# taz.de -- Armenische Community in Hamburg: „Wir sind leer und verzweifelt“ | |
> Hamburgs armenische Community fühlt sich angesichts des Kriegs in | |
> Bergkarabach ohnmächtig. Hinzu kommt die Bedrohung durch türkische | |
> Rechtsradikale. | |
Bild: Schon Anfang September demonstrierten junge Armenier:innen in Hamburg | |
Hamburg taz | „Die aktuelle Situation in Bergkarabach löst in mir ein | |
tiefes Gefühl der Frustration und Trauer aus“, sagt Karina Vartanjan. | |
„Besonders für ältere Generationen meiner armenischen Freunde und Bekannten | |
in Hamburg sind die immer wiederkehrenden Angriffe retraumatisierend, da | |
sie sich an den [1][Völkermord an den Armeniern] aus 1915 erinnert fühlen.“ | |
Vartanjan ist Diaspora-Jugendbotschafterin Armeniens in Hamburg und | |
Vorsitzende des armenischen Jugendvereins Kilikia Hamburg. „Mit dem Verein | |
wollen wir die armenische Identität und Kultur von jungen Menschen in der | |
Diaspora stärken. Wir organisieren dafür kulturelle Angebote und | |
Bildungsveranstaltungen in Hamburg“, erzählt sie über ihre Arbeit. Sie hat | |
sich durch [2][den Krieg von Aserbaidschan in Bergkarabach 2020] | |
politisiert und angefangen, sich in die armenische Community einzubringen. | |
In und um Hamburg existiert eine der größten armenischen Communitys in | |
Deutschland. Wie geht es den hier in der Diaspora lebenden | |
Armenier*innen angesichts der [3][Kriegshandlungen in Bergkarabach?] | |
Von Ohnmachtsgefühlen berichtet Anni-Maria Wehbe von der Gruppe [4][„Miasin | |
for Artsakh]“. Der Verein leistet von Hamburg aus humanitäre Hilfe für die | |
Region Artsakh. Darüber hat Wehbe direkte Kontakte zu Menschen vor Ort und | |
konnte mitverfolgen, wie diese in den letzten Monaten durch die Blockade | |
des Latschin-Korridors zwischen der Exklave und dem armenischen Kernland | |
immer weiter aushungerten. „Ich bin gerade nicht mehr in der Lage dazu, | |
etwas zu machen. Wir sind momentan leerer und verzweifelter als während des | |
Krieges 2020, weil einfach nichts passiert“, sagt sie. | |
„Ich habe in der letzten Nacht kaum geschlafen“, sagt auch die in Armenien | |
geborene und aufgewachsene Hasmik Matinyan am Mittwoch. Bis zwei Uhr habe | |
sie wachgelegen und die Nachrichten zu den [5][Angriffen] gelesen. | |
Mit 13 ist Matinyan nach Deutschland gekommen, der Großteil ihrer Familie | |
lebt noch in Armenien. „Bei mir und vielen Armenier*innen, mit denen ich | |
spreche, weckt die aktuelle Situation starke Ängste und Erinnerungen“, | |
erzählt sie. „Teilweise kann ich mich selbst noch an den Krieg aus den | |
90er-Jahren erinnern. Wir haben im Osten von Armenien nahe zu Aserbaidschan | |
gelebt und die Angriffe damals mitbekommen.“ | |
Im Laufe des Mittwochs kam die Nachricht, dass Bergkarabach sich | |
[6][Aserbaidschan ergeben werde]. Dafür sicherte Aserbaidschan eine | |
Feuerpause zu. Ob und unter welchen Bedingungen es zu dem Waffenstillstand | |
gekommen ist, lässt sich aufgrund der lückenhaften Berichterstattung nicht | |
klar sagen, mehrere Berichte sprechen dagegen. | |
Ausgerechnet am Mittwoch sollte in der Hamburger Laeiszhalle ein Konzert | |
des aserbaidschanischen Musikers [7][Isfar Sarabski] stattfinden – | |
