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# taz.de -- Konflikt um Bergkarabach: Auf den Schwachen drauf
> Seit Längerem stehen die Karten für Armenien im Konflikt um Bergkarabach
> schlecht. Auch die frühere Schutzmacht Russland ist anderweitig
> beschäftigt.
Bild: Ein Bild des russischen Verteidigungsministeriums zeigt die Evakuierung v…
ISTANBUL taz | [1][Mit der Kapitulation der armenischen Milizen aus
Bergkarabach] könnte eine jahrhundertelange Siedlungsgeschichte des
armenischen Volkes in diesem Teil des Südkaukasus zu Ende gehen. Zwar
werden am heutigen Donnerstag Gespräche zwischen armenischen Vertretern von
Bergkarabach und aserbaidschanischen Offiziellen über die zukünftige
Integration der Armenier in Bergkarabach stattfinden. Doch unabhängig davon
werden viele armenische Bewohner der umkämpften Bergregion ihre Heimat
verlassen und nach Armenien gehen. Der wechselseitige Hass und die Angst
vor Racheakten und einem neuen Völkermord sind viel zu groß.
Bergkarabach (im Armenischen: Arzach) wird in Armenien als eines der
historischen Siedlungsgebiete, als Wiege der Armenier, mythisch überhöht.
Dabei war das Gebiet immer schon auch Teil der Konfliktzone zwischen
Persern, Russen und dem Osmanischen Reich.
Die neueren Konflikte um die Region entstanden durch die
Nationalitätenpolitik Stalins. Dieser wollte sich die Feindschaften der
vielen Völker im Kaukasus untereinander für die Stabilität der Sowjetunion
zunutze machen. Er verfügte deshalb, dass das überwiegend von Armeniern
bewohnte Karabach nicht Teil der Sowjetrepublik Armenien wurde, sondern
sich als autonome Region innerhalb der Sowjetrepublik Aserbaidschan
wiederfand.
Die damit verbundenen Probleme blieben in der Sowjetunion weitgehend unter
dem Deckel, wurden aber bereits sichtbar, als unter Gorbatschow die
Autorität der Zentrale zu bröckeln begann. Im Chaos der sich auflösenden
Sowjetunion sagten sich die Armenier dann von Aserbaidschan los und wollten
eine eigene Republik gründen, beziehungsweise ihren Anschluss an das
Mutterland Armenien durchsetzen.
## Anfang der 90er Jahre war Armenien noch im Vorteil
Damit begann ein jahrelanger Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan um
die Kontrolle von Bergkarabach, dem das taumelnde Russland unter Jelzin
zunächst tatenlos zusah. Armenien war Anfang der 90er Jahre mit
Unterstützung hochmotivierter Freiwilligenverbände aus der Diaspora
militärisch im Vorteil und kämpfte nicht nur einen Korridor nach
Bergkarabach frei, sondern besetzte anschließend auch alle
aserbaidschanischen Provinzen rund um Karabach, bis Russland einen
Waffenstillstand vermittelte.
Armenien besiedelte diese Gebiete nicht, sondern wollte sie als
militärische Pufferzone zu Aserbaidschan vorhalten. Unterdessen tagte
Jahrelang eine diplomatische Kontaktgruppe im Rahmen der OSZE. Weit kam
diese nie, weil Russland als wichtigster Akteur jede politische Lösung
blockierte. Moskau hatte in Armenien seinen letzten großen
Militärstützpunkt im Kaukasus und war mit dem eingefrorenen Konflikt ganz
zufrieden.
Doch nach und nach veränderte sich die Situation zu Ungunsten der Armenier.
Nachdem 2009 eine diplomatische Initiative des damaligen türkischen
Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu unter anderem daran scheiterte, dass
Armenien sich weigerte, im Gegenzug für die Öffnung der Grenze zur Türkei
einige der besetzten Gebiete an Aserbaidschan zurückzugeben, setzte
Präsident Erdoğan voll auf die militärische Unterstützung Aserbaidschans.
Zusätzlich nutzte [2][Präsident Alijew] die Öl- und Gaseinnahmen seines
Landes für die Aufrüstung seiner Armee.
## Armenien ist ohne russische Unterstützung
2020 startete dann Aserbaidschan seinen lang vorbereiteten Angriff zur
Rückeroberung seiner Provinzen und Bergkarabachs. Mit Unterstützung der
Türkei rückte die aserbaidschanische Armee auch im Kerngebiet von Karabach
vor und eroberte rund die Hälfte des Territoriums, [3][bis Putin den
Vormarsch stoppen ließ, um seinen Einfluss im Südkaukasus zu behalten.]
Der Angriff Russlands auf die Ukraine verschlechterte die Position
Armeniens zusätzlich. Für Putin wurden die Beziehungen zur Türkei und
Aserbaidschan wichtiger als die russische Stellung in Armenien.
Genau diese Schwäche nutzte Alijew möglicherweise nun, als er seine Truppen
in den vergangenen zwei Tagen auch die restlichen Gebiete Bergkarabachs
beschießen ließ. Die westlichen Staaten, die USA und die EU haben in dem
gesamten Konflikt nie eine große Rolle gespielt. Auch in Zukunft wird
Armenien wohl weitgehend auf sich allein gestellt sein.
20 Sep 2023
## LINKS
[1] /Feuerpause-in-Bergkarabach-vereinbart/!5961507
[2] /Eskalation-im-Suedkaukasus/!5812542
[3] /Konflikt-um-Bergkarabach/!5727881
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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Nikol Paschinjan
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