# taz.de -- EU will Agrarsubventionen neu verteilen: Kleine Höfe kämpfen um g… | |
> Eigentümergeführte Betriebe seien umweltfreundlicher als anonyme | |
> Kapitalgesellschaften, sagen Bauern. Warum sie trotzdem nicht mehr Hilfe | |
> bekommen. | |
Bild: Brüssel rät für die Agrarpolitik nach 2020, die Zahlungen auf 100.000 … | |
BARSIKOW taz | Ein schweres, grünes, mähdrescher-ähnliches Fahrzeug rollt | |
durch Reihen gelbbrauner Maispflanzen. Walzen an der Vorderseite dieses | |
„Feldhäckslers“ ziehen sie über zwei Platten nach unten. So reißt die | |
Maschine die Kolben heraus, die sie dann zerkleinert und durch ein Rohr auf | |
die Ladefläche eines nebenher fahrenden Transportfahrzeugs bläst. Messer an | |
der Unterseite der Maschine häckseln die Stängel und Blätter, die dann auf | |
dem Feld bleiben. Das Erntegut landet schließlich in einer kleinen | |
Biogas-Anlage. | |
„Es wird nur der Kolben geerntet“, erläutert Thomas Kiesel. Dem 49-jährig… | |
Bauern aus dem brandenburgischen Dorf Barsikow gehört der Maisacker. „Die | |
Bodenfruchtbarkeit wird erhalten, indem man Pflanzenreste dem Boden | |
zurückgibt, und die verrotten zu Humus.“ Natürlich könnte er stattdessen | |
das Stroh auch verkaufen, 100 Euro pro Hektar würde das bringen. „Aber man | |
sollte überlegen: Bringen mir die 100 Euro jetzt im Portemonnaie mehr oder | |
bringen sie der nächsten Generation mehr“, ergänzt der Landwirt. | |
Andere Agrarfirmen in der Region entscheiden sich lieber für das | |
kurzfristige Geschäft. Zum Beispiel, wenn sie für eine riesige | |
Biogas-Anlage Mais anbauen, die einem millionenschweren Betreiber in | |
Niedersachsen gehört. | |
Diese Betriebe gehören nicht einem einzelnen Bauern wie Kiesel, sondern | |
sind Gesellschaften wie GmbHs oder Genossenschaften mit mehreren | |
Teilhabern. Die Gesellschafter solcher Firmen arbeiten oft nicht in dem | |
Betrieb. Manche wohnen nicht einmal in der Nähe. Meist haben diese Firmen | |
mehr Land und mehr Tiere als von einzelnen Bauern geführte Höfe. Kiesel | |
etwa liegt mit seinen 400 Hektar – ungefähr doppelt so viel Fläche wie der | |
Berliner Tiergarten – weit unter den durchschnittlich [1][rund 750 Hektar] | |
der landwirtschaftlichen Betriebe in Ostdeutschland, die als juristische | |
Personen organisiert sind. | |
## Hecken für die Vögel | |
„Da sind nur kleene Stoppeln. Und dann ist Ruhe“, sagt Kiesel auf dem | |
abgeernteten Maisfeld eines solchen Betriebs. Zwischen den Reihen ist nur | |
nackte Erde zu erkennen. | |
Kiesel hat mehrere Beispiele, die zeigen sollen, dass ein bäuerlicher | |
Familienbetrieb wie seiner besser für die Umwelt sei als eine anonyme | |
Kapitalgesellschaft. So pflanze er auch 100 bis 200 Bäume pro Jahr an den | |
Rändern seiner Äcker, erzählt der Agraringenieur. Jedes seiner 30 Felder | |
sei von mindestens einer Reihe Hecken umgeben. „Das sind Nistmöglichkeiten | |
für Vögel“, sagt Kiesel. „Ich freue mich, wenn ich da entlanggehe am | |
Wochenende, und das blüht alles.“ Er spaziert dort häufig, denn er wohnt | |
teilweise direkt neben seinen Feldern. „Der Betrieb ist ja auch mein | |
Vorgarten“, sagt er. | |
Auf einem anderen Acker blühen gelbe, weiße und lila Pflanzen. Zwei Rehe | |
ziehen über das Feld. Senf, Buchweizen und Lupine hat Kiesel hier gesät. | |
Die werde er nicht ernten, sondern unterpflügen, bevor er im März hier | |
Sonnenblumen aussäht, kündigt der Landwirt an, der auch im Vorstand des | |
Bauernbunds Brandenburg sitzt, eines kleinen Verbands für bäuerliche | |
Familienbetriebe. So wird auch diese Zwischenfrucht den Boden fruchtbarer | |
hinterlassen. „Das macht nur ein Privater“, sagt der Landwirt. | |
Stimmt das wirklich? „Es ist plausibel, dass bäuerliche Familienbetriebe | |
ökologischer sind, weil sie eher an die nächste Generation denken“, sagt | |
Reinhard Jung, Geschäftsführer des Bauernbunds Brandenburg. Beispiel | |
