# taz.de -- UN-Zukunftsgipfel: Erfrischungskur für die UN | |
> Der UN-Zukunftsgipfel ist eine Chance. Zugeständnisse an den Globalen | |
> Süden sind nötig – etwa durch eine gerechte internationale | |
> Finanzarchitektur. | |
Bild: Vertreter der Mitgliedsländer stimmen während einer Sitzung des UN-Sich… | |
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und der Krieg Israels gegen | |
die Terrorgruppe Hamas werfen geopolitische Gräben auf. Nach Ansicht von | |
[1][Civicus], einer zivilgesellschaftlichen Gruppe, die sich für | |
bürgerliche Rechte einsetzt, wenden viele Staaten des Globalen Nordens im | |
Hinblick auf die internationale Rechtsordnung und die Menschenrechte | |
Doppelstandards an. Autoritäre Regierungen wie in China und Russland nützen | |
das aus. | |
Sie schaffen es, Länder des Globalen Südens in ihre Richtung zu ziehen und | |
unterminieren den internationalen Schutz der Menschenrechte und die | |
Demokratie dabei noch mehr. Um die globalen Probleme anzugehen, bedarf es | |
aber mehr und besserer globaler Zusammenarbeit. Den autoritären Versuchen | |
einer globalen Polarisierung muss entgegengewirkt werden. Dies kann nur | |
gelingen, indem die Länder des Globalen Südens als gleichberechtigte | |
Partner ernst genommen werden. | |
Die geopolitischen Konflikte ziehen sich auch durch die Gremien und | |
Debatten bei den Vereinten Nationen. Der im September in New York | |
stattfindende UN-Zukunftsgipfel ist eine Chance, Länder des Globalen | |
Nordens und Südens wieder näher zusammenzubringen – und den UN eine | |
Erfrischungskur zu verordnen, die sie wirkungsvoller und demokratischer | |
macht. | |
Die Verhandlungen über die Abschlusserklärung des Zukunftsgipfels, der | |
sogenannte Pakt für die Zukunft, haben im Januar begonnen. Sie werden von | |
Deutschland und Namibia gemeinsam moderiert. Der Pakt soll fünf Kapitel | |
umfassen: nachhaltige Entwicklung und Entwicklungsfinanzierung, Frieden und | |
internationale Sicherheit, Wissenschaft, Technologie und digitale | |
Zusammenarbeit, Jugend und zukünftige Generationen sowie die Transformation | |
der Global Governance. | |
## Deutschland hält sich zu sehr zurück | |
Viele fragen sich, wo [2][Klimapolitik oder Menschenrechte] abgeblieben | |
sind. Das Wort „Demokratie“ taucht kein einziges Mal auf. Das strittige | |
Thema einer Reform des UN-Sicherheitsrates wird erst ab Juni verhandelt. | |
Die Änderungswünsche füllen auch nach zwei Durchgängen weiter Dutzende von | |
Seiten. Der Zukunftsgipfel darf sich nicht darin beschränken, bereits | |
Beschlossenes zu bekräftigen. Deutschland selbst hält sich mit eigenen | |
Ideen und Initiativen auffällig zurück. | |
Das gemeinsame Ziel der Weltgemeinschaft ist die Agenda 2030, die | |
Abschaffung von Hunger und extremer Armut, die Gleichstellung der | |
Geschlechter, universeller Zugang zu Gesundheitsversorgung, sauberem | |
Trinkwasser und Sanitäranlagen, sozialen Sicherungssystemen und Bildung. | |
[3][Die Halbzeitbilanz im vergangenen Jahr] ist schlecht ausgefallen. Die | |
UN berichteten, dass die Fortschritte bei mehr als der Hälfte aller Ziele | |
schwach und unzureichend seien. | |
Bei einem Drittel gebe es Stillstand oder sogar Rückschritte. Der | |
Zukunftspakt ist eigentlich eine Gelegenheit, neue und ergänzende Maßnahmen | |
zu treffen. Im Entwurf ist festgehalten, dass die globale Finanzarchitektur | |
