| # taz.de -- Asylstreit zwischen CDU und CSU: Druck im Kessel | |
| > Die Ehekrise: Flüchtlingspolitik. Status: Sogar gestritten wird getrennt. | |
| > Scheidung: nur eine Falschmeldung. Zukunft: ungewiss. | |
| Bild: Sturköpfe unter sich | |
| Es scheint alles möglich am Freitag im Bundestag. Zur Mittagsstunde – die | |
| Aussprache zum Gesetzentwurf der Großen Koalition zum Familiennachzug für | |
| Geflüchtete läuft noch – macht in den Wandelhallen und im Plenarsaal eine | |
| heiße Information die Runde: Die CSU wolle noch am selben Tag ihre | |
| Fraktionsgemeinschaft mit der CDU aufkündigen; Termin für die | |
| Pressekonferenz sei 15 Uhr. | |
| Hektisches Getuschel und Gesimse setzt ein. Das Ende der Unionsfamilie? Das | |
| wäre dann sehr wahrscheinlich das Ende der Koalition. Die Bild-Zeitung | |
| übernimmt die Nachricht prominent auf ihre Onlinestartseite. Schließlich, | |
| nach knapp zehn Minuten, trudeln die Dementis ein. Die fingierte Eilmeldung | |
| war ein Scherz der Satirezeitschrift Titanic. Kopfschütteln. Weitermachen. | |
| Ist wohl gerade alles ein bisschen viel. | |
| Ob er die Fake-Meldung geglaubt habe? Hermann Gröhe lächelt. Der | |
| Vizefraktionschef der Union ist gerade auf dem Weg zur Westhalle des | |
| Reichstagsgebäudes, zurück zur Debatte. „Nein.“ Ob der Scherz an so einem | |
| Tag nicht gesundheitsgefährdend sei? Hermann Gröhe, bis vor Kurzem noch | |
| Bundesgesundheitsminister, lüftet das Jackett und legt seine Rechte auf das | |
| weiße Hemd, dorthin, wo ungefähr das Herz liegt. Er nickt. Andere schienen | |
| sich da nicht so sicher. | |
| Alles, wirklich alles scheint möglich dieser Tage, da die | |
| Regierungskoalition bedenklich schwankt. Tags zuvor waren die | |
| Unionsparteien in ihre bisher schwerste Krise geraten. Wegen des seit Tagen | |
| anhaltenden Streits über den sogenannten Masterplan Migration des | |
| CSU-Innenministers hatte die Unionsfraktion am Donnerstag den | |
| Sitzungsbetrieb unterbrechen lassen und sich zu stundenlangen Beratungen | |
| zurückgezogen. Es ging um die Frage, ob zuvor bereits in einem anderen | |
| EU-Land registrierte Geflüchtete an der deutschen Grenze abgewiesen werden | |
| dürfen – oder eben nicht. So tief war der Riss zwischen der CSU des neuen | |
| Heimatministers und der Kanzlerinnenpartei CDU, dass man getrennt | |
| voneinander stritt. | |
| ## „Kohl und Strauß waren auch nicht innig“ | |
| Nach mehr als drei Stunden verließ Horst Seehofer kommentarlos das | |
| Turmzimmer der CSU und verschwand im Fahrstuhl. Er ließ lieber seinen | |
| Landesgruppenchef für sich sprechen. Alexander Dobrindt sprach von einer | |
| „ernsten, einer sehr ernsten Situation“, die Zeit dränge, die Bürger hät… | |
| ein Recht auf schnelles staatliches Handeln. Am Montag wolle sich Seehofer | |
| deshalb vom CSU-Vorstand das Plazet für einen ministeriellen Alleingang | |
| holen. Es wäre eine Entscheidung gegen die Richtlinienkompetenz der | |
| Regierungschefin. Angela Merkel müsste Horst Seehofer entlassen. | |
| Aus dem Fraktionssaal, wo die CDU-Abgeordneten getagt hatten, vernahm man | |
| sowohl Kritik an der Kanzlerin als auch Gegrummel gegen die CSU. Der | |
| Brandenburger Abgeordnete Uwe Feiler formuliert es so: „Wir lassen uns | |
| nicht von unserer Schwesterpartei die Kanzlerin wegschießen.“ Feiler mahnt | |
| zur Besonnenheit. Jetzt hätten alle ein Wochenende Zeit zum Nachdenken, um | |
| sich wieder einzukriegen. „Kohl und Strauß waren auch nicht innig“, sagt | |
| der Finanzpolitiker, „aber wenn es drauf ankam, hielten sie zusammen.“ | |
| Ähnlich wie Uwe Feiler setzt auch Roderich Kiesewetter auf die Vernunft und | |
| die Rückbesinnung auf die gemeinsame Stärke der Beteiligten. Der | |
| CDU-Außenpolitiker verteidigt die Kanzlerin gegen den Zeitdruck der CSU. | |
| „Wenn Angela Merkel vier Wochen oder sechs Wochen oder länger braucht, aber | |
| wir dann Aussicht auf eine europäische Lösung haben, sollte das Vorrang | |
| haben.“ Kiesewetter hofft wie viele andere aus der Fraktion auf eine wieder | |
| gemeinsam bestrittene Fraktionssitzung in der kommenden Woche. Am Montag | |
| tagt in Berlin der CDU-Parteivorstand, in München der der CSU, danach wäre | |
