# taz.de -- Kandidaturen zur Betriebsratswahl: Neue Rechte drängt in die Betri… | |
> Rechte Kandidaten treten zu den Betriebsratswahlen an, die nun starten. | |
> Sie folgen einer Strategie und setzen auf das rechte Potenzial unter | |
> Arbeitern. | |
Bild: Bei der IG Metall gab es schon Austritte – nachdem sich der Vorsitzende… | |
HAMBURG taz | Das Kampagnenvideo auf Youtube ist professionell produziert. | |
Zu sehen ist ein Arbeiter, der seine Maschine bedient. Bis der Chef an ihn | |
herantritt, ihm die Hand schüttelt und ihm dann – die Kündigung überreicht. | |
Alles nur, sagt eine Stimme aus dem Off, weil der Mann jeden Montag zu | |
Pegida gehe. „Der Kollege braucht jetzt unbedingt einen erfahrenen | |
Betriebsrat“, heißt es schließlich. | |
[1][Das neurechte Netzwerk „Ein Prozent für unser Land“] hat das Video | |
online gestellt und ruft darin Gleichgesinnte zur Kandidatur bei den | |
Betriebsratswahlen 2018 auf, die von diesem Donnerstag bis zum 31. Mai | |
laufen. Bundesweit werden in rund 28.000 Betrieben etwa 180.000 | |
Betriebsratsmandate vergeben; das entspricht in etwa der Gesamtzahl der | |
Mandate in den deutschen Kommunalparlamenten. Die Neue Rechte will die | |
Gelegenheit nutzen, um ihre Kampfzone zu erweitern – rein in die Firmen und | |
Unternehmen. Ein Terrain, das sie bisher kaum organisiert betreten hatte. | |
Den Gewerkschaften bereitet diese Entwicklung Sorgen. „Die | |
Rechtspopulisten, die sich nun aufstellen wollen und sich mit absurden | |
Behauptungen um Stimmen bewerben, beobachten wir natürlich“, sagt der | |
DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann der taz. „Wir sehen eine zunehmende | |
Mobilisierung.“ | |
In dem Video von „Ein Prozent“ tritt unter anderem Oliver Hilburger auf, | |
einst Musiker bei der Rechtsrockband Noie Werte und schon heute | |
„oppositioneller Betriebsrat“ bei Daimler im Stammwerk | |
Stuttgart-Untertürkheim. 2009 gründete er den Verein „Zentrum Automobil | |
e.V.“, eine rechte Arbeitnehmervereinigung für die Autobranche, die jetzt | |
das Rückgrat der Kampagne werden soll. | |
## Seit 2010 im Betriebsrat | |
Im Daimler-Stammwerk sitzt Hilburger bereits seit 2010 im Betriebsrat. 2014 | |
gewann sein „Zentrum Automobil“ dort dann schon vier von 45 | |
Betriebsratsmandaten. Inzwischen hat die Kampagne nach eigenen Angaben über | |
300 Mitstreiter an fünf Daimler-Standorten und weitere 200 in verschiedenen | |
Branchen. | |
Kandidaturen sind nicht nur im Daimler-Stammwerk, sondern auch in den | |
Werken Rastatt und Sindelfingen sowie bei der Firmen-Tochter AMG bekannt. | |
Und in anderen Betrieben der Branche? Für das VW-Stammwerk in Wolfsburg | |
erklärt der IG Metall-Funktionär Hartwig Erb: „Hier im Bereich der IG | |
Metall sind bisher keine rechte Kandidaturen bekannt.“ Dagegen treten unter | |
anderem bei BMW in Leipzig und bei Opel in Rüsselsheim Zentrum-Listen an. | |
Den medialen Auftakt für die Kampagne bildete die Konferenz „Opposition | |
heißt Widerstand“ des rechten Compact-Magazins in Leipzig. Am 25. November | |
vergangenen Jahres hatte das Magazin von Jürgen Elsässer zu der | |
Veranstaltung geladen. Neben Hilburger sprach dort auch der Thüringische | |
AfD-Chef Björn Höcke. | |
Mit Zitathappen von Lenin und Mao beklagte er die „Vergötzung des | |
Kapitals“. Wider der AfD-Wirtschaftslinie ging er die „neoliberale | |