„dringend modernisiert und gestärkt“ werden muss. Die reichen | |
Industrieländer haben hier die Mehrheiten und setzen ihre Interessen durch, | |
etwa indem ärmeren Ländern Sparprogramme und Liberalisierung aufgezwungen | |
werden. | |
## Schuldenstreichung und Neuanfänge | |
Symbol für die ungleiche Machtverteilung: Der Weltbankpräsident, es war | |
noch nie eine Frau, kommt bislang immer aus den USA und die Spitze des | |
Internationalen Währungsfonds aus Europa. Es besteht Einigkeit, dass die | |
Länder des Globalen Südens mehr Geld für soziale Sicherung, Gesundheit, | |
Bildung und Maßnahmen zur Klimaanpassung brauchen. Finanzierungszusagen | |
müssen eingehalten werden anstatt gekürzt, wie die [4][Streichung von einer | |
Milliarde Euro] des Etats der Entwicklungszusammenarbeit 2024 in | |
Deutschland. | |
Dutzende Länder des Globalen Südens können ihre [5][Schulden und die | |
Zinszahlungen] außerdem nicht mehr tragen. Die reichen Länder sollten nicht | |
länger ein internationales Insolvenzverfahren verhindern, das | |
Schuldenstreichungen und Neuanfänge ermöglicht. Sie sollten auch ihren | |
Widerstand gegen globale Steuerregeln unter dem Dach der UN aufgeben. Die | |
OECD als Club der reichen Länder ist dafür keine legitime Plattform mehr. | |
Viele ambitionierte Vorschläge für den Zukunftspakt kommen aus den Reihen | |
der Zivilgesellschaft. Im Bereich einer Transformation der Global | |
Governance haben zahlreiche Gruppen, so auch unsere, die Etablierung einer | |
Parlamentarischen Versammlung oder des Instruments einer | |
Weltbürgerinitiative unterstützt. Als die Nachhaltigkeitsziele verhandelt | |
wurden, war die Zivilgesellschaft mit im Raum. Der Austausch hat der Agenda | |
2030 gutgetan. | |
Jetzt aber haben sich Deutschland und Namibia dazu entschieden, die | |
Zivilgesellschaft von den direkten Verhandlungen auszuschließen. 380 | |
Organisationen, darunter Amnesty International, Brot für die Welt oder | |
Greenpeace, haben dies in einem gemeinsamen Brief bemängelt. Im Mai soll | |
die Zivilgesellschaft nun bei einer UN-Konferenz in Nairobi gehört werden. | |
## Nicht ohne die Zivilgesellschaft | |
Hinter vorgehaltener Hand herrscht aber Skepsis darüber, ob die Standpunkte | |
der Zivilgesellschaft ernsthaft in den Prozess einfließen, weil die | |
Verhandlungen der Regierungen in New York geführt werden und nur wenige der | |
Beteiligten in Nairobi sein werden. Deshalb ist die Sorge groß, dass dies | |
eine Alibiveranstaltung wird. Den autokratischen Regierungen gelingt es | |
auch bei den UN, demokratische Prozesse zu behindern. | |
Sie unterdrücken die Zivilgesellschaft in ihren Ländern und wollen deren | |
Raum auch bei der UNO einschränken. Dabei sollte die Beteiligung der | |
Zivilgesellschaft im Gegenteil gestärkt werden. Dies wäre auch im Sinne der | |
feministischen Außenpolitik, die sich Deutschland auf die Fahne geschrieben | |
hat. Die Marginalisierung der Zivilgesellschaft kann auch für zukünftige | |
UN-Prozesse negative Auswirkungen haben. | |
26 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.civicus.org/ | |
[2] /Internationale-Klimapolitik/!5851990 | |
[3] /Halbzeit-der-UN-Agenda-2030/!5960436 | |
[4] /Ministerin-ueber-Entwicklungspolitik/!5996227 | |
[5] /Soziologe-ueber-Schuldenpolitik/!5969174 | |
## AUTOREN | |
Andreas Bummel | |
Ingo Ritz | |
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