# taz.de -- Insektizid-Einsatz per Notfallzulassung: 34.000 Hektar Todeszone f�… | |
> Die Aussaat von Zuckerrüben in Niedersachsen beginnt. Dank | |
> Notfallzulassung darf die Nordzucker AG dabei längst verbotene | |
> Insektizide nutzen. | |
Bild: Damit die Ernte gut wird, kommt Gift mit in die Aussaat: Zuckerrüben | |
HAMBURG taz | Der Brief, den Ulrich Raschkowski vor wenigen Tagen erhalten | |
hat, sei „ärgerlich und macht uns alle wütend“. Raschkowski ist im Vorsta… | |
des Kreisimkervereins Wolfsburg und der besagte Brief kommt von der | |
Nordzucker AG. Der Braunschweiger Zuckerproduzent teilte den Imkern darin | |
mit, dass in diesen Tagen die Aussaat der Zuckerrüben in der Region | |
beginne. | |
Das wäre soweit keine Nachricht, wenn das Saatgut diesmal nicht mit einem | |
eigentlich bereits EU-weit verbotenen Pflanzenschutzmittel gebeizt wäre. | |
„Dabei sind das anerkannterweise hochgefährliche Insektizide und für | |
[1][Wild- und Honigbienen schädigend]“, sagt Raschkowski. Die Imker | |
befürchten nun einen Einbruch der Populationen. | |
Eine Notfallzulassung erlaubt es dem Unternehmen, das Pflanzenschutzmittel | |
zu verwenden. Dabei ist der Einsatz des sogenannten Neonikotinoids EU-weit | |
seit 2018 verboten. Neonikotinoide sind eine Gruppe hochwirksamer | |
Insektizide. Eines davon, Thiamethoxam, ist als Wirkstoff in der Beize | |
„Cruiser 600 FS“ enthalten, das nun verwendet wird. Es dient den | |
Saatkörnern als Schutz vor der grünen Pfirsichblattlaus. Diese ist | |
Hauptüberträger des Rübenvergilbungsvirus, der hohe Ertragsverluste zur | |
Folge haben kann. | |
Ein großes Problem sind diese Insektizide für Bienen. Selbst kleine Mengen, | |
die die Tiere nicht direkt töten, schaden ihnen: Neonikotinoide können zu | |
einer Beeinträchtigung der Gehirnprozesse der Bienen führen und auf diese | |
Weise ihre Kommunikation und Orientierungsfähigkeit einschränken. „Sie | |
finden dann nicht mehr zurück zum Bienenstock“, sagt Raschkowski. | |
## Notfallzulassung durch den Bund | |
Die Notfallzulassung hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und | |
Lebensmittelsicherheit erteilt, weil das Vergilbungsvirus sich zuletzt in | |
vielen Anbaugebieten der EU ausgebreitet und auch in Deutschland regional | |
zu „gravierenden“ Pflanzenschäden und Ertragsverlusten geführt habe. Neben | |
Niedersachsen gilt die Erlaubnis auch in Schleswig-Holstein und in fünf | |
weiteren Bundesländern. Bis Ende April darf Nordzucker in Niedersachsen das | |
Pflanzenschutzmittel vorerst benutzen. | |
Begrenzt ist es allerdings auf „Hotspots der Vertragsgebiete von den in der | |
Zulassung angegebenen Zuckerfabriken“. Die Landwirtschaft in Niedersachsen | |
baut auf einer Fläche von knapp 100.000 Hektar Zuckerrüben an. Besonders im | |
westlichen Niedersachsen überwiegt der Zuckerrübenanbau. Ausbringen dürfen | |
das Saatgut nun diejenigen landwirtschaftlichen Betriebe, die Nordzucker | |
mit Zuckerrüben beliefern. Insgesamt beträgt die zugelassene Fläche 34.000 | |
Hektar. | |
„Es ist aus Sicht des Bienen- und Insektenschutzes ein Teufelszeug“, sagt | |
Raschkowski. Vor einigen Jahren starben nach der Beizung von Raps am | |
Oberrhein mehr als 11.000 Bienenvölker. Bei der Zuckerrübe ist die | |
Gefährdung allerdings geringer: Die Pflanzen werden geerntet, bevor sie | |
blühen und Bienen anlocken. Dennoch bleibt die Gefahr durch andere | |
Übertragungswege – wie etwa über das Wasser oder den Boden – weiterhin | |
bestehen. | |
## Nordzucker teilt betroffene Äcker nicht mit | |
Immerhin hat Nordzucker dem Imkerverein nun mitgeteilt, dass im Landkreis | |
das gebeizte Saatgut genutzt werde. „Aber niemand weiß genau, welche Äcker | |
betroffen sind“, sagt Raschkowski. Ärgerlich sei das, weil auch die Imker | |
vor Ort ein Monitoring zur Beobachtung möglicher Umwelteffekte durchführen | |
wollen. | |
Auf Nachfrage der taz kam von der Nordzucker AG ebenfalls keine | |
detaillierte Antwort. „Wir stehen in direktem Austausch mit den | |
Imkerverbänden und halten diese für eingehend informiert“, sagt ein | |
Sprecher des Konzerns, der im vergangenen Geschäftsjahr einen Umsatz von | |
rund 1,4 Milliarden Euro gemacht hatte. | |
Auch der Landesverband der Imker hofft noch auf weitere Informationen. „Die | |
Angst vor diesen Mitteln ist groß bei unseren Mitgliedern“, sagt Jürgen | |
Frühling, Landesvorsitzender der Imker:innen. „Wir können nur hoffen, dass | |
es bei einer einmaligen Zulassung bleibt.“ | |
Diese Hoffnung besteht bei Frühling auch, weil es in den vergangenen Jahren | |
in Niedersachsen auch schon Notfallzulassungen für Insektizide, damals im | |
Kartoffelanbau, gab. „Doch die Einwände der Lebensmittelvermarkter, die die | |
behandelten Kartoffeln nicht abnehmen wollten, haben dazu geführt, dass die | |
Behandlung nicht stattgefunden hat“, sagt Frühling. | |
21 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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