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# taz.de -- Ingenieur Günther Schuh über E-Autos: „Sie müssen nicht weit f…
> Günther Schuh, Professor an der RWTH Aachen, hat mit dem Postauto
> StreetScooter gezeigt, dass es möglich ist, günstige Elektrofahrzeuge zu
> bauen.
Bild: Montagehalle für den Streetscooter bei Düren, in der Nähe von Köln
taz: Herr Professor Schuh, als Wissenschaftler sind Sie selber zum
Autoproduzenten geworden. Warum?
Günther Schuh: Wir versuchen damit, der Öffentlichkeit zu erklären, wie die
Logik der emissionsfreien Mobilität tatsächlich aussehen könnte. Ein
Großteil der Industrie und auch der Politik geht davon aus, dass wir morgen
batteriegetriebene Autos haben, die dieselbe Reichweite haben wie
herkömmliche Autos und genauso viel kosten. Das ist Blödsinn. Diese falsche
Erwartungshaltung hat auch zu einer unvorteilhaften Marktentwicklung
geführt.
Was verstehen Sie darunter? Was ist Ihr Paradigma?
Batteriegetriebene Autos müssen nicht weit und schnell fahren, sondern sie
sollen das Problem lösen, das am dringendsten ist: das Gift aus unseren
Städten verbannen. Dann werden nur kleinere Batterien benötigt, die im
realen Betrieb eine Reichweite von 150 Kilometern bieten. Und das reicht
theoretisch für 60 bis 70 Prozent aller Autofahrer in der Stadt. Damit wird
das Auto im Prinzip so günstig, dass es für jemanden, der regelmäßig in der
Stadt mit dem Auto unterwegs ist, die bezahlbarste Alternative wird. Und
gleichzeitig kann man als Hersteller damit Geld verdienen. Das bekommt auch
in China noch niemand hin.
Die von Ihnen festgestellten Fehlentwicklungen waren also Anlass, um selber
als Akteur aufzutreten?
Zunächst war die Aufgabe viel kleiner gefasst. Um 2009 herum, nach der
großen Krise, wurde spürbar, dass E-Autos technisch machbar wurden, etwa
durch immer leistungsstärkere Batterien. Als Produktionswissenschaftler war
mir klar, dass die Fahrzeuge, die die Industrie bauen würde, für die
Konsumenten zu teuer sein würden. Gemeinsam mit meinem Kollegen Professor
Achim Kampker wollte ich beweisen, dass es auch mit heutiger
Produktionstechnik und in einem Hochlohnland möglich ist, bezahlbare
Elektroautos zu bauen.
So klein gefasst hört sich das gar nicht an …
Wir wollten solch ein Fahrzeug ja nicht bauen, sondern mit Konzepten,
Kalkulations- sowie Produktionsverfahren zeigen, dass es geht. Und das
haben wir dann auch. Aber keiner hat uns geglaubt.
Was kritisieren Sie denn am Ansatz der Automobilindustrie?
Es war schon frühzeitig klar, dass die Batterie-Package-Zellenproduktion
auch über einen längeren Zeitraum nicht wesentlich preiswerter werden kann.
Parallel, und das gilt für alle Segmente, gibt es keinen Massenmarkt, wenn
nicht schon Vorgängerprodukte existieren, auch nicht für Volumenhersteller
wie Volkswagen oder Ford. Sie müssen sich bei den E-Autos für ihre
Verhältnisse mit viel zu kleinen Stückzahlen befassen, weil ihre
Produktionstechnik, die auf Massenherstellung ausgerichtet ist, nicht dazu
passt.
Weil?
