Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Initiator über Grundeinkommen: „Weder spektakulär noch radikal�…
> Die Schweiz stimmt über das bedingungslose Grundeinkommen ab.
> Mitinitiator Enno Schmidt über die Zukunft der Ökonomie und die Gegenwart
> der Kunst.
Bild: „We ♥♥ Grundeinkommen“ – aber ein bisschen mehr könnte es scho…
taz.am wochenende: Herr Schmidt, Sie sind Deutscher und haben vor zehn
Jahren die Initiative für ein Bedingungsloses Grundeinkommen gemeinsam mit
Daniel Häni gestartet. Warum in der Schweiz?
Enno Schmidt: Weil es in der Schweiz die Direkte Demokratie gibt, für die
ich mich schon in Deutschland eingesetzt hatte.
2008 haben Sie den Film „Grundeinkommen – ein Kulturimpuls“ herausgebrach…
der großes Aufsehen erregte und die Bewegung für das Grundeinkommen
euphorisierte. Wo steht sie heute?
Sie nimmt weltweit zu. Durch die anstehende Volksabstimmung sind wir in der
Schweiz gerade ganz weit vorne. Direkte Demokratie und das Bedingungslose
Grundeinkommen gehören zusammen. Beides achtet die Bürgerinnen und Bürger
als Souverän in ihren Entscheidungen. Nachdem das Grundeinkommen zentrales
Thema auf dem Weltwirtschaftsforum 2016 in Davos war, hat die Diskussion
darüber gewaltig Fahrt aufgenommen.
Inwiefern?
Die Industrie 4.0, also die Digitalisierung und Datenökonomie, wird in den
nächsten zwanzig Jahren etwa die Hälfte aller heutigen Arbeitsplätze
überflüssig machen. Aber ein Einkommen braucht jeder. Arbeit und Einkommen
sind nicht das Gleiche. Wer das versteht, handelt. Es gibt bereits viele
Projekte, die das umsetzen.
Wo denn?
In Finnland wird 2017 mit der Einführung eines Grundeinkommens begonnen. In
den Niederlanden werden Gemeinden Sozialleistungen durch bedingungslose
Unterhaltszahlungen ersetzen. In Lausanne wurde kürzlich das Gleiche
beschlossen. Der kanadische Bundesstaat Ontario wird Sozialleistungen durch
ein Grundeinkommen ohne Auflagen ersetzen. In Südkorea und Japan ist eine
Jugenddividende im Gespräch und in der EU das Helikoptergeld.
Was ist das?
Geld von der Zentralbank für die BürgerInnen der EU. Geld, das kurzfristig
in den Konsum geht und die Wirtschaft ankurbeln soll. Das ist effektiver,
als es auf den Kapitalmarkt zu schwemmen oder den Staaten zu geben. Es
könnte zu einem Bedingungslosen Grundeinkommen ausgebaut werden. In den USA
interessieren sich vor allem die Entwickler und Investoren der
Digitalisierung dafür. Zum einen, damit der Konsum und die Nutzung ihrer
Angebote gesichert sind. Zum anderen, um ein sozial und kulturell
innovatives gesellschaftliches Umfeld zu ermöglichen.
Sie treten für eine enge Verbindung von Kunst und Wirtschaft ein. Wie kommt
das beim Bedingungslosen Grundeinkommen zusammen?
Es nimmt jeden in seiner Idee und in seiner Lebensführung ernst. Es schafft
Freiraum, der für Kreativität und Selbstverantwortung nötig ist, und
ermöglicht mehr Initiative und wirkliche Zusammenarbeit, weil niemand mit
seiner bloßen Existenzgrundlage erpressbar ist. Die Frage, was Geld ist und
wie es entsteht, gehört auch dazu. Darum habe ich am Aufbau einer Stiftung
mitgewirkt, die bedingungslose Stipendien vergab. Das waren Beträge von
etwa 400 Euro monatlich über ein bis drei Jahre.
Was verstehen Sie unter bedingungslos?
Dass etwas keine Auflagen hat und kein Ergebnis vorweggenommen wird. Wir
leben in einer Welt der Funktionalität. In ihr ist die Bedingungslosigkeit
wie ein schwarzes Loch. Es ist schwerer, Menschen zu fördern als Sachen und
Projekte. Menschen kann man nur mit Interesse am anderen und mit
Bedingungslosigkeit fördern. Die Bedingungslosigkeit ist weder spektakulär
noch radikal. Radikal sind die tradierten Vorstellungen, die über andere
bestimmen wollen.
Wie kann eine zeitlich befristete Förderung bedingungslos sein?