Gedankenmodelle“ an, die blind seien für die „sozialen Folgen“. Die Linke | |
hätte längst die „kleinen Leute“ verraten. Die Rechte würde nun die | |
sozialen Errungenschaften von 150 Jahren Arbeiterbewegung verteidigen. | |
## Auf Linie mit Elsässer | |
Die Rede dürfte Elsässer mehr als erfreut haben. Der ehemalige Anhänger des | |
Kommunistischen Bundes begann vor über zehn Jahren seinen Weg nach rechts | |
mit der Vorhaltung, dass „die Linke“ sich nicht mehr für das Proletariat | |
interessiere. Schon 2006 hielt er ihr vor: „Mit Staatsknete wird | |
Multikulti, Gendermainstreaming und die schwule Subkultur gefördert, | |
während die Proleten auf Hartz IV gesetzt werden.“ Dagegen rief er zu einer | |
neuen „Volksfront“ auf. | |
Diese Idee forcierte jüngst auch Benedikt Kaiser. Der neurechte Publizist | |
veröffentlichte im vergangenen Jahr im Antaios-Verlag den Band „Querfront“. | |
Auf über 90 Seiten formulierte er einen „Antiimperialismus von rechts“ – | |
nicht, ohne sich auf Elsässer und Lenin zu beziehen. | |
Er schlug vor, „durch eigene Themensetzung und Profilierung die Reste des | |
linken antiimperialistischen Lagers“ anzuziehen, da „in Zeiten der | |
kapitalistischen Globalisierung die Nation bzw. die Nationengemeinschaften | |
als Schauplatz von sozialen und nationalen Kämpfen wieder relevant wird“. | |
Dies erfordere „von den Rechten“ jedoch einen „zeitgemäßen | |
Antiimperialismus“, der mehr beinhalte als „recycelten Antiamerikanismus | |
und Ostküstenverschwörungstheorien“. | |
## Soziale Frage als Weg zu Wahlerfolgen? | |
Dem Politikwissenschaftler Richard Gebhardt zufolge orientierte sich daran | |
auch Höcke während seines Auftritts bei Compact in Leipzig. „Seine Rede, | |
das legten Argumentationsketten und Zitatreferenzen nahe, ist stark von | |
Kaisers Text beeinflusst“, sagt er. Höckes Rede wiederum liefere den | |
„Überbau für die Betriebskampagne“. Die vermeintlich linke Rhetorik könne | |
aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das rechte Verständnis von | |
politischen Klassen immer in nationale Kollektive münde. | |
Dass die Neue Rechte den „Antiimperialismus von rechts“ offensiv | |
propagiert, deute auf eine verstärkte Hinwendung zur Sozialen Frage hin. | |
Kein bloßes Denkspiel, warnt Gebhardt, der zum Rechtspopulismus forscht und | |
in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit tätig ist: Die Loslösung vom | |
harten Neoliberalismus ermöglichte es zum Beispiel dem Front National und | |
der Freiheitlichen Partei Österreich, neue Wählerschaften anzusprechen. | |
Ein Potential auch für die AfD: Schon bei der Bundestagswahl 2017 wählten | |
laut einer Nachwahlbefragung von Infratest dimap 21 Prozent der | |
Arbeiter*innen die Partei – fast so viel wie die SPD, die 24 Prozent in | |
ihrer ehemaligen Kernwählerschaft gewinnen konnte. 15 Prozent bekam die AfD | |
unter Gewerkschaftsmitgliedern. | |
Klaus Dörre überrascht das nicht. Schon lange gebe es ein „ernstzunehmendes | |
rechtspopulistisches Potential unter Gewerkschaftsmitgliedern“, sagt der | |
Professor für Arbeits- und Wirtschaftssoziologie an der Universität Jena. | |
„Es lag nahe, dass es früher oder später hervorbrechen würde.“ Und dass | |
dieses Potential von rechts gezielt umworben wird. | |
## AfD-Mitglieder sitzen schon in Betriebsräten | |
Das zeigen nicht nur die Listen der rechten Gruppe „Zentrum Automobil“. | |
