# taz.de -- Interview mit Schlachter Wilkens: „Das Essverhalten hat sich geä… | |
> Der Schlachter Hans Heinrich Wilkens schließt nach 38 Jahren seine | |
> Fleischerei in Hamburg. Ein Gespräch über Rauchwürste, Google-Ranking und | |
> Kunst. | |
Bild: Gab seine Schilder auch schon für eine Kunstausstellung her: Schlachter … | |
taz: Herr Wilkens, wie sind Sie Schlachter geworden? | |
Hans Heinrich Wilkens: Ich sage es mal so: Wer früher auf dem Dorf etwas | |
galt, der wurde Bäcker, Schlachter, Maurer oder Ähnliches. Wer studiert | |
hatte, war bei Weitem nicht so angesehen wie ein Handwerker. Die Lehrer | |
haben so wenig Geld verdient, denen hat man bei Gelegenheit dann eine | |
Mettwurst oder Ähnliches gebracht, die freuten sich dann sehr. Das hat sich | |
natürlich im Laufe der langen Jahre total gewandelt. Auf dem Dorf haben | |
damals auch nicht die Eltern entschieden, was man wird. Das waren ja alles | |
Großfamilien, damals haben Oma und Opa gesagt, der Junge wird das und das. | |
Bei uns hat mein Opa gesagt: Der Junge geht nicht zur höheren Schule, wird | |
Schlachter. Als Kinder wurden wir da nicht gefragt. Schlachter hatten | |
damals auch mit das meiste Geld. Meine Lehre dauerte dann drei Jahre. | |
Wo sind Sie aufgewachsen? | |
Zuhause. | |
Wo liegt denn Zuhause? | |
Das ist in Kutenholz, in der Nähe von Bremervörde. Der Ort hat damals 1.200 | |
Einwohner gehabt, das war schon relativ groß. | |
Und wie sind Sie nach Hamburg gekommen? | |
Nachdem die Lehre vorbei war, bin ich zur Bundeswehr gegangen und dort zwei | |
Jahre gewesen. Wenn man auf einem kleinen Dorf aufgewachsen ist, dann hat | |
man so den Wunsch, in die Großstadt zu gehen. Das ist etwas | |
Außergewöhnliches. Ich kann mich noch erinnern, dass unsere Tante in Stade | |
wohnte. Dort lebten Leute über ihr, das waren wir gar nicht gewohnt. Das | |
war für mich als Kind erst mal unvorstellbar. Bei uns auf dem Bauernhof, da | |
ist auf dem Boden ja nur Heu und Stroh. Da oben gab es auch diese Scheine | |
von meiner Uroma, wo eine Million und so etwas draufstand. | |
Aus der Inflationszeit? | |
Ja. Nach der Bundeswehr habe ich dann in einer Schlachterei in Harburg | |
angefangen. Meine Frau und ich haben uns mit 18 Jahren schon kennengelernt. | |
Mit 21 Jahren haben wir geheiratet und uns in Tostedt eine Eigentumswohnung | |
gekauft. Mit 23 Jahren hatte ich meinen Meisterbrief. Etwas später habe ich | |
für die Ladenkette Markise gearbeitet, das war so etwas Ähnliches wie | |
heutzutage Penny. Dort habe ich als Zentraleinkäufer gearbeitet. | |
Seit wann haben Sie Ihr Geschäft in Eimsbüttel? | |
Seit dem 1. April 1980. | |
Über 38 Jahre im gleichen Laden in der Fruchtallee? | |
38 Jahre und einen Monat, ja. | |
Wie hat sich das Viertel in der Zeit verändert? | |
Als wir hier angefangen haben, war die Fruchtallee schlicht und einfach die | |
Straße, in der man eingekauft hat. Es waren alles so kleine, | |
inhabergeführte Geschäfte wie das meinige. Alles renommierte Läden, es gab | |
nichts, was es nicht gab. Zur Wendezeit hat die Fruchtallee den ersten | |
großen Knacks bekommen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite haben viele | |
Leute vom Bundesgrenzschutz und vom Zoll gewohnt. Die haben gutes Geld | |
verdient, denen war gute Ware wichtig. Auch ein gutes Gespräch war wichtig. | |
Nach der Wende wurden die alle innerhalb von vier, fünf Jahren versetzt. Da | |
gingen dann auch viele Feinkostgeschäfte weg. So ging viel Laufkundschaft | |
verloren. Der zweite große Knacks kam, als die Post und die Bank weggingen. | |
Inzwischen haben wir dafür einen hohen Anteil von Leuten quer aus der | |
