# taz.de -- Kommentar Volksbegehren Enteignungen: Zufall statt Sozialismus | |
> Eine Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen wäre zwar rechtlich | |
> möglich. Helfen würde sie allerdings nur einer Minderheit der | |
> MieterInnen. | |
Bild: Die Sozialisierung käme nicht gezielt denjenigen zugute, die es am nöti… | |
Das Experiment ist spannend. In Berlin macht eine Initiative Furore, die | |
große Wohnungsgesellschaften sozialisieren will. Am 6. April beginnt sie | |
mit der Unterschriftensammlung für ein Volksbegehren. Erste Umfragen | |
stellten eine Zustimmungsrate von 44 Prozent in Aussicht. Der Frust über | |
steigende Mieten ist groß in Berlin. Verstaatlichung klingt da nicht mehr | |
nach DDR, sondern nach Hoffnung. | |
Juristisch ist das Projekt kaum zu stoppen. Artikel 15 des Grundgesetzes | |
erlaubt nicht nur die Sozialisierung ganzer Wirtschaftszweige, sondern auch | |
von Grund und Boden, einschließlich der darauf befindlichen Immobilien. | |
Von dieser Option hat zwar seit 70 Jahren niemand Gebrauch gemacht, weil | |
die Privatwirtschaft als deutlich effizienter galt. Aber das sind | |
politische Argumente. | |
[1][Gegner der Initiative] argumentieren, eine Sozialisierung sei als | |
massiver Eingriff ins Eigentum nur möglich, wenn es keine milderen Mittel | |
gebe. Das ist zwar richtig. Aber bei der Frage, welche milderen Mittel | |
gleich effizient sind, hat der Staat einen weiten Beurteilungsspielraum. | |
Die wohl entscheidende rechtliche Hürde ist die [2][Pflicht zur | |
Entschädigung]. Wer anderen das Eigentum entzieht, muss ihnen wenigstens | |
den Wert ersetzen. | |
## Ein Viertel des Einkommens für die Miete | |
Auch das ergibt sich aus dem Grundgesetz. Und auch deshalb war die | |
Sozialisierung ganzer Wirtschaftszweige bisher so unattraktiv. Zwar muss | |
nicht unbedingt der volle Marktwert als Entschädigung gezahlt werden. Die | |
Summe kann aber auch nicht einfach so weit abgesenkt werden, dass sich eine | |
hoch verschuldete Stadt wie Berlin das Abenteuer leisten könnte. | |
Die Wohnungswirtschaft rechnet mit bis zu 25 Milliarden Euro Entschädigung, | |
die Initiative nur mit 6,7 Milliarden Euro. Am Ende würde wohl ein Gericht | |
über die Höhe entscheiden. Schon derzeit ist Berlin mit rund 57 Milliarden | |
Euro verschuldet. | |
Was aber könnte eine Vergesellschaftung überhaupt leisten? „Durch die | |
Enteignung entsteht keine einzige zusätzliche Wohnung“, betonen die Gegner. | |
Das stimmt. Aber eine Neubau-Welle hat die Initiative auch nicht | |
versprochen. | |
Was die Initiative verspricht, sind „faire und stabile Mieten“. Das klingt | |
durchaus attraktiv in einer Zeit, in der BerlinerInnen im Schnitt 25 | |
Prozent ihres Einkommens in die Miete stecken müssen. In Dortmund ist es | |
nur die Hälfte. Und fast nirgendwo steigen die Mieten so schnell wie in | |
Berlin. | |
## Der große Durchbruch für den Mietpreisdeckel? | |
Allerdings würde von den fairen und stabilen Mieten nur ein kleinerer Teil | |
der Berliner Mieterinnen und Mieter profitieren. Vergesellschaftet würden | |
nämlich nur Wohnungen von Unternehmen mit mindestens 3.000 Wohneinheiten. | |
Unter den knapp zwei Millionen Berliner Wohnungen wären das etwa 200.000 | |
bis 250.000. | |
Bei den übrigen Wohnungen (soweit es keine Sozial-, Genossenschafts- oder | |
Kommunalwohnungen sind) würden die Mieten weiter steigen, vielleicht sogar | |
noch schneller als zuvor. Denn jetzt würde ja noch weniger gebaut als | |
bisher: Der Senat hätte kein Geld mehr und große Investoren würden Berlin | |
nun meiden. | |
Außerdem ist es eine Frage des Zufalls, wer in den maximal 250.000 | |
sozialisierten Wohnungen wohnt – und wer nicht. Die Sozialisierung käme | |
nicht gezielt denjenigen zugute, die es am nötigsten haben. Je mehr die | |
Schwächen der Sozialisierungsinitiative deutlich werden, umso attraktiver | |
könnte eine Idee werden, die derzeit im rot-rot-grünen Senat diskutiert | |
wird. Ein Mietpreisdeckel könnte die Mieten auf 6 bis 7 Euro pro | |
Quadratmeter begrenzen. | |
Dies würde zu großflächigen Mietsenkungen führen und käme allen zugute. Die | |
Vermieter würden weiter verdienen, nur nicht mehr so viel. Den Staat würde | |
der Deckel gar nichts kosten, also hätte er noch Geld für Neubauten. | |
Vielleicht wird die Hauptwirkung der Sozialisierungsinitiative sein, dass | |
sie dem Mietpreisdeckel zum Durchbruch verhilft. | |
22 Mar 2019 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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