Kiesel: Er hofft, dass einer seiner Söhne den Hof übernimmt. Deshalb könnte | |
Kiesel sich stärker verpflichtet fühlen, den Boden und andere | |
Produktionsgrundlagen langfristig zu erhalten, als ein angestellter | |
Betriebsleiter, „der heute hier und morgen in Lettland“ ist, wie Jung sagt. | |
## Nur schneller Profit? | |
„Kapitalgesellschaften geht es immer um die höchste Wirtschaftlichkeit“, | |
ergänzt Onno Poppinga, emeritierter Agrarprofessor und Mitgründer der | |
ökologisch orientierten Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft | |
(AbL). „Bei bäuerlichen Betrieben geht es darum, ein ausreichendes | |
Einkommen zu erzielen.“ Tatsächlich sagt Kiesel: „Ich bin nicht so der | |
Kaufmann, der alles durchrechnet. Ich mache viel nach Gefühl.“ Das würde | |
wohl kaum ein Geschäftsführer eines großen Agrarunternehmens von sich | |
behaupten. | |
Für die meist kleinen, bäuerlichen Höfe spricht laut AbL auch, dass sich | |
das potenziell gesundheits- und umweltschädliche Nitrat aus Düngern | |
regional besser verteile: Bei großen Betrieben mit immer mehr Tieren | |
konzentriert sich Gülle auf ein kleineres Gebiet und belastet dort Natur | |
und Wasser deutlich stärker, als wenn sie regional gleichmäßig auf mehrere | |
kleine Höfe verteilt wären, sagt AbL-Bundesgeschäftsführer Ulrich Jasper. | |
Vergangenes Jahr belegte ein Regierungsbericht, dass [2][in großen | |
Betrieben Tiere häufiger mit Antibiotika behandelt] werden als in kleinen | |
Betrieben. Der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung trägt Behörden | |
zufolge dazu bei, dass krankmachende Bakterien unempfindlich gegen die | |
Medikamente werden. Kleinere Betriebe geben auch pro Hektar weniger Dünger | |
und Pestizide in die Umwelt ab. Das zeigt sich am Beispiel der | |
Pflanzenschutzmittel: Im Wirtschaftsjahr 2017/18 zahlten [3][laut | |
Agrarstatistik] Höfe mit 50 bis 100 Hektar Fläche 42 Prozent weniger für | |
solche „Artenkiller“ als Betriebe mit mehr als 250 Hektar. Große Betriebe | |
tendieren zudem eher dazu, die für Tiere wichtigen Bäume und Hecken an | |
Feldrändern zu roden, um kleine Flächen zusammenzulegen und effizienter zu | |
bearbeiten. Studien der Universität Göttingen haben gezeigt, dass in | |
Agrarlandschaften [4][mit kleinen Feldern mehr Insekten- und Pflanzenarten] | |
vorkommen als in Regionen mit weitläufigen Äckern. | |
Doch all das sind nur Indizien. Man kann nur annehmen, dass die kleinen | |
Betriebe auch die kleineren Felder hatten – erfasst haben die | |
Wissenschaftler das jedoch nicht. „Es gibt da viel Hörensagen, aber wenig | |
belastbare Ergebnisse“, sagt Alfons Balmann, Leiter des Leibniz-Instituts | |
für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien über die | |
Groß-klein-Diskussion. „Wir haben keine wissenschaftlichen Studien zu der | |
Frage, ob bäuerliche Betriebe umweltfreundlicher sind“, sagt selbst | |
Bauernbund-Funktionär Jung. Auch AbL-Gründer Poppinga räumt ein: „Der | |
Einzelfall kann anders sein als die Theorie. Es hängt vom Betriebsleiter ab | |
und von Kreis an Berufskollegen, in dem er sich bewegt. Wer frisch von der | |
Fachschule kommt, ist auf jeden Fall auf hohe Intensität eingenordet.“ | |
Deshalb argumentiert der Bauernbund nicht nur mit der Ökologie: „Für eine | |
demokratische Nahrungsmittelerzeugung, die nicht von wenigen Konzernen | |
abhängt, brauchen wir eine breite Streuung des Eigentums mit vielen | |
Erzeugern“, so Jung. | |
## Mehr Vielfalt | |
Darauf antwortet Balmann, dass die großen Agrargenossenschaften in | |
Ostdeutschland im Schnitt 25 bis 30 Mitglieder hätten, was dann pro Hektar | |
gar nicht so wenig sei. Das Land gehöre noch viel mehr Eigentümern, die es | |
verpachtet haben. Aber: Geführt werden diese Großbetriebe in der Regel von | |
nur einer Person, während sonst eben 25 selbständige Bauern das Land | |
