# taz.de -- Nahostkonflikt in Berlin: Einig gegen Antisemitismus | |
> Eine Veranstaltung im About Blank beschäftigt sich mit Antisemitismus im | |
> Kulturbetrieb. Vor dem Club brüllen die üblichen Verdächtigen dagegen an. | |
Bild: Linke israelsolidarische Stimmen haben es zusehends schwerer, nicht niede… | |
BERLIN taz | Gegenüber des About Blank, getrennt vom vielbefahrenen | |
Markgrafendamm, wurde demonstriert. Es wirkte wie ein Empfangskomitee für | |
diejenigen, die am Donnerstagabend eine Podiumsdiskussion über | |
Antisemitismus im Kulturbetrieb in dem linken Club am Ostkreuz besuchten. | |
„Juden gegen die falsche Darstellung und Instrumentalisierung des | |
Antisemitismus“ nannte sich das Grüppchen, das zum Protest aufgerufen und | |
eine „stille Demo“ angekündigt hatte. Still war daran nichts. Die | |
Veranstaltung „About Antisemitismus: A ‚Lack of Empathy‘?“ im Garten des | |
About Blank wurde noch eine ganze Weile von „Stoppt den Genozid!“-Rufen | |
begleitet. | |
Die Sprechchöre der Gegendemonstranten machten dabei nochmals klar, dass | |
das, was man sich für die Podiumsdiskussion gewünscht hätte, gerade | |
vielleicht auch gar nicht möglich ist. Denn was bei dem von der linken | |
Wochenzeitung Jungle World und der Amadeu-Antonio-Stiftung organisierten | |
Panel fehlte, war Reibung und die ein oder andere Kontroverse. | |
Aber was tun? Hätte man jemanden der Demonstrierenden von der anderen | |
Straßenseite mitdiskutieren lassen, wäre möglicherweise der | |
Unterhaltungsfaktor gestiegen, aber auch die Gefahr, dass aus einem | |
Gespräch eine Anschreiveranstaltung wird. | |
## Konstruktiver Diskurs fast unmöglich | |
Schon direkt nach dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober war | |
es schwer, in Milieus der selbst ernannten progressiven Linken, im Kunst- | |
und Akademiesektor, [1][eine klare Verurteilung der Täter und etwas | |
Empathie mit den Opfern] einzufordern. Inzwischen, wo Israel sein Ziel, die | |
Vernichtung der Hamas, mit kaum noch zu rechtfertigender Brutalität | |
verfolgt, ist der konstruktive Diskurs, der auch ganz unterschiedliche | |
Deutungen von israelbezogenem Antisemitismus umfasst, fast unmöglich | |
geworden. | |
Das erklärt, warum der Streit bei der Veranstaltung im About Blank erst gar | |
nicht gesucht wurde. Aber auch, warum die Diskussion nie so richtig abheben | |
oder wenigstens irgendwo hinführen wollte. | |
Auf dem Podium saß der Autor Nicholas Potter, der sich intensiv [2][mit | |
strukturellem Antisemitismus in Subkulturen] beschäftigt. Außerdem die | |
deutsche Autorin Ronya Othmann, die vor kurzem auf einem Literaturfestival | |
in Pakistan erleben musste, wie ihr „zionistische und islamfeindliche | |
Positionen“ unterstellt wurden, woraufhin sie erst ausgeladen wurde und | |
dann das Land verlassen musste, weil für ihre Sicherheit nicht mehr | |
garantiert werden konnte. | |
Geladen war auch [3][der kanadische Comedian Daniel-Ryan Spaulding], der | |
ein paar Jahren als Expat in Berlin lebte, daraus sein Comedy-Potenzial | |
schöpft und sich seit dem 7. Oktober vermehrt öffentlich gegen | |
israelbezogenen Antisemitismus positioniert. Mit dabei war zudem Dima | |
Bilyarchyk, der sich in dem queeren jüdischen Verein Keshet engagiert. | |
Der Berliner Bilyarchyk wurde nachträglich für das Podium gewonnen, nach | |
Kritik an den Veranstaltern des Panels. Über Antisemitismus reden zu wollen | |
und dabei keine jüdische Stimme auf dem Podium sitzen zu haben, das gehe | |
gar nicht, hieß es. Bilyarchyk ironisierte die Problematik auf dem Podium | |
ein wenig, dass er nun eben den „Quotenjuden“ geben musste. Damit war das | |
Thema dann auch erledigt. | |
## Gut organisierte Israelfeinde | |
Insgesamt zeichneten die Podiumsteilnehmer mit Blick auf die einseitigen | |
Positionierungen der vermeintlich progressiven Linken im Nahostkonflikt ein | |
düsteres Bild. Potter verwies etwa darauf, dass es seit dem 7. Oktober zwar | |
zig Soli-Compilations aus der Clubszene gebe, die sich für die | |
palästinensische Sache einsetzten, aber umgekehrt – außer aus Israel selbst | |
– nichts dergleichen für die Opfer der Hamas-Attacke. Fehlende Empathie und | |
Sinn für Leid sei demnach nicht das Problem, „sondern Antisemitismus“. | |
Othmann schilderte nochmals ihre Erlebnisse in Pakistan und erzählte, wie | |
erst Splittergruppen damit anfingen, ihr eine einseitige Haltung pro Israel | |
vorzuwerfen. Und wie das dann medial in einem größeren Rahmen aufgegriffen | |
wurde und sie irgendwann mitten in einem Shitstorm stand, dem sie | |
entfliehen musste. | |
Diejenigen, die Stimmen gegen israelbezogenen Antisemitismus zum Schweigen | |
bringen möchten, seien eben gut organisiert, so Othmann. Ein Punkt, der | |
auch an anderen Stellen der Diskussion gemacht wurde. | |
Mit dem Ziel, Israel als jüdischen Staat zu delegitimieren, liefen | |
Desinformationskampagne in Dauerschleife, würde eine vergiftete Sprache | |
verwendet. Es fühle sich schon wieder an wie „in den Dreißigerjahren in | |
Berlin“, befand Spaulding. | |
## Welche Form der Kritik ist statthaft? | |
Es war alles wichtig und vielleicht auch richtig, was hier vorgetragen | |
wurde. Doch welche Form der Kritik an der Politik Israels ist denn nun noch | |
statthaft? | |
Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, hat gerade [4][in | |
einem Text für die Süddeutsche Zeitung] noch einmal beschrieben, wie in | |
Deutschland auch der Kampf gegen den Antisemitismus beinahe schon paranoide | |
Züge bekommen hat. Wie harmlose Ausstellungen in den Verdacht geraten, | |
antisemitisch zu sein. Wie die Meinungs- und Kunstfreiheit im Namen der | |
Antisemitismusbekämpfung gerade verengt wird. | |
Eine Stimme wie die Mendels, der sich sicherlich niemals zu den | |
Schreihälsen vor dem About Blank gesellt hätte, wäre ein Plus in dieser | |
Diskussionsrunde gewesen. | |
5 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Nahost-Konflikt-im-Berliner-Clubleben/!5964150 | |
[2] /Berliner-Clubbetrieb/!5980675 | |
[3] /Kanadischer-Comedian-zum-7-Oktober/!5996509 | |
[4] https://www.sueddeutsche.de/kultur/meron-mendel-israel-gaza-boykott-kunst-1… | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
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