| # taz.de -- Krieg in der Ukraine: Die Ukraine muss gewinnen | |
| > Waffen für die Ukraine zurückzuhalten verlängert den Krieg. Erst eine | |
| > militärische Niederlage Russlands eröffnet den Weg zu Frieden für Europa. | |
| Bild: Athen, 19. März: Stop-Putin-Plakat bei einer Demo gegen die russische In… | |
| Deutschlands Beschluss, [1][die Ukraine] auch mit schweren Waffen zu | |
| unterstützen, sorgt für heftigen Streit. Zwei Gegenargumente fallen oft: | |
| eine Ausweitung von Waffenlieferungen stelle eine Eskalation des Krieges | |
| dar, bis hin zum Risiko eines russischen Atomschlages; und es wäre besser, | |
| Chancen auf eine Verhandlungslösung auszuloten. | |
| Jenseits aller Polemik dürften beide Seiten in diesem Disput im Wunsch | |
| vereint sein, dass der Krieg endet und dass es keine Eskalation gibt. | |
| Helfen schwere Waffen für die Ukraine, das zu erreichen, oder erschweren | |
| sie das? In beiden Fällen sprechen die Fakten und die Erfahrung gegen die | |
| Kritiker der Waffenlieferungen. | |
| Das Putin-Regime lässt Konflikte eskalieren, wenn die Gegenseite stillhält. | |
| Es hält sich zurück, sobald die Gegenseite Kontra gibt. Moskau erklärt die | |
| Nato-Osterweiterung zum großen Übel, das einen dritten Weltkrieg | |
| herbeiführen werde – aber wer tatsächlich der Nato beitritt, also die | |
| baltischen Staaten, wird in Ruhe gelassen; wer hingegen nicht beitreten | |
| darf, also Georgien und die Ukraine, wird mit Gewalt überzogen. Ebenso hat | |
| Moskau westliche Waffenlieferungen an die Ukraine [2][als westlichen | |
| Kriegseintritt bewertet] und mit Gegenschlägen gedroht; aber diese Drohung | |
| wird nicht wahrgemacht, obwohl die Lieferungen ausgeweitet werden. | |
| Letztendlich scheint Russland der alten Logik der nuklearen Abschreckung | |
| treu zu bleiben, die in der Ära des Ost-West-Konflikts einen „heißen Krieg�… | |
| in Europa verhinderte. Im „Gleichgewicht des Schreckens“ wussten Ost und | |
| West: Wenn ich den roten Knopf drücke, gibt es einen Gegenschlag und auch | |
| ich bin tot. | |
| Das war die Grundlage für eine zwar waffenstarrende, aber friedliche | |
| Koexistenz, auf der die Bausteine der späteren gesamteuropäischen | |
| Friedensordnung errichtet werden konnten, von den KSZE-Verpflichtungen zur | |
| Anerkennung der Souveränität und Bündnisfreiheit aller Staaten bis hin zum | |
| Atomwaffenverzicht der Ukraine im Gegenzug für die Garantie ihrer | |
| territorialen Unversehrtheit. Putins Revanchismus hat diese ganze | |
| Sicherheitsarchitektur über den Haufen geworfen und führt jetzt Europa | |
| zurück in die Ära, in der nur noch die gegenseitige Abschreckung den großen | |
| Krieg verhindert. | |
| Das „Gleichgewicht des Schreckens“ zwischen Russland und dem Westen ist | |
| intakt. Aber es muss eben auch aufrechterhalten werden. In Moskau wird zwar | |
| täglich mit Atomraketen auf Berlin oder London gedroht, aber als Reaktion | |
| darauf die Ukraine fallenzulassen wäre falsch: dann wäre die Drohung | |
| erfolgreich gewesen, weitere Drohungen würden folgen. | |
| Ebenso würde die Hinnahme eines russischen Sieges in der Ukraine den | |
| russischen Überfall im Nachhinein legitimieren, weitere Überfälle auf | |
| andere Länder würden folgen. Gegen einen Gegner wie Putin, der immer | |
| austestet, wie weit er gehen kann, hilft nicht Zurückweichen, sondern nur | |