ganzen Welt, das sind alles ganz nette Menschen. Ich komme ganz wunderbar | |
mit ihnen zurecht. | |
Wie haben Sie sich in schwierigen Zeiten gehalten? | |
Ab 1995 war schon ziemlich viel weg hier. Wir hatten auch überlegt zu | |
gehen. Aber wir hatten einen gewissen Kundenstamm immer noch da. Früher | |
hatten wir ein riesiges Vollsortiment, das konnten wir dann nicht mehr | |
halten. Wir haben uns also spezialisiert. Im Winter haben wir Bremer | |
Pinkel, Oldenburger Pinkel, Bremer Knipp und all solche Sachen | |
reingenommen. Im Sommer hatten wir bis zu 20 Sorten Bratwurst. | |
Beispielsweise Kartoffelbratwurst mit richtigen Kartoffelstücken drin, | |
Bratwurst mit grünem Spargel drin oder Fenchelbratwurst. In der Qualität | |
und Zusammenstellung gab es die Sachen in Hamburg fast nur bei mir. Ich | |
habe hier viele junge Leute, die anscheinend nichts Besseres zu tun haben, | |
als mich überall ins Internet reinzustellen. Ehe ich mich versah, war ich | |
mit Pinkel und solchen Sachen an erster Stelle bei Google. | |
Sie haben auch einige Fans auf dem Verbraucherportal Yelp. | |
Ja, aber auch in vielen anderen. Das hat schon sehr geholfen, das Internet | |
macht da sehr viel aus. Wenn die Pinkel angeklickt haben, dann tauchte als | |
erstes mein Name auf. Und dann noch die Fleischerei, da war klar, dass es | |
keine Ware aus der Fabrik ist. Das hat uns über ganz Hamburg und auch aus | |
Norddeutschland Kunden gebracht. Die kamen aus Itzehoe, Flensburg, aus dem | |
ganzen Norden. Einige kamen nur im Winter, andere wollten nur meine | |
exotischen Bratwürste haben. Im Sommer haben wir in den späteren Jahren | |
immer drei Monate Urlaub gemacht, die Bratwürste gab es dann nur noch bis | |
Ende Mai. Da haben sich viele einen Vorrat angelegt. | |
Seit 2010 gilt in der EU eine neue Lebensmittelverordnung, die unter | |
anderem strengere Auflagen für Schlachtereien und Fleischereien vorsieht. | |
Hatte das für Sie Konsequenzen? | |
Nein. Wir haben für viele Sachen einen sogenannten Bestandsschutz. Da | |
mussten wir Sachen nicht verändern. Ansonsten ist eine Kontrolle immer eine | |
Kontrolle. So lange es hygienisch einwandfrei ist, und das ist es hier, | |
gibt es da grundsätzlich nichts zu beanstanden. Das andere sind ja so | |
Umbauten, die man seitdem machen muss. Ich sage es mal so: Wenn hier jetzt | |
ein Neuer reinkäme, der müsste den neuesten EU-Standard herstellen. Was ja | |
nicht der Fall ist, weil Schlachtereien schon seit 20, 30 Jahren | |
wegsterben, | |
Warum ist das so? | |
Erstens, weil es keine Leute gibt, die dieses hohe Risiko eingehen wollen. | |
Zweitens, wenn man sich selbstständig macht in der Schlachterei – das ist | |
nicht gerade mit wenig Geld verbunden. Da muss man schon was im Rücken | |
haben. Wenn mal eine Maschine kaputtgeht, das sind gleich ein paar Tausend | |
Euro. | |
Dazu kommt sicherlich ein hoher Arbeitsaufwand. | |
Ja, da kommen immer so 80, 90 Stunden pro Woche zusammen. Zwölf Stunden pro | |
Tag müssen Sie mindestens rechnen. Man muss mit Herzblut dabei sein, anders | |
geht es nicht. | |
Nach 38 Jahren schließen Sie nun Ihr Fachgeschäft. Wird es Ihnen fehlen? | |
Vor einem Jahr noch habe ich damit noch nicht viele Probleme gehabt. Ich | |
dachte, ich höre einfach auf und dann ist das so. Je dichter ich aber an | |
den Zeitpunkt herankam, desto schwieriger ist es geworden. Da ich jeden | |
Kunden hier kenne, haben sich auch viele freundschaftliche Beziehungen | |
entwickelt. Jetzt fällt es mir extrem schwer. Wir haben die letzten fünf | |
Jahre ja immer schon drei Monate im Sommer zugemacht, nur: Du fängst ja in | |
drei Monaten auch wieder an. Das ist jetzt schlagartig weg. So richtig | |
