| # taz.de -- Insektenforscher zum Artensterben: „Die Mücken werden durchkomme… | |
| > In Paris tagt die Biodiversitäts-Konfererenz zum IPBES-Bericht. Josef | |
| > Settele erklärt, was die schwindende Artenvielfalt für Menschen und | |
| > Honigbrötchen heißt. | |
| Bild: Futter für Vögel: Die Wiesenschnake | |
| taz: Professor Settele, die britische Zeitung Guardian schrieb vor kurzem | |
| [1][zum Massensterben der Insekten], das sei nur der Anfang – „wenn sie | |
| gehen, gehen wir auch.“ Stimmt das? | |
| Josef Settele: Die Insekten werden nie gehen. Die Mücken zum Beispiel | |
| werden durchkommen. | |
| Die Mücken? | |
| Sie könnten mehr werden, wenn die Vögel schwinden, die die Mücken fressen. | |
| Allerdings gibt es auch noch die Fische, für die die Mückenlarven Nahrung | |
| sind. Das sind natürlich alles komplexe Systeme. Aber immer wenn die | |
| Gegenspieler ausfallen, geht es anderen besser – Schädlingen zum Beispiel. | |
| Welche Plagen meinen Sie? | |
| Die meisten Menschen ernähren sich von Reis. Auf den Feldern tritt die | |
| braune Reiszikade massenhaft auf, wenn die Bauern zuvor viele Insektizide | |
| spritzen. Das hört sich paradox an. Aber sie hält dem Gift besser stand als | |
| ihre Gegenspieler, das sind Libellen, Spinnen oder auch Wanzen. Also | |
| sterben die zuerst – und die Zikade vermehrt sich prächtig. Und die ist | |
| zwar nur wenige Millimeter groß, sorgt aber für immense Schäden. Die | |
| Reispflanzen bleiben mickrig, sie werden braun, sie sterben ab. Die | |
| Gegenspieler kommen zwar irgendwann auch wieder, aber sie kommen zu spät, | |
| um den Landwirt von Ernteverlusten zu verschonen. | |
| Ist das die Zukunft? Welche Entwicklungen sehen Sie nach drei Jahren Arbeit | |
| des Weltbiodiversitätsrates IPBES? | |
| Was wir derzeit erleben, schlägt sich nicht alles in Ernteausfällen, in | |
| monetären Verlusten, nieder. Aber wir verlieren einen großen Teil der | |
| Natur. Der Artenschwund ist nach den neuen Daten nicht gestoppt, er hat | |
| sich zum Teil sogar beschleunigt. Zum Teil leiden ganze Ökosysteme. | |
| Tropische Regenwälder etwa am Amazonas, in denen unzählig viele Tierarten | |
| leben, werden abgeholzt. In der Taiga in Sibirien oder der Mongolei, auch | |
| in der baum- und strauchlosen arktischen Tundra tauen mit dem Klimawandel | |
| nach und nach Regionen auf. | |
| Und in Europa? | |
| Da verlieren wir – wenn man so will – die Motive des Landschaftsmalers der | |
| Romantik, Caspar David Friedrich. Anders gesagt: die reich strukturierten | |
| Kulturlandschaften. Die Wacholderheiden auf der Schwäbischen Alb | |
| schrumpfen, auch in der Lüneburger Heide. Früher zogen durch die Regionen | |
| Schafe, Ziegen, auch mal Rinder. Das gibt es heute kaum noch. So können | |
| dort Fichten Kiefern, Schlehen ungehindert wachsen. Die nehmen vielen | |
| seltenen Pflanzen das Licht. Die Menschen merken das, die Heimat ist nicht | |
| mehr so wie sie war. Das ist ein Verlust. | |
| Das ist das einzige Problem? | |
| Auf keinen Fall, wir geben auch die Versicherung für die Zukunft auf, wenn | |
| wir den Artenverlust nicht stoppen. Wir wissen nicht, ob wir noch eine Art | |
| besonders brauchen werden, weil sie zum Beispiel Obst oder Gemüse bestäuben | |
| kann und einspringen muss, weil andere Arten durch den Klimawandel, | |
| Parasiten oder Ackergifte ausfallen. Vielfalt ist immer hilfreich. | |
| Was würde es für die Ernährung bedeuten, wenn die Bestäubungsarbeit von | |
| Bienen und Hummeln wegfällt? | |
| Schon das Frühstück wäre deutlich übersichtlicher, es gäbe natürlich kein | |
| Honigbrötchen, aber auch keines mit Erdbeermarmelade. Tomaten wären weg wie | |
| auch die Haselnusscreme. Außerdem säßen Sie auch nicht im Baumwollhemd, | |
| sondern in Kleidung aus Synthetikfasern am Tisch. Insekten sind enorm | |