Alle Hersteller bauen beispielsweise seit über 30 Jahren selbsttragende
Karosserien. Schon allein für einen VW Polo kostet der entsprechende
Werkzeugsatz um die 120 Millionen Euro. Anschließend muss das Fahrzeug mit
einer teuren Lackieranlage lackiert, müssen die ganzen Teile mit einer
Robotikanlage zusammengeschweißt werden. Das alles führt dazu, dass sie für
eine kleine Serienproduktion von 30.000 Fahrzeugen eine Investition von 400
bis 500 Millionen Euro benötigen – die Entwicklungskosten nicht
dazugerechnet. Und wenn man von einem Absatz von 30.000 Fahrzeugen pro Jahr
ausgeht, dann wird das Fahrzeug so teuer, dass es sich für den Kunden nicht
mehr lohnt. Das haben wir erkannt und gesehen, dass das Produkt anders
aufgebaut sein muss. Nachdem wir Konzept und Kalkulation entwickelt hatten,
glaubte uns niemand. Manche ließen erkennen, dass sie das für eine Art
„Jugend forscht“-Idee hielten. Aber dafür war ich auch schon vor acht
Jahren zu alt. Und da wollte ich natürlich beweisen, dass das kein
theoretischer Quatsch aus dem Elfenbeinturm ist.
Was sind denn die Grundzüge Ihrer Produktion?
Bei kleineren Stückzahlen, unter 150.000 Fahrzeugen pro Jahr, brauchen wir
ein anderes Karosseriekonzept. Also machen wir keine tiefgezogenen
Karosserieteile, zu deren Anfertigung teure Werkzeuge benötigt werden,
sondern wir nehmen Aluminiumprofile. Dazu benötigt man auch Werkzeuge, die
nennt man Matrizen. Für eine Mittelsäule etwa kostet eine Matrize 3.000
Euro, in der Autoindustrie für das entsprechende Bauteil kosten die
Werkzeuge zur Herstellung etwa drei Millionen. Das Presswerk, eines der
teuersten Elemente bei der Autoproduktion, gibt es bei uns gar nicht.
Die Lackierung Ihrer Fahrzeuge entfällt ebenfalls?
Ja. Wir können die 50 bis 70 Millionen Euro teure Lackieranlage ebenfalls
ganz weglassen. Die Außenhaut wird aus Thermoplasten, die erwärmt umgeformt
werden, hergestellt. Die Oberfläche sieht schöner aus und ist viel
unempfindlicher als Lack. Auch die Montage ist günstig, weil das Auto von
innen nach außen aufgebaut wird. Bei der herkömmlichen Produktion ist das
umgekehrt. Wir haben dadurch nur 4,8 Prozent Montagekosten, bei den
klassischen Herstellern sind mindestens 10 bis 12 Prozent erforderlich.
Also kann ich das auch in einem Hochlohnland machen lassen und die
Mitarbeiter gut bezahlen. – Und so ist dann der StreetScooter entstanden,
der damals tatsächlich das erste E-Auto war, das die Betreiber weniger
kostet als das vergleichbare Verbrennermodell. Die Deutsche Post war
begeistert.
Welche Ziele möchten Sie letztlich erreichen?
Als Ingenieurwissenschaftler willst du immer auch etwas bewirken. Research
nur für die Library ist zu wenig. Ich will eine öffentliche Debatte
initiieren und zeigen, was machbar ist. So bin ich auch zum Unternehmer
geworden, der inzwischen zwei Firmen gegründet hat. Damit, so hoffe ich,
kann ich vielleicht auch die etablierten Player, für die ich mein ganzes
Leben geforscht habe, anregen, sich auch in diese Richtung zu bewegen,
damit unsere Gesellschaft bei diesem Thema Fortschritte erzielt.
Nun sind Sie selbst Marktteilnehmer. Ist das nicht ein Widerspruch zu Ihrem
Anspruch als Wissenschaftler?
Es ist sehr wichtig, dass Forschung unabhängig ist und der Gesellschaft
dient und nicht einzelnen Unternehmen, Industrien oder dem Staat. Das
rechtfertigt nicht jedes Mittel. Aber wir sollten in der Lage sein,
kraftvoll genug zu sein, um Gegenpositionen einzunehmen und
Fehlentwicklungen zu verhindern, die die Branche nicht sieht oder sogar
nicht sehen will. Wäre ich nicht in die konkrete Umsetzung gegangen, würden
alle immer noch glauben, dass bezahlbare Elektromobilität nicht möglich
ist.
4 Aug 2018
## AUTOREN
Wilfried Urbe
## TAGS
Elektroauto
Batterie
Elektromobilität
Nachhaltigkeit
Mobilität
Elektroauto
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