# taz.de -- Wahlen in Burundi: Demokratie aus dem Transistorradio | |
> Vor den Wahlen heute schüren Burundis Parteien Kriegsangst. Daher bringen | |
> 15 Radiosender ein gemeinsames Programm: Frieden. | |
Bild: Anstehen vorm Wahllokal in Burundis Hauptstadt Bujumbura. | |
BUJUMBURA taz | Evariste Nzikobanyanka ist gestresst. Schon wieder klingelt | |
das Telefon. Der Burundier schaut gebannt auf den Bildschirm in seiner | |
fensterlosen, gepolsterten Tonkabine, mit der Maus aktiviert er die | |
Aufnahme. Gleichzeitig legt er am Telefon einen Schalter um. Die Stimme des | |
Anrufers wird nun aufgezeichnet. | |
Dann spricht er ins Mikrofon: "Hallo? Nenn bitte Namen und Standort, bevor | |
du den Bericht absetzt." Am anderen Ende der Leitung meldet sich der | |
Korrespondent aus einem Armenviertel am Stadtrand von Bujumbura, der | |
Hauptstadt von Burundi. In der vergangenen Nacht sind dort zwei Granaten | |
explodiert. | |
Nzikobanyankas Aufnahmestudio befindet sich im "Haus der Presse" von | |
Bujumbura, nicht weit entfernt vom Hauptquartier der Armee. Auf der Straße | |
marschieren Soldaten. Das "Haus der Presse" ist hinter Mauern verborgen. Im | |
großen Saal im Erdgeschoss, wo sonst Minister Pressekonferenzen geben, sind | |
Tische zusammengerückt. Hinter Laptops hocken Redakteure und schneiden | |
hektisch Tonschnipsel aneinander. In 20 Minuten wird die nächste Sendung | |
ausgestrahlt: eine Bilanz der fünfjährigen Herrschaft von Präsident Pierre | |
Nkurunziza. | |
Einer hat sich abgesetzt | |
Für den heutigen Montag sind in Burundi Präsidentschaftswahlen angesetzt, | |
die Stimmung ist aufgeheizt. Mehr als 40 Granaten sind in den letzten zwei | |
Wochen explodiert, 30 Parteibüros der jetzigen Regierungspartei und | |
früheren Hutu-Rebellenarmee CNDD-FDD (Nationalkomitee zur Verteidigung der | |
Demokratie/Kräfte zur Verteidigung der Demokratie) wurden abgebrannt, | |
Dutzende Menschen erschossen. | |
Der Führer der größten Oppositionspartei und ehemaligen Hutu-Rebellenarmee | |
FNL (Nationale Befreiungsfront), Agathon Rwasa, hat sich aus der Hauptstadt | |
davongestohlen. Es gibt Gerüchte, dass er sich Richtung Ostkongo in die | |
Berge abgesetzt habe, um dort frühere Kämpfer zu mobilisieren. | |
In der morgendlichen Redaktionskonferenz diskutieren 30 Radioredakteure | |
lautstark darüber. Radiochef Evariste Nzikobanyanka hat am Vortag seine | |
Reporter losgeschickt, um herauszufinden, welche Pläne Rwasa wirklich | |
verfolgt. Dann schwenkt die Debatte um: Wann werden die Wahlergebnisse | |
feststehen? Wohl schon am Dienstag, sind sich die Redakteure einig. | |
Da die Oppositionsparteien aus Protest über vermeintliche Wahlfälschung bei | |
den Kommunalwahlen im Mai ihre Kandidaten zurückgezogen haben und zum | |
Boykott aufrufen, hat das Volk nur die Möglichkeit, für Präsident | |
Nkurunziza zu stimmen - oder gar nicht zu wählen. Die CNDD-FDD mobilisiert | |
ihrerseits alle Kräfte, um die Wahlbeteiligung hochzuschrauben. | |
Die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg hat die Journalisten alarmiert. | |
Deswegen haben sich fünfzehn unabhängige Radiostationen | |
zusammengeschlossen, um heute am Wahltag mit geeinter, neutraler Stimme zu | |
sprechen. "Synergy" heißt das Projekt. Rund 50 Redakteure, die von den | |
teilnehmenden Sendern geschickt wurden, haben sich im "Haus der Presse" | |
versammelt. | |
Und fast hundert Reporter tragen aus dem ganzen Land Nachrichten zusammen. | |
