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# taz.de -- Konflikt um Bergkarabach: Im Zustand der Auflösung
> Knapp 24 Stunden nach dem Angriff Aserbaidschans auf Bergkarabach
> kapituliert das Gebiet. Bilder von vor Ort zeigen Zerstörung und
> flüchtende Menschen.
Bild: In Trümmer gelegt: Zerstörte Gebäude in der Hauptstadt Stepanakert zeu…
Berlin taz | Die Journalistin Sirane Sargsyan nimmt die Weltöffentlichkeit
mit auf einen Morgenspaziergang durch Stepanakert, Hauptstadt der armenisch
besiedelten Region Bergkarabach.
[1][Das Video, das sie auf X (vormals Twitter) teilt], zeigt die Karkasse
eines Autos: Die Rückscheibe zertrümmert, die Windschutzscheibe eine
milchige Matte aus Glassplittern, das silberne Metall durchlöchert von
Einschüssen. Sie läuft weiter, die Kamera schwenkt über die Häuser, die die
Straße säumen. In vielen Schaufenstern ist kein Glas mehr, auf dem Boden
liegt Schutt. Ein weiteres Video, zwei Stunden später: Die Kamera zeigt
grüne Bäume vor bewölktem Himmel, im Hintergrund knallt es, eine Salve, die
nach Schüssen klingt.
[2][Am Dienstagmittag griff Aserbaidschan das armenisch besiedelte,
völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörende Gebiet Bergkarabach an].
Zunächst aus der Luft, dann vom Boden aus mit Truppen, die von
aserbaidschanischer Seite einmarschierten. Schnell zeigte sich, mit welcher
zügigen Geschwindigkeit das aserbaidschanische Militär voranschreiten
konnte.
Die Truppen Bergkarabachs – das sich als Republik Arzach für unabhängig
erklärte, also weder Teil Armeniens noch Aserbaidschans ist – hatten den
Aserbaidschanern wenig entgegenzusetzen. Die kleine Region stand in den
vergangenen Monaten unter aserbaidschanischer Blockade, selbst Brot und
Medikamente wurden knapp, von militärischer Ausrüstung ganz zu schweigen.
Das aserbaidschanische Militär ist wiederum gut ausgestattet, mit
israelischem und türkischem Equipment.
## Ohne Strom und Internet
Auch in der Nacht ließen sie nicht locker. [3][Das zeigen Videos, die
Sargsyan auf X teilte]: Vor schwarzem Himmel – lokalen Quellen zufolge
brach im Zuge des aserbaidschanischen Angriffs auch die durch die Blockade
bereits eingeschränkte Stromversorgung zusammen – knallen dumpf die
Explosionen.
Marut Vanyan ist ebenfalls Journalist. Auch er teilt auf X, wie er die
Stunden seit dem Angriff erlebt hat – falls sein Handy denn funktioniert.
[4][In der Nacht erzählt er seinen Followern]: Das Internet funktioniere
kaum, er suche einen Ort, um sein Handy aufzuladen. Er gehe zum Krankenhaus
in Stepanakert, dort gibt es wohl Strom.
In der selben Nacht teilt er ein Video. Es ist verschwommen, wacklig, nur
schemenhaft erkennt man ein parkendes Auto, das Nummernschild leuchtet
grell weiß auf. Man hört die Schritte Vanyans, er geht zügig. Dann knallt
es, laut und dumpf, wie ein Donner. Kurz darauf knallt es noch einmal, es
klingt lauter, näher, Vanyans Schritte werden schneller. „Riesige Explosion
in Stepanakert“ schreibt er dazu.
## Mindestens 100 Tote bis zum Waffenstillstand
Als der Mittwochmorgen hereingebrochen ist, teilt Vanyan weiter Bilder und
Videos. Auf einem steigt weißer Rauch in Stepanakert auf. A[5][uf einem
anderen, das er gegen 12 Uhr Ortszeit teilt, sind zwei Frauen zu sehen]. In
den Händen tragen sie Taschen, im Hintergrund bückt sich ein Mann, um
ebenfalls zwei große Taschen aufzuheben.
Kurz danach wird vermeldet: Bergkarabach und Aserbaidschan stimmen einer
von den russischen Friedenstruppen vermittelten Waffenruhe zu. Die Truppen
Bergkarabachs müssen ihre Waffen abgeben – eine Kapitulation vor den viel
mächtigeren Aserbaidschanern.
Armenien hatte da schon lange bekanntgegeben, dass es Bergkarabach nicht
mit militärischer Hilfe beistehen wird. Dagegen demonstrieren die Menschen
nun in der Hauptstadt Jerewan. Denn die emotionale Verbindung zu dem Gebiet
ist groß, und Schuld an der Kapitulation Bergkarabachs hat für sie auch die
eigene Regierung, und deren Untätigkeit.
Mindestens 100 Menschen seien bis zum Waffenstillstand getötet, Hunderte
verletzt worden, erklärt Ruben Wardanjan, ehemaliger Regierungschef des
international nicht anerkannten Arzach, der Nachrichtenagentur Reuters.
## Menschensammlung am Flughafen
In einem Statement der Behörden Bergkarabachs geben diese bekannt,
Verhandlungen mit Aserbaidschan über die Integration des Gebietes in deren
Hoheit akzeptiert zu haben. Sie verpflichten sich außerdem zur Auflösung
und Entwaffnung ihrer Streitkräfte, die unter russischer Aufsicht erfolgen
soll. Die aserbaidschanischen Behörden bestätigen die Einigung.
Das Foto der mit Taschen bepackten Menschen ist ein Vorgeschmack auf
[6][ein Bild, das später vom Medium 301.am auf X geteilt wird]. Es zeigt
den Flughafen in Stepanakert, der unter der Kontrolle der russischen
Friedenstruppen steht, an den Fahnenmästen wehen die Flaggen Armeniens,
Bergkarabachs und Russlands. Über 2.600 Menschen sollen sich dort
versammelt haben, schreibt 301.am. Viele scheinen die Realität, dass sie
ihr Siedlungsgebiet werden verlassen müssen, akzeptiert zu haben.
Doch nicht alle Menschen in Bergkarabach wollen sich dem Waffenstillstand
und den Beschlüssen ihrer Regierung unterordnen. Wie 301.am berichtet,
haben die Einwohner des Ortes Martakert sich entschlossen, weiterzukämpfen.
Der Strom an Bildern wird nicht versiegen.
Hinweis: In der ersten Version des Teasers dieses Textes stand, Armenien
habe kapituliert. Bergkarabach ist zwar armenisch besiedelt, aber nicht
Teil des Staatsgebietes Armeniens. Wir haben das korrigiert.
20 Sep 2023
## LINKS
[1] https://x.com/SiranushSargsy1/status/1704366557042766122?s=20
[2] /Krieg-um-Bergkarabach-ausgebrochen/!5958247
[3] https://x.com/SiranushSargsy1/status/1704250667643072523?s=20
[4] https://twitter.com/marutvanian/status/1704221407373128166
[5] https://twitter.com/marutvanian/status/1704409087725772872
[6] https://twitter.com/301arm/status/1704458805419852255
## AUTOREN
Lisa Schneider
## TAGS
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Nikol Paschinjan
Aserbaidschan
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