- Krieg der Sprache: Orks in Gefangenschaft
> Antirussische Neologismen: Auf ukrainischer Seite reagiert man auf die
> Propagandasprache des Kremls rhetorisch kreativ. Dank dem „Herrn der
> Ringe“.
Bild: Putler-Plakat während einer Anti-Kriegs-Demo in Düsseldorf
„Die mechanisierte Fürst-Ostroschkij-Brigade schickt die Orks zur Hölle
und wünscht allen UkrainerInnen einen guten Morgen!“ Über 600.000 Follower
haben den ukrainischen Telegram-Kanal „Geraschenkos Wahrheit“ abonniert und
erhalten so diesen Gruß. Der Nachrichten-Kanal hat einen Bot, über den
Fotos und Videos, welche etwa Kampfhandlungen oder Kriegsverbrechen
dokumentieren, an den Kanal geschickt werden können. Information dazu
werden von MitarbeiterInnen des Kanals übersichtlich aufbereitet, dann geht
das Dokument online.
Durchschnittlich alle dreißig Minuten wird ein neuer Post veröffentlicht,
darunter auch Verlautbarungen des ukrainischen Präsidenten und des
Verteidigungsministeriums.
Der Gruß der „Fürst-Ostroschkij-Brigade“ sticht heraus, weil hier die
Abonnenten des Kanals direkt angesprochen werden. Was diesen und all die
anderen Posts aber vereint, ist die Wortwahl, besonders in Bezug auf die
russischen Truppen und Russland an sich.
Es hat sich inzwischen eingebürgert, bei der Bezeichnung der russischen
Kriegspartei [1][Terminologie aus Tolkiens „Herr der Ringe“] zu verwenden.
Russische Soldaten werden in sonst nüchternen Nachrichten-Posts als Orks
bezeichnet und Russland als Mordor, im Tolkien-Roman steht dieser Begriff
für das Reich des Bösen. Posts über russische Kriegsgefangene werden so mit
„Der gefangene Ork“ übertitelt. Und mit „Orkostan“ als weiteres Synony…
Russland hat man sogar eine komplette Neuschöpfung kreiert.
## Als der Putler auf die Krim kam
[2][Putin wird in der Ukraine seit 2014, dem Jahr der Krim-Annexion, als
Putler bezeichnet]. Die Stoßrichtung ist klar: Zwei Namen – Hitler und
Putin – verschmelzen hier zu einem. Neu ist die Bezeichnung von
[3][RussInnen als Raschisten]. Auch hier eine Wort-Kombination – die
englische Bezeichnung Russia trifft auf Faschist und beides mutiert zu
Raschist. Russische Soldaten werden in Posts als Soldaten der
raschistischen Armee beschrieben. Ohne jegliche Umschreibung wird
inzwischen von der faschistischen Föderation gesprochen, wenn man die
Russische Föderation meint.
In den offiziellen Mitteilungen der Regierung werden Putin und Russland
direkt benannt, aber beides wird kleingeschrieben. Das wird inzwischen im
ganzen Land so gehandhabt.
Alle diese Sprachregelungen zielen auf eine sprachliche Diskreditierung des
Kriegsgegners. So ist die Wortschöpfung „Raschist“ eine direkte Reaktion
auf die russische Propaganda-Terminologie, die Ukraine sei zu
denazifizieren. Beide Seiten bedienen sich unter anderem eines Vokabulars
aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Es sind Begriffe, die bis heute in
beiden Ländern an die gemeinsame Vergangenheit erinnern, mit Bedeutung
aufgeladen sind und nun im Propaganda-Kampf instrumentalisiert werden.
Beide Seiten schenken sich nichts.
Der Unterschied ist: In Russland kommen die Begriffe von oben, in der
Ukraine von unten. Hier kontert man kreativ und nimmt ganz bewusst Bezug
auf die Terminologie Faschist, die in der Sowjetunion des Zweiten
Weltkriegs im Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland die
vorherrschende Vokabel zur Bezeichnung des Kriegsgegners war. Die
Bezugnahme auf Wortschöpfungen aus „Herr der Ringe“ erzählt wiederum von
der Gefühlslage in der Ukraine, vom Kämpfen gegen eine Übermacht, die in
der momentanen Situation generalisierend als das Böse gesehen wird. Auch
die Bezeichnung der russischen Kriegsgefangenen als Orks entmenschlicht
diese.
Man fragt sich: Wie rüstet man in beiden Ländern verbal wieder ab? Wie und
wann lässt man Grautöne wieder zu? Wie also kommen die Gesellschaften
beider Länder wieder raus aus dieser verbalen Gewaltspirale, die auf beiden
Seiten das Verhalten der Truppen beeinflusst? Sprache wird auch nach dem
Krieg eine große Rolle spielen, wenn sich hoffentlich beide Gesellschaften
wieder aufeinander zu bewegen.
12 May 2022
## LINKS
[1] /Das-englische-Biopic-Tolkien/!5602395
[2] /Anti-Putin-Stimmung-in-der-Westukraine/!5042242
[3] /Notizen-aus-dem-Krieg/!5849246
## AUTOREN
Katja Kollmann
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Propaganda
Sprache
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Kriegsverbrechen
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