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# taz.de -- Neue Amtssprache in Ruanda: Das bessere Leben spricht Englisch
> Unter Präsident Kagame wurde Englisch als neue Amtssprache eingeführt.
> Das eröffnet Jugendlichen gute Chancen, könnte aber den
> Tutsi-Hutu-Konflikt wieder aufflammen lassen.
Bild: Zuversichtlich: Anhänger des amtierenden Präsidenten Paul Kagame.
KIGALI taz | Isaac Gahwerra kritzelt Tiernamen auf Englisch an die Tafel.
Er steht in einem Klassenzimmer einer Grundschule in Ruandas nordöstlicher
Provinzhauptstadt Ruhengeri. Der 28-jährige Lehrer aus Uganda unterrichtet
in den Ferien seine ruandischen Kollegen in Englisch. "Was ist eine
Schildkröte?", fragt er in die Runde. Eine junge ruandische Lehrerin
antwortet stotternd: "Das ist ein Tier mit zwei Beinen." Ihre Mitschüler,
ebenfalls Lehrer, kichern.
Szenen wie diese wiederholen sich derzeit überall in Ruanda. Rund 50.000
Lehrer müssen die Schulbank drücken. Der Grund: die Umstellung der
Amtssprache. Im Frühjahr vorigen Jahres wurde sie in der ehemaligen
belgischen Kolonie von Französisch auf Englisch umgestellt. Seit Anfang des
Jahres wird auch an Schulen und Universitäten nur noch auf Englisch
unterrichtet.
Die ruandische Regierung erhofft sich von der Sprachumstellung
wirtschaftliche Vorteile. 2009 trat Ruanda dem Commonwealth bei. Zudem
gehört das Land der Ostafrikanischen Union (EAC) an, deren Mitgliedstaaten
bis auf Burundi Englisch als Amtssprache pflegen. Seit dem 1. Juli gilt in
der EAC eine Wirtschaftsunion, die Arbeitsuchenden ganz Ostafrika öffnet -
ein enormer Vorteil für die Jugend, wie Präsident Paul Kagame, der die an
diesem Montag stattfindende Wahl vermutlich gewinnen wird, stets betont.
Wenn Kagame von den Chancen spricht, die der englischsprachige Arbeitsmarkt
den ruandischen Jugendlichen biete, tut er dies auch aus eigener Erfahrung:
Im Exil in Uganda aufgewachsen, kehrte er mit seinen Mitstreitern von der
Ruandischen Patriotischen Front Mitte der neunziger Jahre nach Ruanda
zurück. Als die RPF nach dem Ende des Völkermordes 1994 die Macht übernahm,
fanden sich Kagame und seine Anhänger als englischsprachige Elite isoliert
in einem französischsprachigen Land.
Was rappt Eminem da?
Während Lehrer, Schüler und Studenten über die zusätzliche Belastung
stöhnen und viele die Sprachumstellung für problematisch halten, ist sie
für Celestin Ntawirema ein Glücksfall. Der 25-jährige Abiturient versucht
nach Unterrichtsschluss seine Mitschüler durch das Sprachchaos zu lotsen.
In seiner Schule in Kicukiro, einem Vorort der Hauptstadt Kigali, hat er
chemische Formeln auf die Schiefertafel geschrieben. Er liest die
Definition aus dem französischen Schulbuch vor und übersetzt diese ins
Englische. Manche seiner Mitschüler schreiben eifrig mit, andere hocken
ratlos auf ihren Bänken, das Kinn in die Hand gestützt, die Stirn in tiefe
Falten gelegt. Viele von ihnen wissen: Das Examen in Chemie werden sie
schon allein wegen ihrer mangelhaften Englischkenntnisse nicht bestehen.
"Unsere Lehrer sprechen nur schlecht Englisch und können uns in dieser
neuen Sprache die chemischen Formeln weniger gut erklären", erklärt
Celestin. Dennoch findet er die Umstellung großartig. "Mit Englisch habe
ich die Möglichkeit, nicht nur in Kenia oder Tansania, sondern sogar in
London oder in New York einen Job zu finden", sagt er träumerisch. Sein
Vater, der während des Völkermordes 1994 ums Leben kam, war früher
Englischlehrer gewesen. Anstatt die Schule zu besuchen, schuftete Celestin
als Jugendlicher auf Baustellen und fand erst recht spät die Gelegenheit,
seinen Schulabschluss nachzuholen.
Bis vor Kurzem war er Vorsitzender des lokalen Never-Again-Clubs. Die
Never-Again-Bewegung, die an rund 3.000 Schulen des Landes tätig ist, setzt
sich für die Versöhnung zwischen Hutu- und Tutsi-Jugendlichen ein. Ihr Ziel
sei es, so erzählt Celestin, der Generation, deren Angehörige während des
Völkermords noch Kleinkinder waren, klarzumachen, dass es nun ihre Aufgabe,
die Aufgabe der Jugend, ist, die Ruander wiederzuvereinigen.
Die Schüler schweiße zusammen, dass sie oft dieselben Probleme hätten. "Ich
bin als Tutsi ohne Vater aufgewachsen, weil mein Papa ermordet wurde", sagt
er und macht eine kleine Pause. Er sieht einen Moment lang traurig aus.
Doch dann fährt er fort und erzählt davon, dass viele seiner Hutu-Freunde
ebenfalls ohne Väter aufgewachsen seien, weil diese im Gefängnis säßen. "Ob
nun Hutu oder Tutsi - wir haben alle kein Geld für Pausenbrote und
Schulbücher." Und Jobs bekämen nur diejenigen, die Englisch könnten,
während die Frankofonen leer ausgingen.
