# taz.de -- Konzerne kassieren Agrarsubventionen: Staatsknete für Bonzen statt… | |
> Die Holding einer reichen Familie erhält jedes Jahr 5,5 Millionen Euro | |
> von der EU. Das muss weniger werden, sagt Agrarministerin Julia Klöckner. | |
Bild: Je größer die Felder, desto mehr Geld zahlt der Staat. Eine Ernte in Th… | |
BERLIN taz | Erstmals hat die Bundesregierung veröffentlicht, dass große | |
Holdings jeweils mehrere Millionen Euro Agrarsubventionen erhalten. Allein | |
Tochterunternehmen der Deutschen Agrar Holding kassierten vergangenes Jahr | |
mindestens 5,5 Millionen Euro, wie aus einer Antwort des | |
Landwirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion | |
hervorgeht. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Hof bekam nur [1][knapp | |
21.000 Euro]. Zum ersten Mal erklärt die Regierung von CDU/CSU und SPD nun, | |
die Zahlungen an Konzerne reduzieren zu wollen. | |
Kritische Bauernvertreter bemängeln schon lange, dass die Subventionen eine | |
ungleiche Vermögensverteilung zugunsten oft branchenfremder Konzerne und | |
zulasten kleiner Bauernhöfe förderten. Dabei bieten kleine Betriebe | |
durchschnittlich mehr Arbeitsplätze pro Hektar und eine größere Vielfalt | |
von Pflanzen und Tieren. Die Verbände Arbeitsgemeinschaft bäuerliche | |
Landwirtschaft und Freie Bauern beispielsweise fordern deshalb, dass bei | |
den laufenden Verhandlungen für eine Reform der EU-Agrarpolitik die | |
Zahlungen pro Betrieb begrenzt werden. | |
Die Agrar Holding kassiert vor allem deshalb so viel Geld vom Staat, weil | |
sie so viele Äcker und Wiesen hat. Denn der Löwenanteil der | |
EU-Subventionen, die Direktzahlungen, wird pro Hektar berechnet: Wer viel | |
Land hat, bekommt auch viel Geld. Die Firmengruppe des Bremer | |
Bauunternehmers Kurt Zech bewirtschaftet nach eigenen Angaben in | |
Ostdeutschland mehr als 20.000 Hektar Agrarfläche vor allem mit Mais für | |
Biogas-Anlagen. Der durchschnittliche Hof in Deutschland hat laut | |
Statistischem Bundesamt nur 63 Hektar. | |
Wie viel die Agrar Holding vom Staat erhält, war bislang offizell nicht | |
bekannt, weil sie in den öffentlichen Subventionsdatenbanken gar nicht als | |
Empfänger auftaucht – sondern nur ihre zahlreichen Tochterfirmen. In ihrer | |
Antwort ans Parlament nennt die Regierung nun die ihr bekannten | |
Tochterfirmen und deren Geldbeträge. | |
## Aufsichtsratschef lud AfD-Politiker Höcke ein | |
Die Eigentümerin der Deutschen Agrar Holding, die Zech Stiftung, sitzt im | |
Steuerparadies Liechtenstein. Sie investiert laut Holdingsprecher Holger | |
Römer vor allem in Immobilien, zum Beispiel in die „Atlantic Hotels“. Die | |
Holding sei auf die Zahlungen vom Staat angewiesen, sagte Römer der taz: | |
„Ohne die Subventionen geht es bei den Böden, die wir haben, gar nicht.“ | |
Das meiste Land liege in Brandenburg, wo die Böden nicht sehr fruchtbar | |
sind. Zur Höhe der Zahlungen vom Staat wollte Römer nichts sagen. | |
Der niedersächsischen Lindhorst-Gruppe ordnet das Agrarministerium | |
Tochterunternehmen zu, die 3,4 Millionen Euro Subventionen bekommen haben. | |
Die Firmengruppe verdient Geld mit Immobilien und Seniorenheimen, aber auch | |
mit großen Landwirtschaftsbetrieben – genauso wie die Agrar Holding im | |
Osten Deutschlands. Auch sie hat dort ehemalige Landwirtschaftliche | |
Produktionsgenossenschaften (LPG) aus DDR-Zeiten übernommen, die schon | |
immer viel größer waren als die Betriebe im Westen. | |
Der Aufsichtsratschef der JLW Holding, Jürgen Lindhorst senior, ist bereits | |
mehrmals politisch aufgefallen: 2018 bestätigte er der [2][Celleschen | |