Gemeinsam arbeiten sie an einem Programm, das auf allen Frequenzen | |
ausgestrahlt werden soll. Sie wollen live über Unregelmäßigkeiten | |
berichten, Wähler und Nichtwähler interviewen und direkt nach Schließung | |
der Wahllokale die Ergebnisse melden, damit später nicht mehr betrogen | |
werden kann. | |
"Wir wollen mit einer Stimme sprechen, um die Bevölkerung nicht noch weiter | |
zu desorientieren", begründet Corneille Nibaruta, Chefkoordinator von | |
"Synergy" und Vorsitzender des Radioverbandes, die Aktion. "Wir wollen | |
unsere Aufgabe als Mediatoren wahrnehmen, sonst explodiert das Land. Wir | |
fordern Politiker aller Parteien auf, sich an einen Tisch zu setzen und der | |
Gewalt abzuschwören." | |
In keinem anderen Land Afrikas rund um die Großen Seen leisten Journalisten | |
einen so entscheidenden Beitrag zum Dialog und zum Frieden wie hier in | |
Burundi. Als Ikone dieses verantwortungsbewussten burundischen Journalismus | |
gilt Adrien Sindayigaya, Gründer des unabhängigen Radiostudios Ijambo. Der | |
42-Jährige steht in seinem Büro vor einem Aktenschrank und zeigt auf das | |
Kunstwerk, das daraufgemalt ist: eine Frau, die auf einem Kohleofen Reis | |
kocht und dabei Radio hört; daneben zwei Soldaten, die in der Kaserne | |
sitzen und Radio hören; darunter ein Rebell, der mit Fernglas auf einem | |
Baum Wache hält - und Radio hört. | |
Aufruf zum Massenmord | |
"Das Radio ist hier ein sehr mächtiges Medium", sagt Sindayigaya. In einem | |
Land, in dem viele Menschen von nicht mal einem Dollar pro Tag überleben | |
müssen, in dem rund 80 Prozent weder lesen noch schreiben können, ist das | |
Radio das einzige Medium, das alle erreicht. | |
Was das bedeuten kann, zeigte sich 1994 in Ruanda, als die Hutu übers Radio | |
zum Massenmord an den Tutsi aufgerufen wurden. Burundis Bürgerkrieg hatte | |
damals gerade begonnen: Tutsi-Soldaten hatten den gewählten | |
Hutu-Präsidenten ermordet, Hutu griffen zu den Waffen. Das Armenviertel | |
Kamenge am Rande von Bujumbura, von Hutu bewohnt, wurde von der Armee | |
abgeriegelt. Es entwickelte sich zur Hochburg radikaler Rebellen. | |
In Kamenge, wo 1993 der Bürgerkrieg begann, haben jetzt junge Männer | |
Trommeln aufgestellt. Die Frauen hinter ihren Gemüseständen singen ein | |
Lied. Ein Priester predigt laut. Viele der Jugendlichen haben Narben im | |
Gesicht, an Armen und Schultern - es sind ehemalige Rebellen. Sie tanzen | |
und singen. Zwischen den jungen Männern steht ein älterer Mann mit Brille. | |
Er hält ein dröhnendes Radio in der Linken. Mit der Rechten salutiert er. | |
Ein Taxifahrer schüttelt den Kopf: "Die Leute in Burundi lassen sich stets | |
von zwei Stimmen verleiten: von der Kirche und vom Radio." | |
In seinem Büro in Bujumburas Innenstadt seufzt Sindayigaya, wenn er an den | |
Bürgerkrieg zurückdenkt. Dann zeigt er auf die schusssichere Weste, die an | |
einem Haken hängt. "Wir hatten damals, ähnlich wie in Ruanda, auch nur | |
einen einzigen Sender, der mit seinen Hasstiraden ethnische Gewalt | |
entfachte", sagt er. Hutu zogen sich in Hutu-Viertel zurück, Tutsi in | |
Tutsi-Viertel, jeder hatte seine eigene Wahrheit. | |
"Wir Journalisten beschlossen damals, einen Dialog zu starten", erzählt | |
Sindayigaya. Mit Unterstützung der US-Nichtregierungsorganisation "Search | |
for Common Ground" (SCG) gründete Sindayigaya 1995 mit vier Kollegen mitten | |
in der Hauptstadt das Radiostudio Ijambo. In gemischten Teams aus Hutu und | |