Durch diesen Umstand wiederum könnte der ethnische Konflikt zwischen Hutu
und Tutsi, der für die jungen Leute eine immer geringer werdende Rolle
spielt, erneut entstehen. Denn Celestins Altersgenossen, die gut Englisch
sprechen, sind in der Regel Kinder jener Tutsi, die in Jahren nach Ruandas
Unabhängigkeit 1962, als das Land ausschließlich von Hutu regiert wurde, in
die östlichen Nachbarländer Uganda, Kenia oder Tansania flohen und ab 1994
zurückkehrten - so wie Präsident Kagame und viele andere Amtsträger der
Regierungspartei RPF.
Diese Kinder sind dort auf englischsprachige Schulen gegangen und sprechen
und schreiben fließend Englisch. Diejenigen Jugendlichen, die mit ihren
Familien nach der Machtübernahme der Tutsi-Kämpfer in die Nachbarländer
Burundi oder Kongo flohen und dort aufwuchsen, sind meist Hutu. Sie
sprechen und schreiben fließend Französisch und sind nun die Verlierer der
Sprachumstellung.
Auf Celestins Stirn zeigen sich Sorgenfalten: "Unser Problem ist nun nicht
mehr in erster Linie ein Konflikt zwischen den ethnischen Gruppen, sondern
eine Frage der Sprachkenntnisse", sagt er. Allerdings könne dieses Problem
leicht wieder die Jugend spalten. "Ich hoffe nur, dass das Sprachendilemma
nicht wieder zur Debatte zwischen Hutu und Tutsi wird", sagt er. Dann
schnappt er sich seinen Rucksack und schlurft die Hauptstraße von Kicukiro
entlang. Er deutet auf die Pflastersteine, die den Straßenbelag bilden:
"Wer heute in Ruanda kein Englisch kann, muss froh sein, wenn er
Kopfsteinpflaster verlegen darf."
Celestin biegt er in eine Hofeinfahrt ein. Im Schatten eines gewaltigen
Baumes sitzen vier seiner Freunden auf Plastikstühlen. In ihrer Mitte steht
ein Lautsprecher, der über ein Kabel mit der Stereoanlage im Haus verbunden
ist. Aus der Box klingt scheppernd ein Song des amerikanischen Rappers
Eminem. Als Musiker, der gerade seinen ersten Song in einem Studio in
Kigali aufnimmt, rappt Celestin sofort die englischen Texte mit. Sein
Freund Philip Makuzu, der in Burundi aufgewachsen ist, blättert eifrig in
einem Wörterbuch. "Was sagt er denn da in der letzten Strophe?", fragt er
auf Französisch. Celestin lacht: "Das ist Slang, das steht da nicht drin."
Boomland Ruanda
Philip klappt entmutigt das Wörterbuch zu. Der 23-Jährige studiert im
zweiten Jahr Informationstechnologie an der Universität in Kigali, ein
vielversprechendes Fach in Ruanda. Da die Länder Ostafrikas derzeit an das
Breitbandkabel angeschlossen werden, sind IT-Spezialisten in der ganzen
Region gefragt.
Doch die Sprachumstellung macht Philip schwer zu schaffen: "Wenn ich einen
Text auf Englisch schreiben muss, dann schreibe ich ihn auf Französisch und
ziehe ihn durch eine Übersetzungsmaschine im Internet." Doch dieser Trick
lässt sich nicht immer anwenden. Auf zwei Jobs hat sich Philip beworben.
Beide Male fiel er durch. Der Grund: Die Bewerbungsgespräche finden auf
Englisch statt. "Mit einem Ugander kann ich da nicht mithalten", regt sich
Philip auf und flucht auf die Ugander, die nun nach Kigali strömten, "weil
sie nun hier diejenigen Jobs abgreifen, die ich nicht bekomme, weil mein
Englisch nicht gut genug ist. Das ist unfair!"
Einer dieser Ugander, die derzeit in Ruanda ihr Glück versuchen, ist
Katende Luyombya. Mit einem Stapel Hochglanzmagazine zieht er durch die
Hotels, fragt die Manager, ob er seine Hefte in der Lobby zur Ansicht
auslegen darf. Der 35-jährige Grafikdesigner kam vor fünf Jahren nach
Kigali. Zuvor hatte er bereits in Tansania, Kenia und in seiner Heimat
Werbeagenturen gegründet. "Doch nirgendwo ist das Geschäftsklima so gut wie
in Ruanda", schwärmt Luyombya. Am ersten Tag habe er eine kostenlose
Arbeitserlaubnis erhalten, tags darauf konnte er die Firma registrieren
lassen. Er lacht und verdreht die Augen, wenn er diese Geschwindigkeit mit
seinen Erfahrungen in Uganda vergleicht: "Das dauert dort Monate."
Luyombya blättert durch die Magazine, deutet auf Werbeanzeigen, die er
entworfen hat. Seit der Sprachumstellung hätten Firmen Bedarf an knackigen
Werbeslogans auf Englisch. Während der Wahlkampagne hatte Luyombya viel zu
tun. Ruandische Firmen, deren Bosse Präsident Paul Kagames Regierungspartei
RPF nahestehen, wollten Werbung mit Bezug auf die Wahlen designen.
Dass Kagame ohne Zweifel mit einer riesigen Mehrheit wiedergewählt wird,
findet Luyombya "großartig", wie er sagt: In keinem anderen Land der Region
garantiere die Regierung so viel Stabilität wie in Ruanda. "In Uganda und
Kenia weiß man nie, was morgen passiert", seufzt er. Doch für ihn als
Geschäftsmann sei die Zukunft in Ruanda "besser als irgendwo sonst".
9 Aug 2010
## AUTOREN
Simone Schlindwein
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