# taz.de -- Die CSU und Flüchtlingszahlen: Unionsbruch für einen Klacks | |
> Die CSU will Geflüchtete an der Grenze zurückweisen. Es geht um wenige | |
> Tausend Fälle im Jahr, für die sie Koalition und Union aufs Spiel setzt. | |
Bild: Treibt die Union offenbar wissentlich wegen einer Lappalie in die Spaltun… | |
BERLIN taz | Vor wenigen Jahren sprach [1][nur die rechtsextreme NPD von | |
„Asyltourismus“]. Über die AfD ist der Begriff inzwischen auch [2][im Tweet | |
von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder] gelandet, dessen CSU bislang | |
den rechten Rand des demokratischen Spektrums in der deutschen | |
Parteienlandschaft bildete. Die CSU steigt mit einer heftigen Rhetorik in | |
den Konflikt mit ihrer Schwesterpartei CDU und der Bundeskanzlerin ein. | |
Dabei geht es ihr vor allem darum, dass Geflüchtete in Zukunft an den | |
deutschen Grenzen zurückgewiesen werden sollen. | |
Um es kurz zu machen: Was die CSU macht, ist gefährlich. Für den | |
symbolischen Kampf um eine winzige Fallzahl normalisiert sie rechtsextreme | |
Rhetorik in Deutschland – eine Taktik, die bislang nur die [3][AfD fuhr, | |
deren vielfältige Kontakte in die rechtsextreme Szene] inzwischen immer | |
deutlicher herausgarbeitet werden. | |
Zu den Fakten: Es kommen monatlich nur rund 15.000 Menschen in Deutschland | |
an – jährlich weniger als [4][die 200.000, die die CSU im Wahlkampf als | |
„Obergrenze“] gefordert hat. Und im gesamten Jahr 2017 wurden nur 15.000 | |
Asylanträge direkt an den Grenzen Deutschlands gestellt. An denen hat sich | |
die CSU festgebissen, diese Geflüchteten will sie zurückweisen. | |
Für solch einen Klacks riskiert sie offenbar einen Koalitionsbruch und | |
vielleicht sogar einen historischen Bruch mit der CDU. Für ihn will sie | |
rechtstaatliche und menschenrechtliche Prinzipien opfern. Und für ihn einer | |
ihrer Spitzenpolitiker die Wortwahl von Rechtsextremisten. | |
Auch wenn AfD und CSU – und die rechtsextreme Meute, die wegen ihnen jetzt | |
Morgenluft wittert – was anderes behaupten: Es kommen inzwischen weniger | |
Flüchtlinge nach Deutschland, Tendenz sinkend. 2015 war ein deutlicher | |
Ausreißer in der Zahl der nach Deutschland geflohenen Menschen, mit 890.000 | |
Angekommenen – angesichts der Kriege im Nahen Osten ist das keine | |
dramatische Zahl. Sowohl 2014 als auch 2016 war die Zahl deutlich geringer. | |
Dabei bleiben viele Flüchtlinge gar nicht unbedingt in Deutschland. Die | |
Zahl der Flüchtlinge in Deutschland steigt weit weniger als die Zahl der | |
Ankünfte – aus vielen Gründen: Rück- und Weiterreisen, Abschiebungen, aber | |
auch weil Menschen ein regulärer Aufenthalt in Deutschland gewährt wird. So | |
kamen 2017 187.000 Asylsuchende in Deutschland an, die Zahl der Flüchtlinge | |
in Deutschland stieg dagegen nur um gut 80.000. | |
Von den 187.000 Einreisenden im Jahr 2017 stellten [5][lediglich rund | |
15.000] ihren Antrag an einer deutschen Außengrenze, über die | |
deutsch-österreichische Grenze kamen nur 1.740. Seit 2015 kontrolliert | |
Deutschland an dieser Grenze die ankommenden Menschen und will das auch bis | |
mindestens Ende diesen Jahres weiter tun. | |
Auch die immer wieder kursierende Behauptung, Merkel habe jahrelang nicht | |
gehandelt und die implizite Annahme, nichts habe sich verändert, ist | |
falsch. Seit dem umstrittenen Deal der EU mit der Türkei und spätestens | |
seit 2017 ist die Zahl der monatlichen Asylanträge [6][auf dem Niveau von | |
vor 2015 angekommen]. An dem Deal gibt es aus menschenrechtlicher Sicht | |
viel zu kritisieren, doch die Kritik der CSU, für die Geflüchtete offenbar | |
alleine als zu begrenzende Zahl existieren, hat weder Hand noch Fuß. | |
Als Innenminister muss Horst Seehofer diese Zahlen kennen, das Bundesamt | |
für Migration und Flüchtlinge ist seinem Ministerium zugeordnet. Er muss | |
wissen, dass die von ihm geforderte „Obergrenze“ für Flüchtlinge nicht | |
überschritten wird – im vergangenen Jahr tatsächlich nicht, dieses Jahr | |
voraussichtlich nicht. Er muss wissen, dass nur noch wenige Flüchtlinge | |
nach Deutschland kommen und dass gerade Merkels Handeln diese Zahl | |
reduziert hat. Und doch erweckt er öffentlich den falschen Eindruck. | |
Wissentlich. | |
Das kann nur eines heißen: Erstens, um Fakten über Geflüchtete geht es | |
nicht. Zweitens, Seehofer und die CSU nutzen eine bürokratische Lappalie | |
als Anlass, um eine jahrzehntelange politische Kooperation und die | |
Menschenrechte aufs Spiel zu setzen. Und drittens, sie betreiben dabei | |
Hetze, die es früher nur von Rechtsextremen gab. | |
15 Jun 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/robert_fietzke/status/1007307921972228097 | |
[2] http://faktenfinder.tagesschau.de/inland/soeder-asyltourismus-101.html | |
[3] /Schwerpunkt-AfD/!t5495296 | |
[4] /Abschluss-der-CSU-Klausur-in-Seeon/!5475168 | |
[5] https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/013/1901371.pdf | |
[6] http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Broschueren/bundesam… | |
## AUTOREN | |
Lalon Sander | |
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