Tutsi zogen sie durch die Stadt. "Wir haben damals sämtliche Tabus | |
gebrochen", lächelt Sindayigaya. | |
Die Sensation im Studio | |
Tabus zu brechen - dies wurde zum Leitmotiv von "Studio Ijambo". | |
Sindayigaya lud Hutu- und Tutsi-Politiker zu Talkrunden ein. Der Journalist | |
hatte keine leichte Aufgabe: Immer wieder musste er sie ermahnen, sich | |
nicht gegenseitig zu beleidigen. Eine Sensation gelang ihm im Jahr 2000, | |
mitten im Krieg. Sindayigaya öffnet die Tür zum Studio und zeigt auf das | |
Mischpult. "Ich saß hier mit zwei Offizieren der Armee." | |
Dann deutet er auf das Telefon: "Über die internationale Leitung haben wir | |
den Rebellensprecher angerufen, der damals in Deutschland im Exil lebte." | |
Dies sei das erste Mal gewesen, dass die Kriegsgegner direkt miteinander | |
gesprochen haben. Es ist nicht zuletzt Journalisten wie Sindayigaya zu | |
verdanken, dass danach ein Friedensprozess begann. | |
Diese Journalisten sind heute in Burundi eine einflussreiche junge Elite. | |
"Wir haben uns eine relative Unabhängigkeit erkämpft", sagt Corneille | |
Nibaruta, Vorsitzender des burundischen Radioverbandes. Finanziell sei es | |
natürlich schwierig. Kaum ein Unternehmen schalte Werbung, und die | |
Frequenzgebühren seien hoch. Deswegen fürchtete Nibaruta, dass die Parteien | |
diese Finanznot ausnutzen und die Radios als Sprachrohre | |
instrumentalisieren. | |
Zum Beispiel der Privatsender Rema-FM, der enge Kontakte zur | |
Regierungspartei unterhält. Als einziger Sender hat sich Rema "Synergy" | |
nicht angeschlossen, im Gegenteil: "Dieser Sender macht unverschämt viel | |
Lärm für den Präsidenten, in einem aggressiven Tonfall", sagt Nibaruta. | |
"Wenn wir jetzt nicht kämpfen, dann enden wir wie die Medien in Ruanda, die | |
dort an der ganz kurzen Leine gehalten werden." | |
Bislang sieht es nicht danach aus, dass die Oppositionsparteien in den | |
politischen Prozess zurückkehren und den Pluralismus verteidigen. "Die | |
Wahlen sind für mich vorbei", sagt Alexis Sinduhije und schlägt auf den | |
Tisch. Der Chef der Oppositionspartei MSD (Bewegung für Sicherheit und | |
Demokratie) ist in Burundi ein respektierter Mann. Er war ein Kollege | |
Sindayigayas bei "Studio Ijambo" und Gründer des ebenfalls unabhängigen | |
Senders "Radio Publique Africaine". 2008 kürte ihn das Time Magazine zu | |
einem der 100 einflussreichsten Menschen der Welt. Aber dann ging er in die | |
Politik. | |
Die "teuflischen Monster" | |
Zu Sinduhijes Anhängern zählen zahlreiche Journalisten und junge gebildete | |
Burundier. Sinduhije hat keine Furcht, seine Frustration hinauszuposaunen: | |
Vergangenes Jahr verbrachte er vier Monate im Gefängnis. Er bezeichnet die | |
Clique um Präsident Nkurunziza als "teuflische Monster". | |
Jetzt parkt ein Polizeiwagen in Sinduhijes Hofeinfahrt in einem | |
Mittelklasseviertel der Hauptstadt, Leibwächter stehen am Tor. "Es war | |
keine gute Entscheidung, meinen Job als Journalist an den Nagel zu hängen | |
und in die Politik zu gehen", bilanziert Sinduhije auf seiner Veranda. Als | |
Journalist hätte er mehr bewegen können. Nun bleibt ihm höchstens noch die | |
Flucht. Auch gegen ihn hat Rema-FM gehetzt, zwanzig seiner Parteimitglieder | |
wurden ermordet. Alexis Sinduhije fürchtet, dass bald auch auf seiner | |
Veranda eine Granate explodiert. | |
28 Jun 2010 | |
## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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