# taz.de -- Kampf um die „Fusion“: Feiern für alle | |
> Auch das Fusion-Festival leidet unter der Polarisierung durch den | |
> Gaza-Konflikt. Wer das Event boykottiert, stellt sich aber selbst ins | |
> Abseits. | |
Bild: Zusammen feiern, miteinander reden. Fusion 2019 | |
Wer schon einmal auf der Fusion war, weiß: Hier wird vor allem getrunken, | |
konsumiert, getanzt und gefeiert. Aber das mecklenburgische Festival will | |
mehr sein, eine Art Parallelgesellschaft, die für ein paar Tage im | |
Ferienkommunismus lebt. Sie will zeigen, dass ein besseres Leben möglich | |
ist. | |
Die Frage, welchen Stellenwert dieser politische Anspruch neben all dem | |
Trinken, Konsumieren, Tanzen und Feiern hat, ist so alt wie das Festival | |
selbst und hat in den vergangenen Jahren immer wieder zu Streit geführt – | |
beispielsweise [1][über den Umgang mit Rassismus, Antisemitismus, Sexismus | |
und Queerfeindlichkeit und wer auf dem Festival eigentlich sicher feiern | |
kann.] | |
Die Konfliktlinien verliefen, [2][wie sie innerhalb der Linken eben | |
verlaufen]. Doch es gab immer das Gefühl eines unausgesprochenen | |
linksalternativen Grundkonsenses. Gemeinsames Feiern ging irgendwie. Doch | |
seit dem 7. Oktober stellt sich die Frage, wie so eine linke | |
Parallelgesellschaft – und sei es auch nur für ein paar Tage – möglich se… | |
soll. | |
[3][Der Kulturkosmos, der Verein, der hinter dem Festival steht], hat sich | |
diese Frage auch gestellt und versuchte [4][in einem ausführlichen | |
Newsletter im Februar] eine Antwort darauf zu finden. Neben einer Analyse | |
der politischen Lage formulierten sie eigene Ansprüche: Die Fusion solle | |
ein geschützter Raum für alle sein – mit einem breiten und vielstimmigen | |
Meinungskorridor. Ohne Zensur und Boykott, aber mit Regeln. Es heißt: „Wir | |
erwarten aber, bei aller Solidarität für die palästinensische Sache, dass | |
das Existenzrecht Israels unstreitbar ist.“ Wer das leugne, habe auf der | |
Fusion nichts zu suchen. Die Parole „From the River to the Sea“ solle nicht | |
auf Plakaten auftauchen, Hamas-Verherrlichung sei ein No-Go. Zum Schluss | |
forderten sie einen sofortigen Waffenstillstand von allen Beteiligten | |
inklusive eines Waffenlieferungsstopps und der Freilassung aller von der | |
Hamas gefangenen Geiseln. | |
Der Newsletter rief nur wenige Reaktionen hervor – bis jetzt. Vor einigen | |
Tagen [5][veröffentlichte „Palästina Spricht“ einen offenen Brief.] Die v… | |
allem bei jungen Menschen beliebte Gruppe, die propalästinensische Demos | |
organisiert, bei denen es regelmäßig zu antisemitischen Äußerungen kommt, | |
schrieb: „Wir, Künstler:innen aus Palästina, dem Globalen Süden und | |
unsere Verbündeten, haben beschlossen, unsere Teilnahme am Fusion Festival | |
zurückzuziehen.“ | |
Sie begründen ihre Absage damit, dass der Kulturkosmos „ein | |
Apartheid-Regime“ legitimiere. Und weiter: „Trotz des Ziels des Fusion | |
Festivals, Frieden und Einheit zu fördern, unterstützt ihr Ansatz das | |
anhaltende Leid des palästinensischen Volkes.“ In den vergangenen Jahren | |
hatte die Gruppe die Fusion beispielsweise mit Veranstaltungen und | |
Workshops aktiv mitgestaltet. Doch jetzt möchte „Palästina Spricht“ nicht | |
mehr sprechen, jetzt wollen sie boykottieren. Und klar ist, dass diesem | |
Aufruf einige folgen werden. | |
## Keine klaren Fronten | |
Dass es im Streit um den Nahostkonflikt innerhalb der Linken keine | |