| Standhalten. [3][Verstärkte Waffenlieferungen des Westens] an Kiew, ohne | |
| selbst direkt militärisch einzugreifen und damit zur Kriegspartei zu | |
| werden, eskalieren nicht den Krieg – sie sind der einzige Weg, ihn | |
| einzudämmen und schließlich auch zu beenden. | |
| Auf dem Verhandlungsweg ist der Krieg nicht zu beenden. Wäre Russland an | |
| einem Verhandlungsfrieden mit der Ukraine interessiert, hätte es den Krieg | |
| gar nicht erst angefangen. Vor dem 24. Februar bot die Ukraine wiederholt | |
| Gespräche an, Russland lehnte ab. Die russische Kriegsbegründung ist der | |
| Wunsch, die Ukraine als Staat zu vernichten, ihre Identität auszulöschen, | |
| ihre Bevölkerung zu unterjochen. | |
| Mit den Massakern in Butscha und anderswo hat Russland gezeigt, was es mit | |
| dem Land vorhat. Wenn die Ukraine die Waffen streckt oder auch nur einen | |
| Teil ihres Staatsgebietes abtritt, gibt es keinen Frieden, sondern Terror | |
| ohne Ende. Solange Russlands Kriegsziel in der Zerschlagung der Ukraine | |
| besteht, ist eine Verhandlungslösung nicht möglich. | |
| Es ist darüber hinaus geradezu abstrus, wenn deutsche Politiker sich | |
| einerseits gegen jedes militärische Engagement in der Ukraine sträuben, | |
| andererseits aber „diplomatische Lösungen“ entwerfen wollen. Es können nur | |
| diejenigen miteinander verhandeln, die vorher gegeneinander gekämpft haben. | |
| Wer sich aus dem Krieg heraushält, kann im Frieden nicht mitreden. | |
| Ein Kriegsende dürfte nur mit Russlands komplettem Rückzug auf seine | |
| international anerkannten Grenzen möglich sein, eine Friedensvereinbarung | |
| nur mit einem international überwachten Gewaltverzicht. Ob das mit der | |
| aktuellen russischen Regierung geht, darf bezweifelt werden. Mit Putin | |
| reden ist zwecklos, da er seinen Gesprächspartnern ins Gesicht lügt. | |
| Damit es Frieden geben kann, muss sich die Ukraine militärisch durchsetzen. | |
| Das ist durchaus denkbar. Russland hat zwar Europas größte Armee, die | |
| Ukraine aber die zweitgrößte, und die ukrainischen Verteidiger kämpfen | |
| engagiert um ihr Überleben gegen demotivierte Invasoren. Die russischen | |
| Offensiven erscheinen zunehmend kraftlos, Moskau bietet weder eine | |
| militärische noch eine politische Perspektive. | |
| Viele Deutsche mythologisieren Russland als Supermacht, weil sie | |
| territoriale Ausdehnung mit Macht verwechseln. In Wahrheit situiert sich | |
| die russische Volkswirtschaft irgendwo auf dem Niveau von Südkorea, und wer | |
| kann, verlässt längst das sinkende Schiff. Russland hat nicht die Mittel, | |
| diesen Krieg zu gewinnen. Es kann nur um sich schlagen. | |
| Um Menschenleben zu retten, muss Russlands Niederlage gegen die Ukraine | |
| weiter beschleunigt werden. Das eröffnet den Weg zu einem | |
| Verhandlungsprozess, der eine neue friedliche Koexistenz in Europa | |
| begründen kann – zwischen Russland und der Ukraine als Anfang. Die | |
| endgültige Überwindung des russischen Imperialismus ist die große | |
| unerledigte Aufgabe Europas aus dem 20. Jahrhundert, um eine | |
| Friedensordnung für das 21. Jahrhundert zu begründen. Die Staaten Europas | |
| müssen der Ukraine dabei helfen. | |
| 6 May 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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