veranstaltet von der Botschaft der Republik Aserbaidschan. Das Konzert | |
wurde spontan abgesagt. Auf taz-Nachfrage zu den Gründen der Absage | |
erklärte ein Pressesprecher von Elbphilharmonie und Laeiszhalle, die Absage | |
sei von der Botschaft ausgegangen und nur diese könne Angaben zu ihren | |
Gründen machen. Eine Nachfrage, ob die Laeiszhalle auch in Zukunft mit der | |
Botschaft Aserbaidschans zusammenarbeiten würde, blieb unbeantwortet. | |
Die Diaspora-Jugendbotschafterin Karina Vartanjan fordert Deutschland und | |
die EU dazu auf, Aserbaidschan für seine Politik in Bergkarabach zu | |
sanktionieren. Sie sieht sich in der Pflicht, sich über ihre Arbeit für | |
armenische Jugendliche in Hamburg hinaus auch politisch für die | |
Armenier*innen in Bergkarabach einzusetzen. | |
Das ist [8][nicht immer leicht.] „Eine breite Solidarisierung für | |
armenische Belange wird erheblich durch Drangsalierungen seitens der | |
türkischen rechtsextremen [9][Grauen Wölfe] erschwert“, sagt Vartanjan. | |
Nicht selten seien Organisator*innen von Demonstrationen in der | |
Vergangenheit von Anfeindungen und Bedrohungen betroffen gewesen. | |
„Ich weiß von mehreren Menschen in meinem Umfeld, dass sie bei dem Krieg | |
2020 angegriffen und bedroht wurden, weil sie als Armenier*in erkennbar | |
waren“, sagt auch Hasmik Matinyan. | |
## Morddrohungen von den Grauen Wölfen | |
Eine andere Armenierin, die anonym bleiben will, da sie vor einigen Jahren | |
[10][Morddrohungen von den Grauen Wölfen] erhielt, sah sich durch die | |
Bedrohungslage dazu gezwungen, sich nicht mehr öffentlich zu Armenien zu | |
äußern. Zuvor hatte sie über den Genozid des Osmanischen Reichs an den | |
Armenier*innen 1915 geschrieben, dem auch ihre Vorfahren zum Opfer | |
fielen. „Ich bin in Deutschland nicht sicher vor diesen Rechtsextremisten, | |
sie können mir drohen und es hat keine Konsequenzen! Viele | |
Armenier*innen trauen sich deshalb nicht, sich öffentlich politisch zu | |
engagieren“, sagt sie. | |
Auch sie berichtet von einem starken Gefühl der Hilflosigkeit. Schon 2020 | |
seien viele Menschen in ihrem Umfeld, die sich zuvor stark eingebracht | |
hatten, an dieser Hilflosigkeit zerbrochen. „Meine Mutter konnte dieses | |
unendliche Leid nicht mehr ertragen und hat ihre armenische Identität | |
komplett abgelegt, sie spricht auch kein Armenisch mehr“, erzählt sie. | |
„Inzwischen frage auch ich mich, wie lange ich es noch aushalten kann, | |
Armenierin zu sein.“ | |
22 Sep 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Genozid-an-den-Armeniern/!5938654 | |
[2] /Konflikt-um-Bergkarabach/!5958399 | |
[3] /UN-Sicherheitsrat-zu-Bergkarabach/!5961765 | |
[4] https://www.miasin.de/ | |
[5] /Krieg-um-Bergkarabach-ausgebrochen/!5958247 | |
[6] /Konflikt-um-Bergkarabach/!5958527 | |
[7] https://www.isfarsarabski.com/ | |
[8] /Experte-ueber-Krieg-um-Bergkarabach/!5958523 | |
[9] /Verbot-der-rechtsextremen-Grauen-Woelfe/!5725562 | |
[10] /Rechtsextreme-Graue-Woelfe/!5825751 | |
## AUTOREN | |
Marta Ahmedov | |
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Nikol Paschinjan | |
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