# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Letzte Hoffnung FDP | |
> Vieles von dem, was wir erleben, ist längst vergangen. Wenden wir uns | |
> also der Zukunft zu. Aber wie beginnt das Neue, Christian Lindner? | |
Bild: FDP-Mann Lindner stellt sein Buch „Schattenjahre“ über die Rückkehr… | |
Die moderne Gesellschaft, in der wir zu leben glauben, ist gleichzeitig zum | |
großen Teil bereits Vergangenheit. Lafontaine, Taxifahrer, „Tatort“, | |
Leitmedium Buch, goldene Uhr für 30 Jahre im gleichen Betrieb, Hartz IV als | |
größtes gesellschaftliches Problem, „bürgerlich“ vs. „linksliberal“:… | |
was yesterday. | |
Wir leben nicht mehr in der modernen Industriegesellschaft, wir leben | |
bereits in der digitalen Gesellschaft. Mehr dazu bei Dirk Baecker. | |
Fundamentaler Unterschied. Deshalb ist es nicht produktiv, seine Gedanken | |
darauf zu konzentrieren, warum eine Bundesregierung aus CDU, CSU, FDP und | |
Grünen nur scheiße werden kann. Die erste Frage ist nicht mehr wer, sondern | |
was. | |
Was wird jetzt Neues gebraucht? Eine Regierung, die nicht von Europa redet, | |
sondern Europa ist. Die die Digitalisierung nicht wie den Mindestlohn oder | |
die Kennzeichnung von Bioeiern behandelt, sondern als Grundlage für alles | |
versteht. Gleiches gilt für die Modernisierung der europäischen Wirtschaft | |
und speziell Energiewirtschaft. | |
Dann braucht es ein nationales Einwanderungsgesetz, das einen Kompromiss | |
zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Einschätzungen darstellt – | |
und dennoch im Ganzen besser ist als die derzeitige Situation. Und dann | |
noch neue Bildung für die Generationen nach der untergehenden | |
Festanstellungswelt. | |
Das war leicht. Doch wie soll das Neue entstehen? CSU klammern wir mal aus, | |
Kanzlerin Merkel ist eher eine spontane Mitmacherin. Die Grünen im Bund | |
sind strukturell-kulturell und personell auch so gefesselt, dass man von | |
ihnen das eine oder andere, aber – ich lasse mich gern widerlegen – kein | |
wirklich neues Denken erwarten darf, damit das Ganze einen Sprung macht. | |
Damit bleibt nur noch ein Player übrig: die FDP. | |
Ihr Fraktionsvorsitzender und Chef Christian Lindner hat am Donnerstag in | |
Berlin in einem überfüllten Raum der Bundespressekonferenz sein Buch | |
„Schattenjahre“ vorgestellt, in dem er die erfolgreiche Erneuerung der | |
Freien Demokraten beschreibt. Lindners Verleger Tom Kraushaar sagt, das | |
Buch könne „noch in Jahren, vielleicht Jahrzehnten, als Allegorie für einen | |
gelungenen Wiederaufbau gelesen werden“. Selbstverständlich gibt es andere, | |
für die die „neue“ FDP nur ein Marketingcoup ist. Aber was, wenn nicht? | |
Ich ließ mir also das Mikro geben und fragte: „Wie beginnt das Neue, Herr | |
Lindner?“ | |
Er nickte und intonierte einen „ähä“-artigen Laut, sein Zeichen, die Frage | |
verstanden und akzeptiert zu haben. (In seltenen Fällen sagt er auch, er | |
verstehe die Frage nicht. Obwohl er sie selbstverständlich verstanden hat.) | |
Wie das Neue beginnt, ist ja nun keine Frage wie: Werden Sie | |
Finanzminister? Oder: Wie scheiße sind die Grünen? Dennoch antwortete | |
Lindner, ohne auch nur eine Mikrosekunde zu zögern: „Bei uns war es der | |
Wechsel vom Wie zum Warum. Warum tun wir etwas, was ist der innere Kern | |
unserer Identität, was sind die Oberziele? Da begann das Neue.“ Kann man | |
als Marketing abtun. Oder als Leitlinie nehmen. | |
Weil es Lindners Ehrgeiz ist, die tiefere Ebene von Fragen schneller | |
auszuloten als der raffinierteste Fragesteller selbst, setzte er hinterher: | |
„Ich ahne, in welche Richtung Ihre Frage in Zeiten einer Regierungsbildung | |
geht. Macht es dann Sinn, sich nicht nur den Synopsen der Wahlprogramme | |
hinzugeben, sondern zu fragen: Was sind die großen Aufgaben, wer kann | |
welchen Beitrag leisten, und welche Philosophie und welche Methode kann am | |
ehesten zum Erfolg beitragen?“ | |
Sehen Sie, da würde ich jetzt sagen: Ja. So kann Zukunft beginnen. Genau | |
so. Nur so. | |
21 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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