# taz.de -- Trotz Waffenstillstands in Bergkarabach: Weiter unter Beschuss | |
> Aserbaidschans Artillerie feuert weiter auf Bergkarabach. Armeniens | |
> Premier Paschinjan bleibt untätig. Beobachter fürchten schlimme Folgen. | |
Bild: In Armenien protestieren Menschen gegen die Untätigkeit ihres Premiers N… | |
Wien taz | Die Angriffe auf Bergkarabach gehen unvermindert weiter. Mehr | |
als 200 Verletzte und 32 Tote melden lokale Behörden – darunter 7 Kinder. | |
Die aserbaidschanische Armee hatte unvermittelt am Dienstagvormittag mit | |
dem Beschuss der seit Jahrzehnten umkämpften Region begonnen. Insbesondere | |
die Hauptstadt Stepanakert wurde getroffen. | |
Mittwochvormittag sah es kurz nach Entspannung aus, als ein von russischen | |
Friedenstruppen vermittelter Waffenstillstand verkündet wurde. Demnach | |
hätten sich die bewaffneten Kräfte Bergkarabachs auflösen und entwaffnen | |
müssen, wie Interfax berichtet. Die Waffenruhe [1][trat Mittwoch um 13 Uhr | |
Ortszeit in Kraft]; kurz darauf wurde aber schon wieder geschossen. Mehrere | |
Städte stehen weiter unter Aserbaidschans Artilleriefeuer. | |
Am Mittwochabend verkündete Aserbaidschans Staatschef Ilham Alijew in einer | |
Fernsehansprache, sein Land habe die volle Kontrolle über Bergkarabach | |
wiedererlangt. In Armeniens Hauptstadt Jerewan demonstrierten währenddessen | |
Hunderte Menschen. Sie forderten ein Eingreifen der armenischen Armee. | |
Armeniens Premier Nikol Paschinjan schließt das bisher aus. Er war bereits | |
zuvor zu Zugeständnissen bereit, die früher undenkbar gewesen wären. | |
Zuletzt bekräftigte Paschinjan, dass Russland für die Sicherheit der | |
Karabach-Armenier zuständig sei. | |
Narek Sukiasyan, Politikwissenschaftler an der Staatlichen Universität | |
Jerewan, ist für die weitere Entwicklung alles andere als optimistisch: | |
„Schon die Waffenruhen im letzten Bergkarabach-Krieg 2020 haben nicht | |
gehalten. Und sie wurden auf viel höherer Ebene ausverhandelt.“ Es sei zu | |
erwarten, dass sich Russland weiterhin heraushalten werde. | |
## Menschen auf der Flucht aus Bergkarabach | |
Der Preis, den die Armenier in Bergkarabach für den aktuellen | |
Waffenstillstand zahlen sollen, ist hoch: Aserbaidschan will alle Waffen | |
Bergkarabachs abnehmen und zerstören. Das sind ohnehin nicht viele. | |
Armenien hat seit dem Ende des zweiten Bergkarabach-Kriegs vor drei Jahren | |
keine Waffen und Truppen mehr in der Region. | |
Dass Armeniens Premier Nikol Paschinjan am Dienstag angekündigt hat, sich | |
militärisch heraushalten zu wollen, kann Sukiasyan nachvollziehen, „weil | |
Aserbaidschan den Krieg dann mit Sicherheit auch auf Armenien ausweiten | |
würde. Und Armenien ist massiv unterlegen.“ | |
[2][Bergkarabach bleibt somit schutzlos zurück.] Zahlreiche Beobachter | |
fürchten eine Invasion und Okkupation Bergkarabachs. Dann könnte es zu | |
Vertreibungen, Pogromen, schlimmstenfalls auch zu Massenmorden kommen – ein | |
Szenario, vor dem Armenien seit Monaten warnte. Tausende Männer stehen | |
Sukiasyan zufolge grundlos auf „Wanted“-Listen der aserbaidschanischen | |
Armee. | |
Mehr als 7.000 Menschen aus 16 Orten in Bergkarabach wurden mittlerweile | |
aus den beschossenen Gebieten evakuiert, eine Ausreise aus Bergkarabach | |
bleibt aber unmöglich. Bilder zeigen Menschenmassen – angeblich bis zu | |
40.000 Personen – rund um den Flughafen Stepanakert, die auf eine | |
Luftbrücke hoffen. Eine solche war Mittwochnachmittag nicht in Sicht. | |
Zahlreiche internationale Akteure verurteilen zwar die Angriffe, von der | |
deutschen Bundesregierung über US-Außenminister Blinken bis hin zum | |
EU-Außenbeauftragten Borell. Sie alle hatten monatelang zwischen den | |
Konfliktparteien zu vermitteln versucht, hatte doch Aserbaidschan bereits | |
seit letzten [3][Dezember Bergkarabach isoliert]. Eine schwere humanitäre | |
Krise war die Folge. | |
## Keine Sanktionen in Aussicht | |
Von Sanktionen wie etwa einem Stopp der milliardenschweren | |
aserbaidschanischen Gaslieferungen an die EU ist aber weiterhin keine Rede. | |
„Westlicher Druck ist das einzige, das den Krieg noch stoppen könnte“, sagt | |
Sukiasyan. | |
Aserbaidschan rechtfertigte seinen Angriff mit angeblichen | |
„Antiterrormaßnahmen“. Dabei ist offensichtlich, dass für Aserbaidschan | |
keinerlei Bedrohung durch Bergkarabach oder Armenien ausging. Beide | |
verfügen, anders als das von der Türkei massiv unterstützte Aserbaidschan, | |
kaum über militärisches Gerät und haben kein Interesse an neuen | |
Kampfhandlungen. | |
Russlands Präsident Wladimir Putin verurteilte zwar die Angriffe und sagte, | |
die russischen Friedenstruppen würden „alles tun, um die Zivilbevölkerung | |
zu schützen“. Viele in Armenien glauben diesen Ankündigungen aber nicht, | |
war es doch [4][die monatelange Passivität Russlands, des wichtigsten | |
Players in der Region], die Aserbaidschan überhaupt zu diesen Angriffen | |
motivierte. | |
21 Sep 2023 | |
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## AUTOREN | |
Florian Bayer | |
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