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# taz.de -- Jahrestag in Burundi: Weg von der düsteren Vergangenheit
> Vor zwanzig Jahren begann mit einem Tutsi-Militärputsch in Burundi ein
> Zyklus von Gewalt. Er forderte dort und in Ruanda über eine Million Tote.
Bild: Idylle in Sumpflandschaft: Grenzfluss zwischen Burundi und Kongo.
Der Militärputsch in Burundi am 21. Oktober 1993, als Soldaten den ersten
frei gewählten Staatspräsidenten Melchior Ndadaye töteten, ist heute
weitgehend in Vergessenheit geraten. Dabei ist er wichtig zum Verständnis
dafür, warum das Afrika der Großen Seen seitdem Konfliktregion ist – und
wie Frieden möglich ist.
Ndadaye war Hutu, und seine Wahl zu Burundis Präsident am 1. Juni 1993 war
zugleich die erste demokratische Wahl in einem Land, das seit der
Unabhängigkeit 1962 von einer kleinen Clique von Tutsi-Militärs regiert
worden war. Burundis unangefochtene Tutsi-Herrschaft mit regelmäßiger
blutiger Niederschlagung von Hutu-Aufständen war gewissermaßen das
Spiegelbild der Verhältnisse im benachbarten Ruanda, seit 1962 von Hutu
geführt, wo Tutsi immer wieder Opfer von Vertreibung und Ausgrenzung waren.
Demokratische Öffnung in beiden Ländern bedeutete, die jeweils
marginalisierte Gruppe anzuerkennen.
In Burundi hätte die Öffnung 1993 durch freie Wahlen gelingen sollen – aber
das Experiment wurde wenige Monate später durch den Putsch unzufriedener
Tutsi-Offiziere beendet. Empörte Hutu-Anhänger des getöteten Ndadaye
griffen danach zu den Waffen und verübten gezielte Massaker an Tutsi, die
Armee schlug blutig zurück, innerhalb weniger Monate starben über 100.000
Menschen, bis Kriegsende 2001 über 300.000.
In Ruanda hätte die Öffnung 1993 durch ein Friedensabkommen zwischen der
Hutu-Regierung und der Tutsi-Rebellenarmee RPF (Ruandische Patriotische
Front) im Hinblick auf Machtteilung gelingen sollen – aber das Experiment
wurde nie umgesetzt, da Hutu-Staatschef Juvénal Habyarimana am 6. April
1994 getötet wurde, von Extremisten innerhalb des eigenen Militärs. Die
rissen die Macht an sich und machten sich gemeinsam mit vorab aufgerüsteten
Hutu-Milizen daran, alle Tutsi Ruandas zu töten.
## Mit militärischen Mitteln
Dieser Völkermord in Ruanda mit über 800.000 Toten in drei Monaten war mehr
als nur die Hutu-Rache für die Ereignisse in Burundi ein halbes Jahr zuvor.
Er war auch ein Versuch, einen friedlichen Ausgleich ein für alle Mal
unmöglich zu machen. Unter burundischen Hutu wurde ab 1993 diskutiert, Hutu
bräuchten ihre eigene Armee, um sich gegen Tutsi zu wehren – Ruandas Hutu
setzten dies 1994 mit letzter Konsequenz um.
Nur mit militärischen Mitteln, durch den Sieg der Tutsi-Guerilla RPF und
die Jagd der flüchtigen ruandischen Hutu-Kämpfer bis tief in den Kongo ab
1996, konnte dieses Denken gestoppt werden, das seither in Ruanda als
„Völkermordideologie“ geächtet ist. Doch bis heute sind Träger dieses
Denkens im Kongo in der FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas)
aktiv, eine ruandische Hutu-Armee, die Kongolesen terrorisiert, aber als
ihren Daseinsgrund den Schutz der mit ihnen lebenden ruandischen
Flüchtlinge vor Angriffen von Ruanda und kongolesischen Tutsi nennt.
## Die Politik verändern
Während im Kongo das Morden weitergeht, haben Burundi und Ruanda die
Spirale der Gewalt gebrochen. Burundis Hutu-Untergrundkämpfer führen seit
2005 die Regierung, unter Ex-Guerillaführer Pierre Nkurunziza als
Präsident, aber mit Tutsi-Beteiligung. Nkurunziza hat vor wenigen Tagen
einen der Tutsi-Putschisten von 1993, Bernard Busukoza, zum Vizepräsidenten
ernannt. In Ruanda hat die RPF unter Präsident Paul Kagame zahlreiche
Größen des einstigen Hutu-Regimes in ihre Machtstruktur eingebunden.
Anders als oberflächlich oft dargestellt, sind Hutu und Tutsi schließlich
keine ethnischen Gruppen, von denen die größere in einer Demokratie die
alleinige Macht auszuüben hätte. Es sind vorkoloniale Statuszuschreibungen,
die nur in Bezug aufeinander einen Sinn ergeben – Tutsi stehen traditionell
oben, Hutu unten. Die Machtsysteme in Burundi und Ruanda funktionieren
durch ein komplexes Spiel von Allianzen, in dem auch geografische Herkunft
und Clanzugehörigkeiten wichtig sind.
Politische Allianzen und nicht binäres Hutu-Tutsi-Denken zum
Ordnungsprinzip zu machen ist die wichtigste Lehre der vergangenen zwanzig
Jahre in der Region. Auf ihre jeweilige Weise haben beide Länder dies
geschafft.
21 Oct 2013
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Burundi
Ruanda
FDLR
Völkermord
Macht
Bujumbura
Burundi
Kongo
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