Eine zeitliche Bestimmung steckt da drin, ja. Aber wir erlebten in der
Stiftung, dass selbst durch so einen kleinen Betrag Menschen mehr zu dem
kommen, was für sie wichtig ist und wo sie wirklich hinwollen. Das kann ein
Rückzug sein, der Start eines kühnen Projekts oder auch ein Weitermachen
wie bisher. Das Bedingungslose ist ein Brennglas auf die
Selbstverantwortung. Es bleibt heute zu viel wichtige Arbeit liegen, weil
der Bewegungsfreiraum fehlt. Das Grundeinkommen ist auch ein Anreiz zu mehr
Unternehmenskultur, zu sinnvollerer Arbeit und besseren
Arbeitsverhältnissen.
Alle die Beispiele, die Sie erwähnten, klingen aber so, als hätte sich die
Sinnhaftigkeit der Bedingungslosigkeit durchgesetzt.
Zunächst nur für einige. Bei einem Bedingungslosen Grundeinkommen für alle
geht es um mehr. Es geht um das Menschenbild und was wir uns zutrauen. Und
nicht zuletzt auch darum, soziale Unruhen, Kriege und Bürgerkriege zu
vermeiden, wie sie bei der Umstellung von der Agrar- zur Kapitalwirtschaft
stattfanden. Die kommende Umstellung wird das gleiche Ausmaß haben. Ein
Bedingungsloses Grundeinkommen lässt neue Biografien zu und hilft,
ideologische Besitzstände abzubauen, die sich gegen die soziale Realität
sträuben.
Die Frage ist also weniger, ob ein Bedingungsloses Grundeinkommen kommt,
sondern wie es kommt?
Und was es ethisch moralisch beinhaltet. Man könnte es auch als ein
Menschenrecht verstehen. Das Grundeinkommen gewährt das Recht auf Leben. Es
ist ein demokratisch rechtlicher Schritt. Aber eben das fordert ein ganz
neues Denken und lässt alte Glaubenssätze wackeln. Es ist eine neue
Aufklärung vor der Industrie 4.0 nötig, so wie es eine Aufklärung vor der
ersten Industrialisierung gab.
Ist das nicht sehr idealistisch gedacht?
Wäre das schlecht? Wo wären wir ohne die Ideale unserer Vorfahren? Das
Grundeinkommen kommt entweder zwangsläufig im Zuge der Digitalisierung als
unausweichliche Folge der Automatisierung. Dann spielt der Mensch aber
keine zentrale Rolle. Oder es kommt als zivilgesellschaftlicher Schritt zu
einem demokratisch rechtlichen Einkommen aus der gemeinsamen
Auseinandersetzung.
Ist die Volksabstimmung in der Schweiz so eine gemeinsame
Auseinandersetzung?
Sicher. Sie ist ein allgemeiner Bildungsprozess und ein politisches
Instrument, das Vorschläge aus der Bevölkerung bei mehrheitlicher
Zustimmung rechtsverbindlich zu einem Auftrag an die Regierung macht.
Sie haben den Grundstein für die Initiative in der Schweiz gelegt, aber
haben Sie auch die nötigen 100.000 beglaubigten Unterschriften gesammelt?
Das haben viele getan, und viele konnten es besser als ich. Auch mich hat
es Überwindung gekostet, auf der Straße Leute anzusprechen. Aber auf die
Weise haben wir über eine halbe Million Menschen für einen Moment mit
dieser Idee in Berührung gebracht. Das ist eine Dienstleistung für die
Demokratie. Diese lebendige Möglichkeit, neue Ideen in die
gesellschaftliche Diskussion zu bringen, fehlt in Deutschland.
Wie meinen Sie das?
Es fehlt die Brücke zwischen Bevölkerung und Gesetzgebung. In der Schweiz
sind Volksabstimmungen ganz normal. Die Diskussionskultur in der Schweiz
ist dadurch höher. Man muss dem anderen zuhören und die eigene Meinung
vielleicht auch besser prüfen.
Die Kampagne besticht vor allem durch ihre Kreativität. Eine Ihrer Aktionen
hat es kürzlich ins „Guinness-Buch der Rekorde“ geschafft. Die Frage „Was
würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre?“ wurde in Genf
auf ein 8.115,53 Quadratmeter großes Plakat gedruckt und ist damit das
größte Plakat der Welt.
Das macht unser junges Kampagnenteam aus. Ästhetik, Großzügigkeit,
überraschende Bilder, kein Dagegen. Unser Kampagnen-Flyer ist der
10-Franken- Schein. Drei Frauen vom Kampagnenteam haben tausend davon am
Zürcher Hauptbahnhof an die Leute verteilt. Bedingungslos. Echtes Geld. Die
Scheine haben einen kleinen transparenten Aufkleber, darauf steht: I ♥♥
Grundeinkommen. Die Scheine gibt man beim Einkaufen weiter und verbreitet
damit die Botschaft. Man kann den Aufkleber bestellen und die eigenen
Geldscheine damit versehen. Das Grundeinkommen ist nicht zusätzliches Geld,
es ist schon bestehendes Geld.
Als Sie die gesammelten Unterschriften zur Volksinitiative im Oktober 2013
einreichten, haben Sie vor dem Schweizer Parlaments- und Regierungssitz
einen Schwerlaster 15 Tonnen Münzen abkippen lassen.