| ein Zeichen der Gemeinsamkeit wichtig. „Aber wenn die CSU weiter eskaliert, | |
| wäre ich sehr überrascht. Das würde zu der Frage führen: Ist Horst Seehofer | |
| in der Regierung noch haltbar?“ | |
| ## Immer ein schöner Aha-Effekt | |
| Eine traurige Pointe des ganzen Streits ist ja, dass da einige wenige über | |
| ein Papier streiten, das nur sie kennen. In der Sitzung der | |
| CDU-Abgeordneten am Donnerstag hatte Kiesewetter sich mit der Forderung zu | |
| Wort gemeldet, den Parlamentariern endlich Seehofers „Masterplan“ | |
| zugänglich zu machen. „Wir reden über ein Papier, das wir nicht kennen, und | |
| beraten daraus nur über einen Punkt“, schildert er die Gemengelage. | |
| Dabei würde er seinen WählerInnen daheim in Baden-Württemberg gern erklären | |
| können, was eine Zurückweisung tatsächlich bedeuten würde. „Es gibt da | |
| großen Gesprächsbedarf.“ Wie viele PolizistInnen wären damit befasst? Wie | |
| lange würde eine solche Regelung gelten? Welche Auswirkungen hätte eine | |
| solche Maßnahme auf den Waren- und Güterverkehr? Was würde sie für | |
| Griechenland, Italien und Spanien bedeuten? In der aufgeheizten Stimmung | |
| der zurückliegenden Tage wirkt so eine Portion Realpolitik geradezu | |
| erholsam. Ja, sagt Roderich Kiesewetter, es gebe bei EntscheiderInnen und | |
| WählerInnen immer einen schönen Aha-Effekt. „Es gibt da großen | |
| Gesprächsbedarf.“ | |
| Den hat auch die Opposition. Für Freitagnachmittag hat die FDP eine | |
| aktuelle Anfrage in die ohnehin schon überbordende Tagesordnung des Plenums | |
| hineinverhandelt. „Haltung der Bundesregierung zum sogenannten Masterplan: | |
| Wie geht es weiter mit der Flüchtlings- und Integrationspolitik in | |
| Deutschland?“ lautet die Frage der Liberalen an die Bundesregierung. | |
| ## Routinierte Hasspropaganda gegen Merkel | |
| Das Wort „Chaos“ kenne im Deutschen keine Steigerung, wettert Marco | |
| Buschmann, Parlamentarischer Geschäftsführer der Liberalen. Wo der Plan der | |
| Bundesregierung sei, um das Thema endlich in den Griff zu bekommen? | |
| „Plötzlich kommt die große Ankündigung“, höhnt Buschmann, „endlich ha… | |
| einen Plan gefunden, es ist sogar ein Masterplan. Aber der ist noch nicht | |
| mal mit der Regierungschefin abgestimmt und dem Fraktionsvorsitzenden der | |
| Mehrheitspartei in diesem Haus gänzlich unbekannt.“ Ultimativ fordert er | |
| die Bundesregierung auf, endlich Entscheidungen zu treffen – „durch | |
| Beschluss oder durch Richtlinienkompetenz“. | |
| Mathias Middelberg von der CDU bemüht sich, Druck aus dem Kessel zu nehmen. | |
| „Wenn es intern Streit gibt, arbeiten wir das intensiv auf“, versucht er | |
| unter dem Gelächter der Abgeordneten eine Vorwärtsverteidigung. „Wir | |
| arbeiten doch an den Themen!“ Erst heute Morgen habe man im Bundestag das | |
| Familiennachzugsgesetz abschließend beraten. Und die nächsten Schritte | |
| seien schon im Verfahren: die Festlegung von mehr sicheren | |
| Herkunftsstaaten, so genannte Ankerzentren, in denen Geflüchtete interniert | |
| werden könnten, Aufarbeitung der Vorgänge beim Bundesamt für Migration und | |
| Flüchtlinge. | |
| Der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio scheint nach einem Dreivierteljahr noch | |
| immer nicht aus dem Wahlkampf- in den Arbeitsmodus gefunden zu haben. | |
| Routiniert spult er seine Hasspropaganda gegen Angela Merkel ab, diffamiert | |
| alles Fremde und kanzelt humanitäre Hilfe ab. | |
| An diesem Freitag ist in Berlin recht gut zu beobachten, wie der | |
| Parlamentarismus sich selbst Stück für Stück nach rechts rückt. An diesem | |
| Nachmittag – viele Abgeordnete sind bereits in ihr Wochenende und die | |
| sitzungsfreie Woche aufgebrochen – sprechen Menschen über Menschen, als | |
| wären sie nichts als Verwaltungsakte. Morgens der Beschluss über | |
| Tausender-Kontingente beim Familiennachzug – nachmittags rechte Rhetorik. | |
| „Was ist mit dir los, Europa?“, fragt die Grünen-Abgeordnete Filiz Polat. | |
| Ja, was? Alles scheint möglich. | |
| 15 Jun 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Junge | |
| Anja Maier | |
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