# taz.de -- Klimakrise aus Sicht des Globalen Südens: Langer Schatten des Kolo… | |
> Die Klimawissenschaft ist vor allem eine Wissenschaft des Westens. Sie | |
> ist zudem überwiegend männlich. | |
Bild: Überflutete Straßen nach heftigem Regen in der Hauptstadt Dhaka in Bang… | |
Vor einiger Zeit schrieb [1][Imeh Ituen in der taz über Klimakrise und | |
Rassismus]. Ein bemerkenswertes und überfälliges Unterfangen, die Frage des | |
Klimawandels beziehungsweise den Umgang damit vom Globalen Süden aus zu | |
betrachten. Hauptpunkt dieses Beitrags war, dass die Klimabewegung vor | |
allem eine Sache von Akteuren aus dem Westen wäre. Bemerkenswert war ihr | |
Hinweis, dass das „Future“ in [2][„Fridays for Future“] Ausdruck für d… | |
Übersehen der wirklichen Probleme des Globalen Südens sei – einfach, weil | |
die Probleme dort eben schon seit Langem die Menschen belasten und es sich | |
nicht zuallererst um ein Problem der Zukunft handelt. Interessant war auch, | |
dass sie das Thema „Klima“ als Oberbegriff für jede Art von Ungerechtigkeit | |
und Ungleichheit zwischen dem reichen Westen und dem Globalen Süden | |
verwendet (unter anderen Rassismus, Sexismus). | |
Für einen Klimaforscher wie mich, alt und männlich, war das überraschend | |
und irritierend, aber doch auch angemessen. Diese breite Verwendung des | |
Klimathemas, jenseits von Fragen des geophysikalischen Wandels und dessen | |
Folgen, stellt einen wesentlichen Perspektivwechsel dar. Er mag auch | |
erklären, warum behauptet wird, der Globale Süden habe seit Jahrzehnten mit | |
den Folgen des Klimawandels zu kämpfen. Hier werden die Gefahren des | |
„normalen“ Klimas mit den verschärften Gefahren des durch menschliche | |
Eingriffe veränderten Klimas verwechselt. Tatsächlich gab es gerade in den | |
Zeiten ohne Video und TV immer wieder schrecklichste Wetterkatastrophen, | |
die die westliche Öffentlichkeit kaum berührten. Ein bedrückendes Beispiel | |
ist ein Taifun in Bangladesch 1970, der mit dem Tod von bis zu einer | |
halben Million Menschen einherging. | |
Aber ein Thema bleibt unerwähnt: der lange Schatten des Kolonialismus, | |
wonach die Kolonialisten es besser wissen als die Indigenen. Es wird | |
unkritisch übernommen, was im Westen behauptet wird. Ein Beispiel ist das | |
Narrativ, wonach jedes Klima-/Wetter-Extremereignis eine Folge des | |
Klimawandels sei. Aber bei dem besagten 1970er Taifun konnte keine Rede vom | |
menschengemachten Klimawandel sein, und auch jetzt sind die Belege dafür, | |
dass tropische Stürme schon jetzt schlimmer oder häufiger geworden sind, | |
dürftig. | |
Ein prototypisches Ereignis war das Aufeinandertreffen von Al Gore mit der | |
Premierministerin Hasina von Bangladesch auf dem World Economic Forum 2017. | |
Es ging um ein neues Kohlekraftwerk. Al Gore meinte, das Recht zu haben, | |
Frau Hasina belehren zu dürfen. Ein alter weißer Mann, der weiß, wo es | |
langgeht, und eine Frau aus Bangladesch, von der er meinte, sie wisse es | |
nicht. Bei dem Beispiel geht es nicht darum, ob das Kraftwerk nun gebaut | |
werden sollte, ob es wesentlich für die Lebensqualität von vielen Menschen | |
dort ist, sondern dass dieser Mann aus dem Westen sich anmaßte, der | |
Premierministerin aus dem Süden Vorschriften machen zu dürfen. | |
Auch die Kritik, dass dieses oder jenes Land Umweltsünden zugunsten | |
wirtschaftlicher Interessen begehen würde, hat – wenn im Westen formuliert | |
– einen unangenehmen Beigeschmack, wenn man sich vergegenwärtigt, wie denn | |
die Landschaften des Westens vor der „Kultivierung“ aussahen. Forderung | |
nach einer Renaturierung der Kulturlandschaft Lüneburger Heide hört man | |
selten. | |
Woher weiß der Globale Süden, wie der menschengemachte Klimawandel sich | |
dort, im Globalen Süden, ausprägt, und wie man dagegen vorgehen kann oder | |
gar muss? Er weiß es vor allem, weil der reiche Westen es ihm mitteilt. Es | |
gibt zwar mehr und mehr Universitäten und Forschungsinstitute im Globalen | |
Süden, aber das sind meist Abbilder dessen, was im Westen läuft. [3][Die | |
Leistungsträger werden im Westen ausgebildet, aber selten genug ernst | |
genommen]. | |
Wenn man sich die Liste der IPCC-Leitautoren ansieht, dann erkennt man, | |
dass darauf geachtet wird, dass der Globale Süden auf allen Ebenen | |
vertreten ist, aber unter dem Strich sind es doch recht wenige. Der reiche | |
und kluge Westen ist überrepräsentiert, insbesondere was die dominanten | |
Personen angeht. Der Globale Süden (mit wenigen Ausnahmen vor allem aus | |
Indien und China) wird kaum gehört oder gar ernst genommen. Die | |
Klimawissenschaft ist eine Wissenschaft des Westens. Sie ist zudem | |
überwiegend männlich. | |
## Umgang mit dem Klimawandel | |
Dies zeigt sich insbesondere in der Frage des Umgangs mit dem Klimawandel – | |
in Anbetracht der oft geringen Emissionen und der schon lange andauernden | |
Verletzlichkeit gegenüber gegenwärtigem und zukünftig möglichem Wetter und | |
Klima ist in vielen Teilen des Globalen Südens eine deutlich größere Rolle | |
der Anpassung angezeigt. Wiederum liefert Bangladesch ein Beispiel: Nach | |
dem Taifun 1970 begann man den Küsten- und Bevölkerungsschutz in | |
Bangladesch massiv zu verbessern, und nach einem weiteren schweren Sturm, | |
1990 mit fast 100.000 Opfern, ist es jetzt gelungen, durch geeignete | |
Baumaßnahmen und Organisation die Fallzahlen massiv zu reduzieren. | |
Aber heute fragt der Westen kaum mehr, wie der Schutz vor den Ereignissen | |
besser gemacht werden kann, sondern danach, wie man zukünftige Ereignisse | |
durch Emissionsminderung und vielleicht Geoengineering vermeiden kann. Das | |
Thema der Anpassung verblasst auf UN-Konferenzen regelmäßig vor dem Thema | |
der Emissionsminderung. Aber selbst wenn das ambitiöse Pariser Ziel | |
erreicht wird, wird sich an den Klimagefahren und ihren zwischenzeitlich | |
erfolgten Verschärfungen und damit dem Anpassungsdruck nichts ändern. | |
Unter dem Strich bleibt: „Der Westen“ sollte sich zurückhalten und „dem | |
Süden“ zutrauen, politisch wie wissenschaftlich eigene Positionen zu | |
entwickeln, die sich an der Lage vor Ort orientieren. Dazu ist logistische, | |
auch finanzielle Unterstützung konstruktiv. Aber der Versuch der | |
inhaltlichen Steuerung stellt eine Fortsetzung des Kolonialismus dar. | |
18 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
Hans von Storch | |
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