# taz.de -- Kommentar Bundesparteitag der Linken: Raus aus dem Echoraum | |
> Intellektuelles Achterbahnfahren beim Linkenparteitag: Der | |
> Regierungslinken werden Verrat und Kumpanei mit dem Kapitalismus | |
> vorgeworfen. | |
Bild: Bundesparteitag der Linken in Hannover | |
Parteitage der Linkspartei sind eine Art intellektuelle Achterbahnfahrt. | |
Die mutige, hellsichtige Analyse von Machtverhältnissen und | |
gesellschaftlichen Stimmungen steht unvermittelt neben einem hermetischen | |
Kanon aus musealen Relikten des Antiimperialismus. Die Linkspartei vertritt | |
eine Reihe von vernünftigen, dringlichen Zielen. Sie fordert eine | |
Umverteilung, die nötig ist, um die wachsende soziale Kluft im digitalen | |
Finanzkapitalismus zu begrenzen. Keine andere Partei setzt sich so | |
konsequent für eine radikale Reduzierung von Waffenexporten ein. | |
Gregor Gysi plädierte klug und schwungvoll dafür, dass die Genossen die | |
bedrohte EU endlich als ihr originäres Projekt begreifen. Leider erfolglos. | |
Beim Fingerhakeln um Formulierungen im Wahlprogramm setzten sich die | |
EU-Verfechter nicht durch. | |
Denn es gibt eine Fraktion in der Partei, die nur scharf konturiertes | |
Schwarz-Weiß kennt. In dieser Sicht ist die EU ein Kriegsbündnis, die Nato | |
Kriegstreiber und Russland unschuldiges Opfer kapitalistischer Aggression. | |
Dass Nato und Bundeswehr ein paar Dutzend Panzer im Baltikum stationiert | |
haben, um dort Ängste vor Russland abzukühlen, gilt manchen als Anknüpfung | |
an den rassistischen Vernichtungskrieg der Nazis. Solche merkwürdigen | |
Blumen gedeihen nur im Linkspartei-Biotop. Draußen, vor der Tür, in der | |
Innenstadt von Hannover, könnte man sich mit solchen Thesen gleich neben | |
den Zeugen Jehovas oder Chemtrailgläubigen platzieren. | |
Der rosarote Blick der Linkspartei auf Moskau ist dabei weniger Ausdruck | |
einer Sehnsucht nach einem autoritären Regime oder Zeichen | |
antidemokratischer Gesinnung. Im Seelenleben der Partei spielt er jene | |
Rolle, die die Ostpolitik für die SPD und Adenauers Westbindung für die | |
Union hat. Es ist ein wärmendes Identitätszeichen, historische | |
Selbstvergewisserung, das Lagerfeuer, um das man sich versammelt. Der | |
Pro-Russland-Habitus verbindet in der Partei Milieus, die sonst wenig | |
gemein haben: den Anti-Nato-Aktivisten aus dem Westen und den gemütlichen | |
Kommunalpolitiker aus Brandenburg, der vor Ort prima mit der CDU auskommt. | |
Dass die Genossen mit solchen nostalgisch eingefärbten, moralisch | |
trostlosen Irrläufern die politische Konkurrenz kräftig aufrüsten, nehmen | |
die Klugen in der Partei mit achselzuckender Resignation zur Kenntnis. Ein | |
Versuch der Reformer, die Annektion der Krim und den Krieg in der | |
Ostukraine in schlichten Worten zu verurteilen, scheiterte kläglich. | |
## Vor zehn Jahren hätte so etwas zur Explosion geführt | |
Im Fantasialand der linken Linken muss die Partei bloß standhaft „Raus aus | |
der Nato“ und die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien fordern, um die | |
Massen zu erreichen, die nur auf gesinnungsfest vorgetragene Parolen | |
warten. Für solche Thesen hat ein Drittel der Delegierten ein offenes Ohr. | |
Klaus Lederer, in Berlin Kultursenator, ätzte, dass es an der Zeit sei, das | |
Fenster zur Gesellschaft aufzumachen und die sich „selbst verstärkenden | |
Echoräumen“ der Partei zu verlassen. Ist diese Partei also lernunfähig, | |
gefangen in einem regressiven Traumland, das nur sie bewohnt? | |
Man braucht zumindest empfindliche Instrumente, um Veränderungen | |
wahrzunehmen. Streit gab es um das Ja der von Linken mitregierten | |
Landesregierungen zur Neuregelung der Bund-Länder-Finanzen, die den | |
finanziell klammen Ländern Milliarden bringt. Finanzminister Schäuble hatte | |
diese hinterhältig mit der allerdings eingeschränkten Möglichkeit von | |
privaten Investitionen in den Autobahnbau geknüpft. | |
Die Debatte verlief in eingefrästen Bahnen: Der Regierungslinken wurde | |
Verrat vorgeworfen, Kumpanei mit dem Kapitalismus und Ähnliches. Vor zehn | |
Jahren hätte solcher Regierungspragmatismus noch zu einer Explosion | |
geführt. Der Streit in Hannover war eher ein Chinaböller: laut und | |
folgenlos. Es gibt im linken Flügel offenbar eine Art subkutanes Lernen. Es | |
rührt nicht aus der Erkenntnis her, dass auch schwer erträgliche | |
Kompromisse und Widersprüche zur Politik gehören, sondern aus Gewöhnung und | |
Ermüdung. | |
Und Rot-Rot-Grün? Formal noch möglich, aber politisch ausgeschlossen, so | |
lautet mal wieder die Diagnose. Sahra Wagenknechts x-te Abrechnung mit der | |
SPD dürfte die vagen Aussichten in Richtung null gedrückt haben. Das | |
Copyright für den Exitus aller Rot-Rot-Grün-Hoffnungen kann Wagenknecht | |
gemeinsam mit der SPD-Rechten um Thomas Oppermann und Stephan Weil für sich | |
beanspruchen. Wagenknecht möchte weiterhin beseelte Anti-SPD-Reden halten, | |
Oppermann weiter mit Merkel regieren. Man muss das zur Kenntnis nehmen. | |
11 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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