Zeitung], dass er den rechtsextremen Thüringer Fraktionschef der AfD, Björn | |
Höcke, nach Winsen (Aller) eingeladen habe. „Höckes Vita und seine | |
Einstellungen zu Familie und traditionell deutschen Werten haben mich | |
beeindruckt“, zitierte die Zeitung Lindhorst. | |
2019 berichtete das [3][Göttinger Tageblatt] von einem Findling mit seinem | |
Familiennamen in altdeutscher Schrift und einer Wolfsangel an der Einfahrt | |
zu seinem Haus in Winsen. Dieses Symbol nutzen gern Rechtsextreme und | |
Neonazis, die Verwendung in einem politischen Kontext ist verboten. Bekannt | |
wurde das Ganze, weil der Stein direkt an der Straße platziert worden war, | |
die zur KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen führt, und sich Besucher darüber | |
beschwerten. | |
Lindhorsts JLW Holding AG bestätigte der taz die Berichte. Er habe Höcke | |
aber zu verstehen gegeben, dass er sich „von vielen Aussagen“ des | |
AfD-Politikers distanziere. Lindhorst habe auch beispielsweise Sahra | |
Wagenknecht von der Linken oder Boris Palmer von den Grünen zu | |
Diskussionsabenden eingeladen. Der Findling mit der Wolfsangel „besteht in | |
dieser Form bereits seit weit vor dem 2. Weltkrieg“. An derselben Straße | |
zur Gedenkstätte gebe es auch einen Gedenkstein mit Wolfsangel für den | |
Heimatdichter Hermann Löns – dessen [4][Blut-und-Boden-Romantik] die Nazis | |
für ihre Propaganda nutzten. Zu den Subventionen äußerte sich die JLW bis | |
Redaktionsschluss nicht. | |
## Sichere Rendite für Aldi-Erben | |
Tochterfirmen der Lukas-Stiftung, einer der drei Eigentümerinnen des | |
Discounters Aldi Nord, erhielten den Zahlen zufolge 3,1 Millionen Euro. Ein | |
Sprecher der Supermarktkette erklärte jedoch nach Bekanntwerden der | |
Regierungszahlen, die Stiftungsunternehmen hätten nur rund 950.000 Euro | |
erhalten. Der [5][Einstieg der Aldi-Erben] in Agrarbetriebe ist besonders | |
kritisiert worden, weil sie so bekannt sind und nicht aus der | |
Landwirtschaft kommen. Wahrscheinlich wollen die Aldi-Nord-Eigentümer ihr | |
Milliardenvermögen nun in Agrarflächen investieren, weil Staaten und Banken | |
kaum noch Zinsen auf Anleihen zahlen. Im Gegensatz dazu versprechen Äcker | |
wegen der EU-Agrarsubventionen eine sichere Rendite. | |
Eine Studie des bundeseigenen Thünen-Forschungsinstituts für Ländliche | |
Räume zeigt, dass immer mehr ostdeutsche Agrarunternehmen ortsfremden | |
Investoren gehören. Das traf Anfang 2017 auf 34 Prozent der 853 | |
untersuchten Firmen in allen neuen Bundesländern zu. 2007 waren es nur 22 | |
Prozent gewesen. | |
Agraraktivisten sprechen von Landgrabbing, also der illegitimen Aneignung | |
von Land. Die Gewinne aus der Nutzung des Bodens und Agrarsubventionen | |
fließen aus den Gemeinden ab. So wird der Wohlstand immer ungleicher | |
verteilt. Das trägt zur Frustration von Menschen auf dem Land bei, vor | |
allem im Osten. Sie merken zum Beispiel: Die reichen Erben aus dem Westen | |
machen hier Kasse und schaffen das Geld in den Westen. Überregional aktive | |
Kapitaleigentümer zahlen keine Ertrags- oder Einkommensteuer am Sitz ihrer | |
Tochterunternehmen. Die Boscor-Gruppe, die für die Aldi-Stiftung | |
Agrarbetriebe verwaltet, ließ eine Bitte der taz um Stellungnahme | |
unbeantwortet. | |
Auch die niedersächsische Unternehmerfamilie Steinhoff ist eher für andere | |
Investitionen als in der Landwirtschaft bekannt. Sie ist an dem | |
südafrikanischen Möbelkonzern [6][Steinhoff International Holdings] | |
beteiligt, der ab 2017 von einem Skandal um milliardenschwere | |
Bilanzmanipulationen erschüttert wurde. Der Steinhoff Familienholding | |