bewusst geworden ist mir das erst in den letzten Tagen, muss ich sagen. Ich | |
habe da auch wach gelegen, das war im Hinterkopf drin. Ein ganz komisches | |
Gefühl: Jetzt bist du wirklich auf das Abstellgleis gestellt, du fängst | |
nicht wieder an. Das fällt mir unheimlich schwer, das ist einfach so. | |
In all den Jahren haben Sie Ihr Geschäft mit Ihrer Frau zusammen betrieben. | |
Hatten Sie noch weitere Mitarbeiter? | |
Die ersten 20 Jahre hatten wir eine Reinemachfrau, ansonsten ist meine Frau | |
jeden Tag mit hergekommen. Wir sind morgens zusammen rein- und abends | |
zusammen rausgefahren. Also alleine kann man das auch nicht durchstehen. | |
Meine Frau hat immer die Suppen und Eintöpfe gekocht. Ein Beispiel ist die | |
Hühnersuppe, die hat eine Ärztin aus der näheren Umgebung ihren Patienten | |
empfohlen. Wenn die erkältet sind, schickt sie sie zu mir, damit sie die | |
kaufen. Sie selber kommt auch, wenn sie krank ist. Wir kochen die | |
Hähnchenknochen stundenlang aus und haben so die Grundsubstanz in der | |
Suppe. | |
Was haben Sie am liebsten zubereitet? | |
Also meine Frau mag am liebsten meine Oldenburger Pinkel. Das ist ja nun | |
eine Wurst, die ursprünglich nur für den Kohl gedacht ist. Da ist keine | |
Chemie drin, keine Bindemittel, nur Salz und Gewürze. Gesünder geht es an | |
und für sich nicht. Früher wurde sie extrem fett gemacht und dass Fett ging | |
dann in den Kohl rein, das war der Sinn der Sache. Der Bremer Pinkel ist ja | |
immer noch so: Fett, Grütze, Zwiebeln. Das Essverhalten der jungen Leute | |
hat sich ja geändert, deswegen machen wir die Oldenburger Pinkel sehr | |
mager. Die kann man wirklich in jeden Eintopf mit reinnehmen. Woher der | |
Name „Pinkel“ kommt, wissen Sie? | |
Verraten Sie es mir? | |
Wie schon gesagt, die Pinkelwurst wurde früher ganz fett gemacht. Und weil | |
sie ja keine Bindemittel enthält, wird die Wurst warm geräuchert. Dadurch | |
erwärmt sich das Fett und gibt Stoffe ab. Wenn die Wurst im Rauch hängt und | |
ein bisschen warm geworden ist, dann schwitzt sie. Das ist ja Naturdarm, | |
der hat Millionen von kleinen Poren. Aus diesen Poren tritt das Fett aus. | |
Dann hat die Wurst immer getropft. Auf Plattdeutsch hieß das: De Wurst | |
pinkelt. Daraus ist der Name entstanden, ganz einfache Erklärung. Junge | |
Mädchen vor dem Schaufenster kichern immer, wenn sie mein Plakat lesen. | |
Ihre Schaufensterwerbung kommt gut an, eine Kunststudentin hat sich auch | |
schon für Ihre Plakate interessiert. | |
Das ist schon ein paar Jahre her. Da kommt eine junge Studentin hier rein, | |
die hatte hier irgendwo gewohnt. Ab und zu hat sie Frikadellen oder mal | |
einen Kartoffelsalat gekauft. Die sagt zu mir: Haben Sie nicht ein paar von | |
Ihren alten Schildern über? Ich sage: Was habe ich? Sie sagt: Ja, diese | |
alten Schilder, die Sie hier überall hängen haben. Haben Sie da nicht | |
welche über? Ich sage: Was wollen Sie denn damit? Da sagt sie: Was Sie da | |
machen, das sind nicht einfach bemalte Schilder, das ist Kunst. Ich sage: | |
Was ist das? Sie sagt: Ja, das ist Kunst. Die hatte eine Ausstellung in | |
Berlin und sie wollte meine Schilder dort ausstellen. Ich habe ihr dann ein | |
paar gegeben. Was daraus geworden ist, weiß ich nicht. Für mich war das | |
Blödsinn, aber heutzutage ist so vieles Kunst. Das ist wohl reine | |
Betrachtungssache. Der eine sagt, das ist verrückt und der andere versteht | |
etwas davon. Wir werden jetzt aber alle Plakate wegschmeißen. | |
30 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Leif Gütschow | |
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