Vereinzelt hat auch die AfD durch Parteieintritte schon Betriebsräte | |
gewinnen können, die zuvor auf DGB-Listen gewählt worden waren. „Es gibt | |
etliche aktive Gewerkschafter und engagierte Betriebsräte, die sich offen | |
zu AfD, Pegida und deren Ansichten bekennen“, sagt Dörre. | |
Und wie agieren die Rechten in den Betrieben? Vorsichtig, heißt es bei der | |
IG Metall. In Stuttgart würden zum Beispiel Zentrum-Gründer Hilburger und | |
seine Mitstreiter als ganz normale Beschäftigte auftreten und als | |
Betriebsrat das Gespräch mit den Kollegen mit und ohne | |
Migrationshintergrund suchen, sich deren Probleme anhören. | |
Harte Töne wie bei seinen Pegida-Auftritten würde Hilburger im Betrieb | |
nicht anschlagen. Anders als auf rechten Demos spricht er bei Daimler weder | |
vom „Generalangriff auf das Monopol der großen Gewerkschaften“, noch | |
erklärt er: „Wir bringen das Fass zum Überlaufen. Wir werden täglich mehr | |
und wir werden stärker im Widerstand.“ | |
Die Rechten weichen aber auch aus, wenn ihre Verstrickungen hinterfragt | |
werden. Denn nicht bloß Hilburger kommt von weit rechts. Der Schatzmeister | |
seiner Gruppierung, Hans Jaus, war Bundesschatzmeister bei der verbotenen | |
„Wiking Jugend“. Und Listenkandidat Andreas Brandmeier soll nach Recherchen | |
von ARD und Stern per E-Mail Bilder mit Hakenkreuz und der Inschrift „Heil | |
Hitler“ verschickt haben. Hilburger spricht von einer Fälschung. | |
## Keine Distanzierung von rechten Verstrickungen | |
In einer Versammlung wollten die anderen Betriebsräte des Stuttgarter | |
Daimler-Werks diese Verstrickungen des „Zentrum Automobil“ ansprechen. | |
Aber: „Sämtliche Betriebsräte der Liste blieben der Sitzung fern“, sagte | |
Betriebsratschef Wolfgang Nieke der Stuttgarter Zeitung. Damit gebe es auch | |
„keine klare Distanzierung“. | |
Der Umgang der Gewerkschaften mit rechten Funktionsträgern in Betrieben ist | |
unterschiedlich – von Konfrontation bis Wegschauen. Die Gewerkschaften | |
veranstalten Workshops und Argumentationstrainings gegen rechts. Trotzdem | |
halten einige Betriebsräte ihren Gewerkschaften vor, das Problem | |
kleinzureden. Bei Jenoptik zum Beispiel sitzt Denny Jankowski für die IG | |
Metall im Betriebsrat, obwohl er aktiver AfD-Funktionär in Höckes weit | |
rechten Thüringischen Landesverband ist. Und das, obwohl der IG | |
Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann eigentlich als Linie vorgab: „Wer hetzt, | |
der fliegt.“ | |
Eine Aussage, mit der sich der IG Metall-Chef unter den | |
Gewerkschaftsmitgliedern übrigens nicht nur Freunde machte. In einzelnen | |
Geschäftsstellen gab es wegen des Statements gegen Rechts prompt Austritte. | |
Diese Reaktion weist auf ein weiteres Problem hin, das auch der Soziologe | |
Dörre benennt. | |
Der Kampagne von „Ein Prozent“ und „Zentrum Automobil“ fehle es zwar an… | |
Infrastruktur, um selbst eine starke Konkurrenz zu werden, sagt er. Doch | |
seit Pegida und AfD werden auch in den etablierten Gewerkschaften Stimmen | |
gegen antifaschistisches Engagement lauter. Eine politische Neutralität | |
würde eingefordert. Dieser Konflikt greift das Selbstverständnis der | |
Gewerkschaften an, so Dörre. Und er erschwert die Auseinandersetzung bei | |
den Betriebsratswahlen. | |
1 Mar 2018 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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