gehören laut Agrarministerium aber auch ostdeutsche Firmen, die 2019 rund | |
2,9 Millionen Euro Landwirtschaftszahlungen bekamen. Auch Steinhoff | |
reagierte nicht auf Anfrage der taz. | |
## EU-Kommission will Zahlungen begrenzen | |
Erstmals öffentlich fordert das Ressort von Bundesagrarministerin Julia | |
Klöckner (CDU) jetzt: „Nach Auffassung der Bundesregierung sollten die | |
EU-Agrarzahlungen an verbundene Unternehmen eingeschränkt werden.“ Sie | |
setze sich bei den laufenden Verhandlungen in Brüssel über die neue | |
Agrarpolitik dafür ein, „dass die Mitgliedstaaten künftig | |
Unternehmensverbünde mit ihren landwirtschaftlichen Tochterunternehmen als | |
einen Antragsteller behandeln können“. | |
Dann bekämen sie den Zuschlag für die ersten 46 Hektar eines | |
Landwirtschaftsbetriebs nur ein Mal. Das wird ihnen nicht sehr wehtun, denn | |
er macht etwa im Fall Steinhoff nur 0,4 Prozent der bekannten Zahlungen | |
aus. Aber die EU-Kommission schlägt vor, dass in Zukunft die wichtigste | |
Subventionsart – die Direktzahlungen – [7][auf 100.000 Euro] plus die | |
Arbeitskosten begrenzt wird. So eine Regel könnten die Tochterfirmen von | |
Holdings allerdings leicht umgehen, wenn sie, wie bisher, nicht wie ein | |
einziges Unternehmen behandelt werden. [8][Bislang ermöglicht] die EU den | |
Mitgliedstaaten, die Zahlungen auf 150.000 Euro pro Betrieb zu deckeln, | |
aber Deutschland nutzt diese Option nicht. | |
Auch Friedrich Ostendorff, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im | |
Bundestag, verlangt: „Zusammengehörige Unternehmen müssen gemeinsam | |
veranlagt werden und alle Zahlungen bei 100.000 Euro gekappt werden.“ | |
## Widerstand vom Bauernverband | |
Der stellvertretende Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands, Udo | |
Hemmerling, schrieb der taz, er lehne beides ab. Die Kürzung würde | |
„sinnvolle Strukturen und Entwicklungsperspektiven zum Beispiel bei | |
Agrargenossenschaften und anderen betrieblichen Kooperationen und | |
Rechtsformen in Frage stellen“. Wenn künftig geprüft werde, wer zu einer | |
Holding gehört, müssten „zehntausende kleinere und mittlere | |
Familienbetriebe ihre gesamten Gesellschafterverhältnisse gegenüber den | |
Antragsbehörden offenlegen“. | |
Die Daten der Bundesregierung zeigen aber, dass im vergangenen Jahr von der | |
Kappung der Direktzahlungen bei 150.000 Euro ohne Anrechnung der | |
Arbeitskosten nur 0,7 Prozent der 266.550 Höfe in Deutschland betroffen | |
gewesen wären. Diese 1.876 Großbetriebe liegen fast nur im Osten – vor | |
allem in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. In Bayern sind es | |
lediglich 8 und selbst im Agrarland Nummer eins, in Niedersachsen, nur 40. | |
Große Betriebe haben aber dank ihrer Finanzpower in der Agrarlobby großen | |
Einfluss – auch wenn sie in der Minderzahl sind. | |
14 Oct 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/eu-agrarpolitik-und-foerderung… | |
[2] https://www.cellesche-zeitung.de/Celler-Land/Winsen/Millionaer-aus-Winsen-l… | |
[3] https://www.goettinger-tageblatt.de/Nachrichten/Der-Norden/Unternehmer-zeig… | |
[4] https://www.ndr.de/geschichte/koepfe/Hermann-Loens-Der-umstrittene-Heidedic… | |
[5] /Landgrabbing-in-Ostdeutschland/!5621001 | |
[6] https://www.afm.nl/en/professionals/registers/meldingenregisters/substantie… | |
[7] https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/food-farming-fisheries/key_polic… | |
[8] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX%3A32013R1307… | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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