# taz.de -- Journalistin durch Polizei verletzt: Alle Kosten selbst tragen | |
> Als eine Journalistin 2020 eine Demonstration dokumentierte, schlug ihr | |
> ein Polizist ins Gesicht. Das Land Berlin zahlt aber kein Schmerzensgeld. | |
Bild: Polizist*innen beim Protestzug am 1. Mai 2020 in Berlin-Kreuzberg | |
BERLIN taz | Laut der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen sind die | |
[1][Schmerzensgeldforderungen von 10.000 Euro] der Journalistin Lea Remmert | |
unbegründet. Sie bekommt kein Geld vom Staat, obwohl ihr ein uniformierter | |
Polizist in [2][Berlin am 1. Mai 2020] ins Gesicht geschlagen hat, als sie | |
dort ihrer Arbeit nachging. Den Täter in den Reihen der Polizei konnte die | |
Staatsanwaltschaft nicht finden. Aber es sei nicht anzunehmen, dass der | |
Schlag, durch den Remmert zwei Zähne abbrachen und sie zu Boden ging, eine | |
„bewusste Handlung“ gewesen sei, teilt die Finanzverwaltung der taz [3][und | |
anderen Medien] mit. Ihr Anwalt widerspricht dem. | |
Als Teil eines Filmteams begleitete Lea Remmert journalistisch die | |
Demonstrationen zum 1. Mai. Sie sollte für den Ton der Aufnahmen sorgen, | |
trug eine Mikrofonangel und ihr hing ein Audiomixer um. Durch das Equipment | |
war sie als Journalistin zu erkennen. | |
Gegen 23 Uhr befand sich das Team an der Oranienstraße in Berlin-Kreuzberg. | |
An den Straßenrändern hatten sich Menschen versammelt, tranken Bier und | |
riefen Parolen. Die Stimmung war aufgeheizt und einige warfen Flaschen auf | |
die Polizei. Die ging in Trupps immer wieder in die Menge, um einzelne | |
Menschen festzunehmen. Das zeigen die Aufnahmen des Teams. | |
Die Bilder zeigen auch, wie offenbar für eine solche Festnahme eine Gruppe | |
Polizisten der 15. Einsatzhundertschaft plötzlich die Laufrichtung änderte | |
und direkt auf das Filmteam zukam. Dabei schlug ein Polizist Journalistin | |
Lea Remmert ins Gesicht. | |
## „Täterschutz für Polizisten“ | |
Den Schlag konnte das Filmteam allerdings nicht festhalten. Eine Kamera der | |
Polizei jedoch schon, wie Remmert berichtet: „Ein Video in den Akten zeigt | |
auch den Schlag.“ Aber man könne alles nur schwer erkennen, räumt sie ein. | |
Zwischen den vielen schwarzen Helmen sei sie an ihren Kopfhörern zu | |
erkennen. Die Kennnummer des Beamten sei nicht zu sehen. | |
Remmert erstattete Anzeige und forderte Schadensersatz. Die zwei Zähne | |
musste ihr Zahnarzt rekonstruieren. „Schicht für Schicht“, erzählt sie. D… | |
Krankenkasse habe nichts übernommen, weil ein Dritter beteiligt war. Hinzu | |
kämen die Kosten für ihren Rechtsbeistand. Die Staatsanwaltschaft nahm die | |
Ermittlungen auf, habe viel befragt und die Filmaufnahmen analysiert, sagt | |
Remmert. „Den Täter haben sie trotzdem nicht gefunden.“ | |
Das sei nicht besonders überraschend, erklärt Jörg Reichel. Er ist | |
Geschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) | |
der Verdi in Berlin-Brandenburg und [4][beschäftigt sich in seiner Arbeit | |
mit Übergriffen auf Pressevertreter*innen] in Deutschland. Auf seinem | |
persönlichen Twitter-Account teilt und veröffentlicht Reichel täglich | |
solche Fälle. Darunter sind Fälle von Polizist*innen, die Pressearbeit | |
verhindern – auch in Berlin. „Trotz aller Reformen und einzelnen positiven | |
Entwicklungen, heißt Berliner Polizei: Täterschutz für Polizisten“, sagt | |
Reichel. | |
## Senat sieht kein Verschulden | |
Nachdem die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt hatte, bekam | |
Remmert im Dezember Post: Der Senat für Finanzen erklärte ihre Forderungen | |
auf 10.000 Euro Schadensersatz als unbegründet, das Land Berlin müsse nicht | |
für den Polizisten haften. Sie müsse alle Kosten selbst tragen. Das sei ein | |
Schock gewesen. Auch ihr Anwalt Jörg-André Harnisch kann das nicht | |
nachvollziehen: „Der Staat hat grundsätzlich für jedes Fehlverhalten seiner | |
Beamten einzustehen“, sagt er der taz. Ob der Täter dabei gefunden werde, | |
spiele keine Rolle, wenn ein Verschulden der Polizei vorliege. | |
Doch der Senatsverwaltung für Finanzen nimmt nicht an, dass ein Verschulden | |
vorliegt. Laut Zeugenaussagen habe sich der Beamte „in die Kabel der | |
Tonanlage verheddert, welche von der verletzten Journalistin getragen | |
wurden.“ Deswegen sei nicht von einer bewussten Handlung auszugehen. | |
Verkürzt juristisch erklärt, müssen Handlungen bewusst erfolgen und vom | |
Willen der Handelnden gelenkt sein. Sie müssen ihr Handeln beherrschen. | |
Ansonsten ist es weder fahrlässig noch vorsätzlich. | |
Dass das Verheddern ursächlich für den Schlag sei, würden die | |
Zeugenaussagen in der Akte aber gar nicht hergeben, widerspricht Remmerts | |
Anwalt. Zu sagen, es liege kein Verschulden vor, sei unsinnig. | |
## Fehlendes Geld für Klage | |
Zu weiteren Nachfragen wollten sich der Senatsverwaltung und der neue | |
Berliner Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) gegenüber der taz nicht | |
äußern. Auch die Innensenatorin Iris Spranger (SPD) und die Justizsenatorin | |
Lena Kreck (Linke) antworteten nicht auf eine Anfrage. Die | |
Pressesprecher*innen verwiesen auf je den anderen Senat oder die | |
Staatsanwaltschaft. Die wiederum leitete die Anfrage weiter an die | |
Generalstaatsanwaltschaft. Bis zum Redaktionsschluss beantwortete diese | |
ebenfalls keine Fragen der taz. Die Akte müsse erst angefordert werden. | |
Ob das Land Berlin für den Schaden aufkommen müsste, kann nur ein Gericht | |
entscheiden. Lea Remmert wolle dafür auch klagen, aber ihr fehle das Geld | |
für den Prozess. Sie rechne mit etwa 9.000 Euro, die habe sie nicht. | |
Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Version hieß es, Lea Remmert | |
rechne mit Kosten von bis zu 20.000 Euro, sollte sie eine Klage verlieren. | |
Dabei handelte es sich um ein Missverständnis. Nach Rücksprache mit ihrem | |
Anwalt liegen die geschätzten Kosten, wenn sie beide Instanzen verlieren | |
sollte, bei etwa 9.000 Euro. Aber auch das sei zu viel für sie, sagt | |
Remmert. | |
12 Jan 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Gewalt-gegen-Journalistin/!5684931 | |
[2] /Polizeigewalt-am-1-Mai/!5682832 | |
[3] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1160180.polizeigewalt-am-mai-in-berlin-ke… | |
[4] /Pressefreiheit-bei-Raeumung-der-Liebig-34/!5717328 | |
## AUTOREN | |
David Muschenich | |
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