Einigkeit gibt, ist ein Zustand, den wir vielleicht aushalten müssen. Dass | |
in den letzten Monaten aber keine ordentliche Debatte mehr möglich ist, | |
nicht. Statt miteinander ins Gespräch zu gehen, werden Veranstaltungen | |
gekapert oder boykottiert, Personen ausgeladen, wird mit harten Vorwürfen | |
um sich geworfen. Räume werden unsicher, Freund_innenschaften und | |
politische Allianzen zerbrechen. | |
Wie bei einem Fußballspiel geht es nur noch um die Frage, für welches Team | |
man ist: Pro Palästina oder Pro Israel. Dieses Narrativ wird medial gepusht | |
und ist auch innerhalb einiger Linker verbreitet. Doch in echt verläuft der | |
Konflikt nicht an zwei klaren Fronten. Die Stimmen sind vielfältiger, die | |
Fragen komplizierter als ein einfach dafür oder dagegen sein. | |
Und während auf der Berliner Sonnenallee und in den Universitäten dieses | |
Landes zur Intifada aufgerufen wird und antisemitische Parolen propagiert | |
werden, fragen sich immer mehr Linke in diesem Land: Wo ist eigentlich | |
unser Ort? Wo können wir noch streiten und diskutieren? Wo können wir uns | |
gegen das Elend in Gaza stellen, ohne uns bei Antisemit_innen einzureihen? | |
[6][Es gibt diese linken Orte] – verschiedene Clubs, Akteur_innen und | |
Bewegungen bemühen sich um Austausch und Solidarisierung mit einer klaren | |
Kante gegen Antisemitismus – doch sie sind rar. Ein beständiges Beklagen, | |
dass die Orte nicht ausreichen, ist zwar nachvollziehbar, aber wenig | |
hilfreich. Denn wer Orte will, der muss sie sich nehmen. | |
Dass das nicht einfach ist, steht außer Frage. Doch zu resignieren und im | |
Lamentieren zu verharren, kann nicht die Antwort sein. Genauso wenig, wie | |
linke Orte kampflos aufzugeben. Denn die Größe des Gejammers lässt | |
vermuten, dass eigentlich genügend Menschen da sind, um Räume zu schaffen. | |
Konkret kann das heißen: Linke Demos, Partys und Fundraiser besuchen und | |
organisieren und sich dort Antisemitismus und Rassismus konsequent in den | |
Weg stellen. Mit Kommiliton_innen, Arbeitskolleg_innen und Freund_innen ins | |
Gespräch gehen, wo es noch möglich ist. So lange streiten, bis rote Linien | |
nicht überschritten werden. Rote Linien wie: Das Existenzrecht Israels ist | |
unbestreitbar, Antisemitismus gilt es entschieden entgegenzutreten, die | |
humanitäre Katastrophe in Gaza gehört sofort beendet. | |
Was das für wen konkret bedeutet, gehört ausgehandelt – dieser Prozess kann | |
schmerzhaft und kräftezehrend sein. Und wie weit man dabei über seine | |
eigene Schmerzgrenze gehen möchte, kann nur eine individuelle Entscheidung | |
sein. | |
Vielleicht gelingt es der Fusion dieses Jahr ja doch, dass Linke neben all | |
dem Trinken, Konsumieren, Tanzen und Feiern miteinander ins Gespräch | |
kommen. Aber auch die Universitäten, die Bars, die Clubs und die Straße | |
können solche Orte sein. Ob das gelingt, entscheidet sich an der Frage, wer | |
sich den Ort nimmt. | |
25 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Kolumne-Habibitus/!5319320 | |
[2] /Ein-Lob-der-Streitkultur/!5725598 | |
[3] https://kulturkosmos.de/ | |
[4] https://www.fusion-festival.de/de/x/news/news-detailansicht/newsletter-febr… | |
[5] https://www.palaestinaspricht.de/news/niedergang-fusion | |
[6] /Nahostkonflikt-in-Berlin/!6002642 | |
## AUTOREN | |
Carolina Schwarz | |
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