# taz.de -- Journalismus im Ukrainekrieg: 40 Kilometer von der Front entfernt | |
> Im Saporischschja arbeiten Journalisten unter erschwerten Bedingungen | |
> weiter. Auch die eigene Regierung will mehr Einfluss auf die Medien | |
> nehmen. | |
Bild: Im Frontdorf Prymorske wird ein Ast zur Panzerfaust, Saporischschja, Mär… | |
SAPORISCHSCHJA taz | Direkt im Zentrum der [1][südostukrainischen Stadt | |
Saporischschja] auf dem Sobornij-Prospekt befindet sich das Büro des | |
„Zentrums der journalistischen Solidarität“. Hier treffen sich einheimische | |
Journalisten zu Veranstaltungen, Fortbildungen, Trainings und | |
Erste-Hilfe-Kursen. „Gerade hier, 40 km von der Front entfernt, ist es | |
wichtig, dass wir Journalisten uns gegenseitig unterstützen“, erklärt | |
Valentina Manschura, Verantwortliche Sekretärin der ukrainischen | |
Journalistengewerkschaft NSZU und damit neben Natalja Kusmenko eine von | |
zwei Koordinatorinnen des Zentrums, der taz. | |
„Wer sein Haus, seine Angehörigen verloren hat, seinen Mann vermisst, ist | |
[2][schwer traumatisiert]. Und diesen Journalisten muss man helfen. | |
Psychologisch aber auch fachlich. Das heißt, wir helfen ihnen, ihre Arbeit, | |
die sie sehr ausfüllt, nicht zu verlieren.“ 800 Journalisten sind im Gebiet | |
Saporischschja Mitglied in der landesweit tätigen Journalistengewerkschaft, | |
unter deren Dach das Zentrum der journalistischen Solidarität arbeitet. | |
Wer im Gebiet Saporischschja als Journalist arbeitet, braucht nicht nur | |
Telefon, Kamera und Laptop. Er oder sie braucht auch Schutzwesten, Helme | |
und ein Erste-Hilfe-Set. Bekommen können in- und ausländische Journalisten | |
das alles im Zentrum der journalistischen Solidarität. Auch die | |
Fortbildungsveranstaltungen richten sich an Journalisten, die im Krieg | |
arbeiten müssen. So habe man Kurse zu verschiedenen diesbezüglichen Themen: | |
wie Informationen sammeln an der Front, wie mit traumatisierten Personen | |
sprechen, welche Vorschriften es zu beachten gilt. | |
## Schutzwesten, Helme, Erste-Hilfe-Sets | |
Wer im Gebiet Saporischschja arbeitet, hat andere Bedingungen als es | |
[3][Journalisten in Kyjiw] erleben. Denn hier haben alle Journalisten schon | |
mehrfach in Helm und Schutzweste gearbeitet. Aber auch, wer mal gerade | |
nicht an der Front ist, hat im Zentrum immer einen freien Arbeitsplatz, mit | |
Internet, Scanner und Computer. Das Zentrum hat eigens eine | |
Internet-Satellitenverbindung und ist somit 24 Stunden täglich online. Hier | |
kann man immer einen Gesprächspartner finden, der kompetent Fragen | |
beantwortet, mit dem man seine Erfahrungen austauschen, über seine Probleme | |
sprechen kann. | |
70 Prozent des Gebietes Saporischschja sind besetzt. Auch dort leben noch | |
Journalisten. Viele haben es aber geschafft zu fliehen. Und für sie ist | |
nach ihrer Flucht das Zentrum die erste Anlaufstelle. Hier hilft man ihnen, | |
eine Unterkunft und Arbeit zu finden. Niemand soll gezwungen sein, den | |
Journalistenberuf aus finanziellen Gründen aufzugeben, meint Manschura. | |
Aber auch mit etwa 50 Journalisten, die in den besetzten Gebieten geblieben | |
sind, habe man Kontakt. Für diese sei es wichtig zu sehen, dass sie nicht | |
vergessen sind. | |
Gleichzeitig könne man mit ihnen über konspirative Kanäle durchaus | |
zusammenarbeiten. Und von ihnen, so Manschura, erhalte man Informationen | |
aus erster Hand über das Leben vor Ort. Und das erleichtere das | |
Recherchieren. 30 Journalisten, die aus den besetzten Gebieten geflohen | |
sind, habe man helfen können. Einige Dutzend Journalistinnen haben das | |
Gebiet Saporischschja verlassen, leben nun in verschiedenen Ländern | |
Europas. „Und deswegen“, so Manschura, „haben wir in allen europäischen | |
Ländern Korrespondenten.“ | |
