# taz.de -- Kommentar Brechmittel-Prozess: Freispruch für Justiz und Politik | |
> Mit der Einstellung des „Brechmittel-Verfahrens“ endet die juristische | |
> und politische Aufarbeitung des Todes Laye Condés, noch ehe sie wirklich | |
> begonnen hat. | |
Bild: So könnte es werden: Skizze für einen Gedenkort gegen Brechmittel-Folte… | |
BREMEN taz | Das Verfahren gegen Igor V., der für den Tod von Laye Condé | |
vor fast neun Jahren verantwortlich ist, war eine einzige Aneinanderreihung | |
von Skandalen. Das Landgericht Bremen sprach den ehemaligen Polizeiarzt | |
2008 frei, wegen „mangelnder Ausbildung und Erfahrung“. | |
Ein absurdes Argument, denn in diesem Falle hätte V. die sogenannte | |
„Exkorporation“ erst gar nicht durchführen dürfen. Wer überhaupt | |
verantwortlich war für die Anwendung des lebensgefährlichen polizeilichen | |
„Beweissicherungsverfahrens“ – bereits drei Jahre zuvor war in Hamburg | |
Achidi John an der Brechmittelvergabe gestorben – wurde gar nicht erst | |
diskutiert. | |
Der Bundesgerichtshof (BGH) kassierte das Urteil dann auch: Er fand | |
deutliche Worte und schloss sich dem Europäischen Gerichtshof für | |
Menschenrechte an, der die zwangsweise Vergabe von Brechmittel 2006 für | |
Folter erklärt hatte. Von einem „menschenunwürdigen“ Umgang mit dem | |
Festgenommenen sprach der BGH und bezeichnete die beteiligten | |
Polizeibeamten als „bisher unbehelligte Nebentäter“. | |
Aber: nicht nur die blieben im dann folgenden Prozess weiterhin | |
unbehelligt: V. wurde erneut freigesprochen. Und wieder wurde weder über | |
die Polizei noch über politisch Verantwortliche wie Thomas Röwekamp (CDU) | |
gesprochen, der zum Zeitpunkt von Condés Tod Innensenator war und die | |
Brechmittelvergabe damit rechtfertigte, dass „Schwerstkriminelle“ halt mit | |
„körperlichen Nachteilen“ rechnen müssten. Auch nicht über Henning Scherf | |
(SPD), der als Justizsenator 1992 die rechtliche Grundlage für die Prozedur | |
schaffte. Beide haben sich bis heute nicht für den Tod Condés entschuldigt. | |
Auch den neuen Freispruch wies der BGH zurück, „fast grotesk falsch“ sei | |
der. Und nun endet das dritte Verfahren ohne Urteil und ohne Möglichkeit | |
auf Revision. Dabei nahm der Prozess endlich eine Wende, nicht zuletzt dank | |
des unermüdlichen Engagements der „Initiative zum Gedenken an Laye Condé“, | |
zahlreicher Organisationen und sogar so manchen Bremer PolitikerInnen, die | |
sich allesamt öffentlich gegen eine Verfahrenseinstellung aussprachen. | |
Die hätte die Vorsitzende Richterin Barbara Lätzel nämlich gern gesehen – | |
und sich damit erneut gegen die nachdrückliche Empfehlung des BGH gestellt. | |
Mit Henning Scherf wurde endlich auch ein verantwortlicher Politiker als | |
Zeuge geladen. In einem der letzten Prozesstage sagte er aus und machte | |
keine gute Figur: Er wollte sich nicht daran erinnern, dass es nach dem | |
Tode Achidi Johns eine Bürgerschaftsdebatte und einen Antrag der Grünen auf | |
Beendigung der Brechmittel-Einsätze gegeben hatte. | |
Er behauptete sogar, dass Condés Tod „eine große Überraschung“ gewesen s… | |
Überdies erschien er über eine Stunde zu spät zum Prozess und behauptete | |
fälschlicherweise, er sei erst in der Nacht zuvor aus dem Urlaub | |
heimgekehrt. | |
Dafür wird er möglicherweise belangt, denn die Staatsanwaltschaft prüft, ob | |
sie gegen Scherf ein Verfahren wegen Falschaussage einleitet. Für die | |
jahrelange Brechmittel-Folter und den Tod Laye Condés hingegen werden weder | |
er noch Röwekamp jemals zur Verantwortung gezogen. | |
Und auch für die Bremer Justiz bedeutet das Verfahrensende einen | |
Freispruch, denn sie muss sich nun nicht mehr mit der Tatsache | |
auseinandersetzen, dass Bremer RichterInnen jahrelang Menschen aufgrund von | |
Beweissicherung durch Folter verurteilt haben – und sie hat trotz der | |
wiederholten Zurückweisung durch das BGH erreicht, was sie von Anfang an | |
wollte: dass V. für seine Tat nicht verurteilt wird. Ein bitteres Ende. | |
2 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
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