bewirtschaften würden. Das könnte zu mehr Vielfalt führen dabei, welche | |
Pflanzen wie angebaut werden. Außerdem sind viele Betriebe auch keine | |
Genossenschaften, sondern GmbHs – die zunehmend auch branchenfremden | |
Investoren wie der Münchner Rückversicherung oder den Erben des Aldi-Clans | |
gehören, die nicht in der Region leben. Doch wenn es weniger Betriebe gibt, | |
kann das auch zu einer ungleicheren Verteilung des Wohlstands beitragen: | |
Große Betriebe kommen im Schnitt mit weniger Arbeitskräften pro Tier oder | |
Hektar aus. | |
Der Bauernbund Brandenburg fordert deswegen, dass die EU das System der | |
jährlich rund 60 Milliarden Euro Agrarsubventionen reformiert, die etwa die | |
Hälfte der Einkommen landwirtschaftlicher Betriebe ausmachen. Denn bisher | |
wird die wichtigste Subventionsart, nämlich die Direktzahlungen, pro Hektar | |
Fläche berechnet. Deshalb bekommen die größten Betriebe die höchsten | |
Geldbeträge vom Staat. „Warum sollen die Millionen bekommen?“, fragt | |
Kiesel. So könnten Großbetriebe Kosten einsparen, zum Beispiel, weil sie | |
ihre Maschinen besser auslasten könnten. Das sind Gründe, weshalb laut | |
Statistischen Bundesamt vor allem die kleinen Höfe schließen. Von 2010 bis | |
2019 ging die Zahl landwirtschaftlicher Betriebe insgesamt um [5][11 | |
Prozent] auf etwa 267.000 zurück. | |
Der Bauernbund will, dass die Förderung nur noch an Betriebe bis | |
beispielsweise 400 Hektar geht, die sich im Eigentum von ortsansässigen | |
Landwirten befinden. Konzerne bekämen dann nichts mehr, selbst wenn sie | |
ihre Großbetriebe in mehrere kleine aufteilten – denn Eigentümer müssten ja | |
Bauern sein, die auch vor Ort leben. So eine Reform würde kleinere Betriebe | |
mit regionaler Verankerung im Konkurrenzkampf gegen Großunternehmen | |
stärken. | |
Die AbL besteht zwar nicht darauf, dass nur Ortsansässige Subventionen | |
bekommen dürfen. „Das würde gegen EU-Verträge verstoßen, die die | |
Diskriminierung von Bürgern anderer EU-Staaten verbieten“, sagt | |
Geschäftsführer Jasper. Er verlangt aber ebenfalls, dass die Zahlungen für | |
sehr große Betriebe stark begrenzt werden. Ab 200 Hektar solle der Betrag | |
pro Hektar schrumpfen, so Jasper. „Bei 1.000 Hektar gibt es dann fast eine | |
Halbierung der Zahlungen gegenüber heute.“ Mehrere Betriebe desselben | |
Eigentümers könnten wie ein Betrieb behandelt werden. | |
Sogar die EU-Kommission hat in ihrem Vorschlag für die Agrarpolitik nach | |
2020 geraten, die [6][Zahlungen auf 100.000 Euro pro Betrieb zu begrenzen] | |
und ab 60.000 Euro zu kürzen. Davon ausgenommen werden sollen die Kosten | |
für Arbeitskräfte. Aber die Mitgliedstaaten blockieren diese im EU-Sprech | |
„Kappung und Degression“ genannten Punkte bisher – allen voran Deutschlan… | |
Der Vorschlag sei „[7][zu verwaltungsaufwändig] und hätte nur geringe, | |
regional stark konzentrierte Effekte“, so das Agrarministerium. Derzeit | |
verhandeln die Landwirtschafts- und Umweltausschüsse des Europaparlaments | |
darüber. | |
Der Bauernbund vermutet hinter der Ablehnung aus Berlin einfach den | |
mächtigen Deutschen Bauernverband, der maßgeblich von den Großbetrieben im | |
Osten beeinflusst wird. „Die großen Betriebe“, sagt Kiesel, „haben eben | |
eine große Lobby.“ | |
18 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Broschueren/DatenundFakten.pdf?__b… | |
[2] /Regierungsbericht-zu-Tierhaltung/!5598805 | |
[3] https://www.bmel-statistik.de/fileadmin/daten/BFT-1100000-2018.xlsx | |
[4] /Kampf-gegen-das-Insektensterben/!5488270 | |
[5] https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forst… | |
[6] https://ec.europa.eu/info/food-farming-fisheries/key-policies/common-agricu… | |
[7] https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Broschueren/Agrarbericht2019.html | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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