Und noch in einer weiteren Hinsicht hat der Verlust von siebzig Prozent der | |
Gebiete Auswirkungen auf die journalistische Arbeit. In diesen Gebieten | |
waren Leser, zahlende Leser. Und so habe man nicht nur diese, sondern auch | |
viele Anzeigenkunden verloren. In der Folge konnten nur noch zwei | |
Printmedien im Gebiet Saporischschja überleben. „Das ist besonders tragisch | |
in Gebieten, in denen es keinen Strom, also auch kein Internet gibt“, so | |
Manschura. Und dabei seien gerade dort die Menschen begierig auf Zeitungen, | |
auch auf alte Zeitungen. | |
## 70 Prozent besetzt | |
Die Journalisten des Zentrums journalistischer Solidarität verstehen sich | |
als zuverlässige Patrioten der Ukraine. Gleichwohl gibt es Situationen, in | |
denen sie die Regierung oder auch die lokalen Machthaber vor Ort kritisch | |
sehen. So zum Beispiel kritisierten sie, genauso wie die nationale | |
Journalistengewerkschaft, das am 31. März 2023 in Kraft getretene | |
Mediengesetz, das die Tätigkeit der Medien neu reguliert. | |
Auf seiner Facebook-Seite warf der Vorsitzende der | |
Journalistengewerkschaft, Sergiy Tomilenko, dem Gesetzentwurf „Instrumente | |
von Zensur“ und eine [4][Bedrohung der Informationsfreiheit] vor. Es | |
begrenzt zwar den Einfluss der Oligarchen auf die Medien. Gleichzeitig | |
räumt es Präsident Selenskyj viel Macht über die Medien ein, ist es doch | |
sein Umfeld, dass über die Zusammensetzung der Medienaufsichtsbehörde – des | |
Nationalen Rates für Fernsehen und Rundfunk, entscheidet. So kann der | |
Präsident vier von acht Mitgliedern dieses Rates ernennen. Vier weitere | |
bestimmt das Parlament. In diesem verfügt die Präsidentenpartei Diener des | |
Volkes über die Mehrheit. | |
Manschura ist jedoch zuversichtlich: „Wir haben gegen die Unfreiheit unter | |
dem früheren Präsidenten Viktor Janukowitsch gekämpft. Und genau deswegen | |
sind wir auch nicht damit einverstanden, dass die aktuellen Machthaber die | |
Freiheit des Wortes einschränken.“ Gleichwohl habe man gute Kontakte zu | |
Abgeordneten, die für die Mediengesetzgebung verantwortlich seien. Und so | |
hoffe man, über diese Kontakte eine Verbesserung des aktuellen | |
Mediengesetzes erreichen zu können. | |
## Bedrohung der Informationsfreiheit | |
Einfach sei die Solidaritätsarbeit nicht, so Manschura. Und man sei auch | |
auf Hilfe und Zusammenarbeit von außen angewiesen. So sei man Kollegen aus | |
Norwegen und der Unesco sehr dankbar für ihre Kooperation in den letzten | |
Jahren. Auch die Zusammenarbeit mit der journalistischen Fakultät der | |
Universität von Saporischschja habe sich als sehr effektiv erwiesen. Viele | |
Dozenten von der Universität führen Fortbildungskurse im Zentrum der | |
journalistischen Solidarität durch. Und das sei ein gegenseitiges Geben und | |
Nehmen. Auch die Dozenten erfahren bei diesen Kursen vieles von der | |
praktischen Arbeit der im Krieg arbeitenden Journalisten. | |
„Wir brauchen den Kontakt und die Zusammenarbeit mit Journalisten anderer | |
Länder. Zum einen, weil wir nicht wollen, dass wir und der Krieg in der | |
Ukraine so langsam in Vergessenheit geraten. Wir wollen in dieser | |
Zusammenarbeit mehr auf unsere Situation aufmerksam machen. Und | |
gleichzeitig hoffen wir auf Unterstützung beim Ausbau unserer technischen | |
Möglichkeiten. Wir brauchen mehr Technik, mehr Schutzausrüstung wie Helme | |
und Schutzwesten, Unterstützung auch bei den laufenden Kosten wie Miete und | |
den kommunalen Gebühren. Aber auch Medikamente, Kleidung und andere | |
überlebenswichtige Dinge für unsere Kollegen. Vom Staat bekommen wir | |
jedenfalls keine wirkliche Unterstützung“, so die Vertreterin der | |
Journalisten von Saporischschja. | |
1 Apr 2024 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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