# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Denken wir neu | |
> Nach dem Jamaika-Rückzug der FDP steht Lindner in der Kritik. Jetzt sind | |
> alle empört. Dabei nimmt die Partei nur ihre Ziele ernst. | |
Bild: So nah dran an Angela Merkel – aber nicht als Minister: Christian Lindn… | |
Also, ich habe Christian Lindner unterschätzt. Aus meiner Weltsicht eines | |
sozialliberalökologischen Europäers gibt es große inhaltliche Differenzen | |
zu seiner FDP wie auch zu Union und Grünen. Aber ich dachte, eine gute | |
Kompromissregierung ist möglich, wenn man sich darüber verständigt, worum | |
es wirklich geht. Ehrlich gesagt, selbst wenn nicht, dachte ich: Der wird | |
schon mitmachen. | |
Macht er aber nicht. | |
Nun respektiere ich, dass es einen großen strategischen, emotionalen und | |
inhaltlichen Bedarf gibt, den FDP-Chef zu verdammen. | |
Aber ich respektiere auch seine Entscheidung. Er hat die Risiken abgewogen | |
und ist überzeugt, dass ein solches Mitregieren für die FDP und ihn | |
schlechter gewesen wäre, als nun als Vaterlandsverräter beschimpft zu | |
werden. Bisschen bizarr ist die Kritik ja auch von Leuten wie den | |
neostaatstragenden Grünen, die sich ein Jahrzehnt lang der drängenden | |
Weltrettung verweigert haben, weil ihnen die anderen zu anders waren. | |
Man kann Lindner aus anderer normativer Sicht als gefährlichen | |
Machtstrategen kritisieren und die Entscheidung, in der EU- und | |
Flüchtlingspolitik eine nationalere Position zu besetzen (für die es | |
demokratischen Bedarf gibt), als Konsequenz seines antisolidarischen | |
Wirtschaftsnationalismus deuten „mit fatalen Folgen für Europa“, so wie das | |
Daniel Cohn-Bendit und Claus Leggewie tun. | |
## Die meinen es damit wirklich ernst | |
Um zu verstehen, muss man aber auch aus Sicht der Freien Demokraten auf die | |
Welt blicken. Dann geht es vor allem um das Fehlen von liberaler | |
Wirtschaftspolitik in einer Allparteiensozialdemokratie. „Die FDP will mehr | |
Marktwirtschaft, Entbürokratisierung, Steuersenkung und in der Energiewende | |
weg von einem dirigistischem Ansatz – darüber gab es keine ernsthafte | |
Auseinandersetzung“, sagt Ralf Fücks, Chef des Berliner Thinktanks Liberale | |
Moderne. Man habe unterschätzt, „dass es denen damit ernst sein könnte“. | |
Die FDP habe die Rhetorik der Grünen übernommen, dass sie für | |
„Politikwechsel“ gewählt würden und nicht für „Fortsetzung des Status … | |
– und jetzt seien alle empört. In der Europa- und Flüchtlingspolitik habe | |
die FDP in der Union – vor allem in der CSU – Verbündete, in ihrem | |
Wirtschaftsliberalismus nicht, schon gar nicht bei den Grünen. | |
FDP-Wirtschaftsliberalisierung gegen grünschwarze Regulierung, das ist wohl | |
der „weltanschauliche Unterschied“, den Lindner in der FAZ konstatiert hat. | |
Das ist der Kern, warum er „keine gemeinsame Idee für die Modernisierung | |
des Landes“ sieht. | |
## So einen Typ findet man nicht jeden Abend | |
Was folgt daraus? Sinn würde entstehen, wenn die Gesellschaft die Lage so | |
ernst nähme, wie es jetzt empört behauptet wird. Das hieße – angesichts der | |
temporären Auszeit der SPD und der permanenten der Linkspartei – | |
Schwarz-Gelb oder Schwarz-Grün, mehr liberale deutsche Wirtschaft oder mehr | |
liberale europäische Gesellschaft als Alternativen zu diskutieren. Jenseits | |
der Parteien, die das auf keinen Fall wollen. | |
Zukunft haben weder die Beschwörung der Lindner-Gefahr noch eine | |
Merkel-oder-Lindner-Verkürzung. Denken wir neu. Es braucht einen | |
solidarisch-liberalökologischen Politikentwurf, der um die Mehrheit | |
konkurrieren kann, ohne Mauern hochzuziehen. Dafür hülfe es, den Erfolg von | |
Kretschmann und Macron zu verstehen. | |
Es braucht einen Typ Politiker, der sich nicht an illusionäre Lager und | |
Ideale wendet, sondern Menschen verschiedener Milieus bewegen kann, ihre | |
grandiosen individuellen Freiheiten mit einer ordentlichen gemeinsamen | |
Zukunft zu versöhnen. | |
So einen Typ findet man leider nicht jeden Abend im „heute-journal“. | |
26 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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