Es waren 8 Millionen Münzen im Wert von 400.000 Schweizer Franken, also
eine 5-Rappen- Münze für jeden Einwohner der Schweiz. Ein symbolischer
Start des Grundeinkommens.
Am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, zogen 100 als Roboter verkleidete Personen
durch Zürichs Einkaufsmeile. Was ist die Botschaft?
Dass Roboter den Menschen Arbeit abnehmen, aber nicht das Einkommen.
Roboter brauchen kein Einkommen.
2.500 Franken im Monat: Warum ein so hohes Grundeinkommen in einem der
reichsten Länder der Welt?
Von 2.500 Franken kann ein Erwachsener in der Schweiz kaum leben. Es ist
ein geringer Betrag und nur eine Beispielzahl. Es geht um die
Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens. Das ist mehr eine Frage der
Intelligenz als eine des Geldes. Übrigens gibt es auch in der Schweiz
Armut. Das Grundeinkommen ist aber nicht als Armutsbekämpfung zu verstehen.
Wie dann?
Ob ein Grundeinkommen eingeführt werden kann oder nicht, hat nichts damit
zu tun, wie reich ein Land ist. Es ist nur das, was jeder Mensch zum Leben
unbedingt braucht. Heute ist der Betrag eines Grundeinkommens in den
bestehenden Einkommen enthalten. Neu ist, dass er zu einem separaten
bedingungslosen Sockelbetrag werden soll. In den anderen Einkommen ist er
dann nicht mehr enthalten.
Wäre es nicht angebracht, angesichts der miserablen wirtschaftlichen Lage
mancher südlicher Länder, dort als Erstes ein Grundeinkommen einzuführen,
damit die Wirtschaft wieder läuft?
Es geht beim Bedingungslosen Grundeinkommen um Grundlegenderes als nur um
das Ankurbeln der Wirtschaft für ein unaufhörliches Weiter-so. Es geht
darum, die Menschen freier zu machen. Auf dieser Grundlage würde die
Wirtschaft nach Maß des Menschen und nicht nach Maß der Profitmaximierung
angekurbelt. Das Grundeinkommen wird von der gängigen Ökonomie als Störung
empfunden. Mit der Bedingungslosigkeit bricht etwas Unberechenbares in ihr
Universum, etwas, für das Ökonomen keine Formel haben.
28 May 2016
## AUTOREN
Stefan Pangritz
## TAGS
Bedingungsloses Grundeinkommen
Schweiß
Volksabstimmung
Lesestück Recherche und Reportage
Bedingungsloses Grundeinkommen
Bedingungsloses Grundeinkommen
Bedingungsloses Grundeinkommen
Bedingungsloses Grundeinkommen
Bedingungsloses Grundeinkommen
Grundeinkommen
Schwerpunkt Armut
Bedingungsloses Grundeinkommen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommentar Grundeinkommen Finnland: Übertriebene Heilserwartungen
Die an das bedingungslose Grundeinkommen geknüpften Hoffnungen könnten
enttäuscht werden. Denn es bringt auch Gefahren mit sich.
Experiment in Finnland: Ein Häppchen Grundeinkommen
2.000 Arbeitslose sollen für zwei Jahre 560 Euro im Monat bekommen. Das
Mini-Grundeinkommen sei eine Mogelpackung, kritisieren Linke.
Kommentar Schweizer Grundeinkommen: Vor dem finanziellen Absturz geschützt
Beim Volksentscheid in der Schweiz wurde das bedingungslose Grundeinkommen
abgelehnt. Das nicht zu wollen, muss man sich leisten können.
Mit großer Mehrheit: Schweiz lehnt Grundeinkommen ab
In der Schweiz wird es kein bedingungsloses Grundeinkommen geben. 78
Prozent entschieden sich am Sonntag bei einer Volksabstimmung dagegen.
Bezieherin von Grundeinkommen: Die erstaunliche Wirkung von Geld
Grundeinkommen abgreifen und dann Florida-Rolf werden? Von wegen. Katrin
Klink nutzt ihr gewonnenes Geld, um mehr zu arbeiten als vorher.
Schweizer Grundeinkommensentscheid: Wer hat's erfunden?
Die Schweiz könnte als erstes Land ein bedingungsloses Grundeinkommen
einführen. Gegner halten das Vorhaben jedoch für „nicht bezahlbar“.
Armut in Deutschland: Jedes siebte Kind braucht Hartz IV
Viele Minderjährige sind auf Hilfsleistungen angewiesen. In Bayern sind es
besonders wenige, in Bremen und Berlin besonders viele.
Diskussion ums Grundeinkommen: Anders arbeiten
Die Schweiz stimmt über das bedingungslose Grundeinkommen ab, in
Deutschland gibt es Vorbehalte. Warum die Vorurteile Quatsch sind.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.