| # taz.de -- Kommentar 500 Jahre Reinheitsgebot: Gutes Bier braucht Streit | |
| > Das Reinheitsgebot ist keine qualitätssichernde Bestimmung mehr. Sondern | |
| > ein Marketinginstrument, das an seine Grenzen stößt. | |
| Bild: „Hopfen und Malz, Gott erhalt‘s!“ - Der Ruf kann schnell schal werd… | |
| Vorweg: Das deutsche Bier ist gut, sehr gut sogar. Über 5.500 Sorten aus | |
| mehr als 1.300 Brauereien: das ist eine beispiellose Vielfalt und spricht | |
| für die deutsche Bierkultur. Sie ist inzwischen so hoch, dass Gerstensaft | |
| heute nicht nur in Maßkrügen, sondern auch in Schwenkern auf weißen | |
| Tischdecken serviert wird. Und ganz sicher hat das sogenannte | |
| Reinheitsgebot daran seinen Anteil. Es ist nicht nur die DNA des deutschen | |
| Biers, wie Verbandsvertreter betonen, es ist nicht nur ein bayrisches, | |
| sondern ein deutsches Kulturgut. | |
| Gute Kultur zeigt sich aber immer besonders dann, wenn man über sie | |
| streitet, über sie diskutiert und ihr damit neues Leben verleiht. Das ist | |
| es, was in der Brauszene gerade zu beobachten ist. | |
| Das 500-jährige Jubiläum des bayrischen Reinheitsgebots ist ein guter | |
| Anlass. Die Feierlichkeiten in diesem Jahr sind so häufig. Da reicht es | |
| nicht, einfach immer nur „Hopfen und Malz, Gott erhalt’s!“zu rufen. Der | |
| Spruch wird schnell schal werden. | |
| Wer sich mit dem Reinheitsgebot nur ein wenig beschäftigt, stellt schnell | |
| fest: Der heutigen Auffassung, was rein sein soll, entspricht es nur noch | |
| bedingt. Eine lebensrechtliche, qualitätssichernde Bestimmung ist es im | |
| Grunde nicht mehr. Sondern ein Marketinginstrument, das an seine Grenzen | |
| stößt. | |
| In seinem Schatten konnte sich zum Beispiel eine hochtechnisierte Industrie | |
| entwickeln. Was jüngst auch die Unesco zum Argument nahm, den Antrag auf | |
| Aufnahme ins Weltkulturerbe fürs Erste abzulehnen. Und wenn mal jemand mit | |
| dem Gebot in Konflikt kommt, dann sind es die Kleinen auf dem Markt, die | |
| aus den alten Pfaden ausbrechen wollen. | |
| Für den Horizont heutiger VerbraucherInnen ist das Gebot deshalb nicht mehr | |
| tauglich. Sie werden seit Jahren immer bewusster, stellen kritisch Fragen, | |
| wie Lebensmittel produziert werden und woher sie stammen, längst auch | |
| abseits des Biosegments. Transparenz ist in der Ernährungswirtschaft daher | |
| das Gebot der Stunde. Beim Bier hat man wegen des Reinheitsgebots dazu | |
| bisher noch am wenigsten Anlass gesehen. | |
| Es geht nicht darum, Standards aufzuweichen, ganz im Gegenteil. | |
| Qualitätssicherung erfordert Streit und Diskurs. Traditionspflege kann | |
| nicht alles sein. Denn eines hat das Reinheitsgebot nie verhindern können: | |
| Besser als das vor 500 Jahren schmeckt und ist heutiges Bier ganz bestimmt. | |
| 15 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Jörn Kabisch | |
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