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# taz.de -- Kommentar Sahra Wagenknecht: Lob auf eine Populistin
> Sahra Wagenknecht polarisiert mit ihren Äußerungen zu Flüchtlingen. Gut
> so. Sie steht für eine Linke, die das Land verändern will.
Bild: Umstritten: die Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Sahra Wagen…
Sahra Wagenknecht hat in jüngerer Zeit Dinge gesagt, die viele Personen,
die ihr grundsätzlich gewogen sind, erschreckten. Die Fraktionsvorsitzende
der Linken im Bundestag äußerte vieles – die taz hat es vorigen Mittwoch
auf ihrer Titelseite präzise abgebildet – das bei Linken (ob nun bei Grünen
beheimatet oder bei der Linkspartei selbst) den Erregungspegel so
hochsteigen ließ, dass manche gar von einem „Jetzt reicht’s mit ihr“
fantasierten.
Zu kritisieren ist, dass Wagenknecht die Attentate von Ansbach und
Würzburg, eigentlich auch gleich den Münchner Amoklauf, [1][zu einer Kritik
an der Kanzlerin verwob]: „Die Aufnahme und Integration einer sehr großen
Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern (ist) ist sehr viel schwieriger, als
Frau Merkel uns das (…) mit ihrem ‚Wir schaffen das‘ einreden wollte.“
Dabei sind die meisten Terroristen – man könnte hier auch noch Paris,
Brüssel und Nizza einfügen – gar nicht mit den Flüchtlingen nach Europa
gekommen. Da habe Wagenknecht ganz böse an der Sache vorbeigeredet, so die
Kritik.
Stimmt, hat sie. Sie vermischt. Sie rührt zusammen. Sie popularisiert. Na
und? Das musste und muss sie auch, denn Sahra Wagenknecht ist eine
Politikerin, die weiß, dass Politisches nicht auf Parteiplenen ratifiziert
wird, nicht in den Moralanstandsstuben der Diskursexegeten oder in den
Kreisen der politisch korrekt Eingeweihten, sondern an Wahlurnen. Diese
Linke – und das möchte ausdrücklich als Kompliment verstanden sein – wei�…
worum es in den nächsten Monaten, ja wenigen Jahren geht: um ihre Partei,
um das, was die Linke sein kann, selbst.
Das steht auf dem Spiel – in allen europäischen Ländern ist der Befund ganz
eindeutig: Wo Linke sich den tonangebenden Kulturen der Mittelschichten
anschließen, wo sie vor allem einem akademisch geborenen Begriff von
Linkssein Zucker geben, sind sie verloren. Polen, Großbritannien, Dänemark,
Belgien, Frankreich in Bälde: Eine Linke, die den Kontakt zu den (nur
sogenannten) kleinen Leuten verliert, ihre Sorgen hochfahrend
beiseiteschiebt, wird sterben.
Wagenknecht provoziert mit Sätzen wie „Sonst ist die Folge, dass Kinder in
einem Umfeld aufwachsen, wo kein Deutsch mehr gesprochen wird. Wie soll
Integration da gelingen?“ Tja, gute Frage. Jedenfalls haben die
wohlsituierten Eltern aus grünen, sozialdemokratischen und linken Milieus
sie längst beantwortet: Öffentliche Schulen für Flüchtlings- und
Migrantenkinder, die eigenen schicken sie auf die besseren. Wer das nicht
wahrhaben will, stellt sich dem deutschen, multikulturellen Alltag
gegenüber blind.
## Solidarität den Unterdrückten
Wagenknecht ist durch keine einzige rassistische Äußerung bekannt geworden.
Nichts an ihren Worten kann missverstanden werden. Was sie aber nicht
direkt sagt, ist das, was für erfolgreich sein wollende Linke früher
selbstverständlich war (von Brandt über Wehner bis Schröder): Die
Solidarität gilt theoretisch allen Unterdrückten dieser Welt, aber zunächst
geht es um die eigenen.
Auszusprechen, dass auch das links ist, mag bitter aufstoßen. Wagenknecht
(und überhaupt eine kluge linke Politik) fühlt sich verantwortlich im Sinne
sozialer Gerechtigkeit in erster Linie für jene, die im eigenen Land leben.
Früher hätte man gesagt: für die Proleten in der Tarifgemeinschaft namens
BRD-Sozialstaat.
Offene Grenzen – humanitär nur zu verständlich – wie im Herbst vorigen
Jahres haben im Grundsätzlichen nur zwei gesellschaftliche Fraktionen im
Forderungskatalog: linksradikale Humanisten („Refugees always welcome“) –
und Arbeitgeber. Sie wollen die Grenzenlosigkeit, weil es ihr
antisozialstaatliches Geschäft erleichtert. Wagenknecht erstickt ihre
Humanität nicht im Meer der eigenen Tränen ob des Leids in aller Welt. Sie
will – wie Linke das wollen – das Land verändern. Und sie weiß: Wie könn…
das gehen, wenn die eigenen Wähler sich mit ihren Sorgen lieber von der AfD
gehört fühlen?
29 Jul 2016
## LINKS
[1] /Wagenknecht-Aeusserung-zu-Fluechtlingen/!5321937
## AUTOREN
Jan Feddersen
## TAGS
Flüchtlinge
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