# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Bitte erheben zur Internationalhymne! | |
> Nach den Klimaverhandlungen in Paris lagen sich die Delegierten in den | |
> Armen, Tränen flossen. Was fehlte, war ein Soundtrack zur Weltrettung. | |
Bild: Da klappt's mit dem gemeinsamen Singen von Nationalhymnen | |
Das größte Missverständnis der Musikgeschichte? Die ersten Takte von „All | |
you need is Love“. Bei den Beatles hört man da den Beginn der | |
„Marseillaise“. Was das blutrünstige Lied der Französischen Revolution mit | |
dem Anspruch zu tun hat, Liebe werde alle Probleme lösen? Keine Ahnung. | |
Aber als Nationalhymne vor einem Kampf ist dieses Schlachtlied voller | |
Gewalt und Paranoia deutlich besser geeignet als das deutsche Friede, | |
Freude, Eierkuchen von Fallersleben/Haydn. Das stelle ich immer wieder | |
fest, wenn unsere Familie von Exfranzosen sich bei der Fußball-EM vom Sofa | |
erhebt und Arm in Arm vor dem Fernseher die Marseillaise mitschmettert. | |
Wenn der letzte Ton verklingt, bin ich bereit, dem Gegner den Kopf | |
abzureißen. | |
Als wir in Paris lebten und bei französischen Freunden im Wohnzimmer vor | |
wichtigen Spielen „Einigkeit und Recht und Freiheit“ sangen, fühlten wir | |
uns als Weicheier. Und mussten den Kindern noch erklären, sie hätten da was | |
falsch verstanden: Es heißt „blüh“ und nicht „glüh im Glanze dieses | |
Glückes“. | |
Beim EM-Halbfinale hatten Les Bleus also zumindest musikalisch die Nase | |
vorn und die Brust raus. Wenn Zehntausende im Stadion dasselbe Lied | |
anstimmen, entfaltet das eine suggestive Kraft. Nicht umsonst singen und | |
sangen die Menschen vor gemeinsamen schweren Aufgaben: einer EM, einer | |
Schlacht, Arbeit auf dem Feld, Erlösung in der Kirche oder Gotthilf | |
Fischer. Die Geschichte der Hymnen zeigt aber auch, dass böse Menschen | |
sehr wohl Lieder haben. Also gibt es ergreifende Melodien für Fußballer, | |
Soldaten, Sklaven, Arbeiter, Gläubige. | |
Aber es gibt keine Hymne der Weltretter. | |
Dabei würde die dringend gebraucht. Am 12. Dezember 2015 zum Beispiel, | |
abends um halb neun im Pariser Vorort Le Bourget. Da hatten 195 UN-Staaten | |
das Klimaabkommen geschlossen. Im Saal „Seine“ lagen sich die Delegierten | |
in den Armen, Tränen flossen. Was fehlte, war ein Soundtrack zur | |
Weltrettung: ein großes gemeinsames Lied über den Zusammenhalt der Völker, | |
die Verständigung, die Zukunft unserer Kinder, so was in der Art. Ich bin | |
sicher: Bei wichtigen Konferenzen würde eine ergreifende UN-Hymne oder eine | |
Ode an die Zukunft für bessere Ergebnisse sorgen. Wer singt, macht sich | |
locker, nimmt seine Mitsänger anders wahr, wird offener. Gänsehaut führt zu | |
besseren Kompromissen. | |
## Gänsehaut für bessere Kompromisse | |
Die Welt braucht eine Internationalhymne, die Hand in Hand vor der UN-Fahne | |
gesungen wird, bevor um Klimaschutz, Armutsbekämpfung oder | |
Bankenregulierung gestritten wird. Hörbar ist vieles: Vielleicht nicht | |
gerade „Suspicious Minds“ oder „Final Countdown“, lieber das kitschige … | |
are the World“, Beethovens „Freude schöner Götterfunken“, „We shall | |
overcome“, ein afrikanischer Tanz, eine Peking-Oper. Komponisten können | |
kreativ werden, Hauptsache, der Beat lässt den Fuß auf der Bremse wippen | |
und rockt die abgezocktesten Diplomaten. Alles ist willkommen, was zu mehr | |
Einigkeit und Recht und Freiheit führt. | |
Die Klimagemeinde hat es begriffen. Zum Abschied der UN-Behördenchefin | |
Christiana Figueres im Mai brachten ein paar stimmberechtigte Mitarbeiter | |
die Versammlung zum Toben, als sie in bester Abba-Karaoke Figueres als | |
„Climate Queen“ huldigten. | |
Und auch in Paris hatten die Klimaretter schon die Stimme erhoben. In der | |
Nacht nach der historischen Entscheidung trafen sich Diplomaten, Beamte und | |
Umweltschützer im Club Les Players zu einer wilden, spontanen Siegesfeier. | |
Als Figueres mit dem obersten Umweltschützer auf die Bühne kletterte, | |
röhrten die Ökos der ganzen Welt, Arm in Arm und dicht an dicht, den alten | |
Queen-Hit: „We are the Champions!“ Immerhin ein Anfang. | |
11 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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