# taz.de -- Krach in der Union um Asylpolitik: Die Eruption christsozialer Wut | |
> Selbst Mahnungen der katholischen Kirche ignoriert die CSU in der | |
> Flüchtlingsfrage. Sie ist frustriert von Berlin, schielt aber vor allem | |
> auf Wähler. | |
Bild: Die Hoheit über die bayerischen Stammtische – die ist der CSU das Wich… | |
München taz | Als Horst Seehofer Innenminister in Berlin wurde, war vor | |
allem in München vielen klar, dass er sich nicht ins Austragshäuserl | |
begibt, wo der alte Bauer seinen Lebensabend verbringt. Sondern dass es | |
vielmehr in der Bundesregierung turbulent bis explosiv werden würde. Die | |
Sprunghaftigkeit, die Launen und auch den teils schnell aufbrandenden Zorn | |
des CSU-Politikers hatte man in Bayern an vielen Stellen erlebt. | |
Unvergessen ist etwa, wie er auf dem CSU-Parteitag im November 2015 Angela | |
Merkel auf offener Bühne 13 Minuten lang abkanzelte – wegen deren | |
Flüchtlingspolitik. | |
Zum Spieler Seehofer passt es, dass er in der Union und in der | |
Bundesregierung nun Wohl und Wehe riskiert, um einen Punkt seines 63 Punkte | |
umfassenden Asyl-„Masterplanes“ mit der Brechstange durchzusetzen: die | |
Zurückweisung bestimmter Flüchtlinge an den Grenzen. Bis vor einer Woche | |
war darüber weder in Berlin noch in Bayern überhaupt je groß geredet | |
worden. Man war ja davon ausgegangen, dass Geflohene ohne Bleibestatus nach | |
CSU-Logik von den „Ankerzentren“ aus sowieso schnell wieder außer Landes | |
befördert werden sollten. | |
Es hat eine gewisse Ironie, dass nun ausgerechnet Seehofers einstiger | |
Dauer-Gegner [1][Markus Söder], seit drei Monaten bayerischer | |
Ministerpräsident, ihm in Berlin beigestanden hat. Sie hatten sich bis aufs | |
Blut bekämpft um die Macht, auch mit vielen schmutzigen Mitteln. Nun ist | |
Söder Seehofers Mann. Und es gibt kaum etwas, das ihm zu rechts, zu | |
populistisch sein kann. So legt er noch eine Schippe drauf und spricht vom | |
Ende des „geordneten Multilateralismus“. Damit stellt er sich nicht nur | |
frontal gegen die jahrzehntelange EU-Politik der Bundesregierungen, sondern | |
auch gegen die EU selbst. Kommentatoren erinnert das an Donald Trump und | |
dessen Zerschlagen internationaler Systeme der Zusammenarbeit. | |
## Rückhalt in der Partei ist Söder und Seehofer gewiss | |
Seehofer und Söder können sich sicher sein, dass sie den vollen Rückhalt | |
der Partei haben. Die CSU-Landtagsfraktion hatte Söder vor seinem | |
Berlin-Besuch zu 100 Prozent in der Asylpolitik gestärkt, genauso wird es | |
am Montag im CSU-Vorstand sein, wenn beschlossen werden sollte, dass | |
Seehofer auf eigene Faust als Minister die Zurückweisungen anordnet. | |
Eine Stimmung aus jahrelang angestauter Wut und tief empfundener Kränkung | |
bestimmt derzeit das Seelenleben der Christsozialen. Das ist gepaart mit | |
immer mehr in Panik umschlagende Angst vor den bayerischen Landtagswahlen | |
am 14. Oktober. Seit der „Grenzöffnung“ vom Herbst 2015 fühlt sich die CSU | |
[2][von Merkel düpiert], über den Tisch gezogen. Jetzt bricht es auf, dass | |
man sich von rechten Wählern jahrelang beschimpfen lassen musste wegen der | |
Flüchtlingspolitik. Jetzt bricht sich die Abneigung gegenüber dem ganzen | |
besänftigenden Regierungsstil der Kanzlerin Bahn. In Berlin musste man | |
hinnehmen, dass Merkel deutlich gezeigt hat, wie wenig ihr an | |
CSU-Herzensprojekten lag wie etwa der Ausländermaut oder dem | |
Betreuungsgeld. | |
CSU-Landtagsabgeordnete, die ihre Fraktion als Herzkammer des | |
Konservativismus wähnen, sagten beim Obergrenzen-Streit, dass dieser | |
Begriff vor allem als Symbol unverzichtbar sei. Bei Diskussionen und in den | |
Bierzelten merken sie, dass der Beifall am lautesten wird, wenn es gegen | |
Flüchtlinge geht. Das ist auch die Erfahrung des Markus Söder, und er weiß | |
dies auszukosten. Er will nach eigenen Aussagen verhindern, dass sich in | |
Deutschland eine rechtspopulistische Kraft wie die AfD festsetzt und zu | |
einer Quasi-Volkspartei wird – siehe FPÖ in Österreich, französischer Front | |
National oder die neuen italienischen Regierungsparteien. | |
Das mag man ihm glauben, es geht dabei schließlich auch um die Existenz der | |
CSU. Umgekehrt lässt es sich aber auch denken: Die CSU macht den | |
Rechtspopulismus zum Programm – und befeuert Ressentiments erst recht. | |
Auch die bayerische katholische Kirche – die evangelische ist sowieso | |
weltoffen-liberal – stört sich mehr und mehr an der CSU-Flüchtlingspolitik. | |
Schon oft hat Kardinal Reinhard Marx vom Erzbistum München-Freising einen | |
humaneren Umgang und ein anderes CSU-Vokabular angemahnt. Christlichen Rat | |
ignoriert die Partei aber, ebenso wie einen alten bayerischen Grundsatz, | |
der da lautet: Leben und leben lassen. | |
15 Jun 2018 | |
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## AUTOREN | |
Patrick Guyton | |
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