| wichtig für die Bestäubung von Pflanzen, auch als Futter für andere Tiere | |
| und zum Erhalt des ökologischen Gleichgewichts. | |
| Aber mal ehrlich, wie zuverlässig sind die Zahlen, wie viele es gibt? Im | |
| Vergleich zu Nashörnern oder Elefanten wissen wir über Insekten bisher | |
| wenig. | |
| Das stimmt. | |
| Aber? | |
| Wir schätzen, dass es 8 – 10 Millionen Pflanzen- und Tierarten – da sind | |
| die Mikroorganismen nicht dabei – auf der Erde gibt. Davon sind 5 – 6 | |
| Millionen Insekten. Und wir haben Rückgänge bei allen Artengruppen, nicht | |
| nur bei Säugetieren und Vögeln, sondern auch bei den Sechsbeinern. Das ist | |
| sicher. Und vor allem in Europa, Nordamerika, zum Teil ist das auch in | |
| Japan schon gut erforscht. In Deutschland stehen zum Beispiel etwa 40 | |
| Prozent der 550 Wildbienenarten auf der Roten Liste bedrohter Tier- und | |
| Pflanzenarten, bei Schmetterlingen ist es sogar die Hälfte aller Arten. | |
| Sie haben schon als Sechsjähriger angefangen, Insekten zu sammeln. | |
| Ja, ich fand die immer faszinierend. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, da | |
| war in den Schulferien sonst nicht so viel los. Aber schon nach drei bis | |
| vier Jahren kann man super Experte sein, wenn man sich da reinhängt. | |
| Schmetterlinge – in Deutschland gibt es über 3.500 Arten – sind | |
| einigermaßen groß, da lassen sich 90 Prozent schon mit einem guten Buch | |
| bestimmen. Das wird umso schwieriger, je kleiner die Insekten sind und je | |
| versteckter sie leben. Die ganzen kleinen Schlupfwespen zum Beispiel, die | |
| auf Eiern von anderen Insekten leben – da wird es schwierig, weil diese oft | |
| nur ein bis zwei Millimeter groß sind. | |
| Was entgegen Sie, wenn jemand sagt: Ja, aber die Dinosaurier sind auch | |
| ausgestorben? | |
| Das ist alles richtig, die Erde hat schon viele Auf und Abs erlebt. Es ist | |
| okay, dass Arten kommen und gehen, dass sie sich entwickeln und anpassen. | |
| Doch bis die Dinosaurier ausgestorben sind, hat es zehntausende Jahre | |
| gedauert. Die Verluste, die es jetzt gibt, ereignen sich in viel kürzeren | |
| Zeiträumen, wir sprechen von Jahrzehnten. | |
| Was sind die entscheidenden Ursachen, bei denen Sie ansetzen würden? | |
| Bei der intensiven Nutzung des Landes, auf dem Acker, im Forst, auch in | |
| öffentlichen Parks oder im Vorgarten. Nicht zuletzt der Einsatz von | |
| Pestiziden macht den Arten zu schaffen. Insektizide töten – das sollte | |
| niemanden überraschen – Insekten. Sie wurden dafür gemacht. Auch mit den | |
| großen Flächen, auf denen zum Beispiel nur noch Mais für die Produktion von | |
| Bioethanol für die klimafreundliche Zugabe in Kraftstoffen wächst, können | |
| Insekten, Vögel, Feldhasen wenig anfangen. | |
| Was fordern Sie? | |
| Wer Klimaschutz und biologische Vielfalt zusammen denkt – das wird auch ein | |
| wichtiger Punkt in unserem globalen Bericht sein – sollte sich auf eine | |
| Energiegewinnung konzentrieren, die nicht auf Kosten von anderen | |
| Nutzpflanzen, Brachen oder Weideland geht. Das sind eher Windkraft- oder | |
| Solaranlagen, die weniger Fläche brauchen. | |
| Ihr Tipp, was jeder tun kann? | |
| Der englische Rasen ist nicht das Beste für die biologische Vielfalt, im | |
| Gegenteil ist er eine Artenwüste. Aber natürlich brauchen Kinder Platz zum | |
| Spielen. Darum habe ich in meinem Garten eine kleine Rasenfläche, früher | |
| war da auch ein Sandkasten, aber auch eine Wiese, die ich ein oder zweimal | |
| im Jahr mit der Sense mähe. Dazu gibt es eine Art Hügel, der locker | |
| bepflanzt ist, damit im offenen Boden Wildbienen brüten können. | |
| 30 Apr 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Hanna Gersmann | |
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