# taz.de -- Inflation in Japan: Trauma der „Preiszerstörung“ | |
> Nach über zwei Jahrzehnten kehrt die Inflation nach Japan zurück und | |
> verschreckt alle: Konsumenten, Regierung, Notenbank und Unternehmen. | |
Bild: 20 Jahre Deflation: Japanische Konsument*innen waren kaum mehr steigende … | |
TOKIO taz | Nippon, die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, galt als eine | |
der letzten Bastionen gegen den Preis-Tsunami, der gerade viele Länder | |
überschwemmt. Über 20 Jahre lang haben die Japaner keine [1][Inflation] | |
mehr gespürt. Doch diese Dämme brechen: Seit Anfang Januar kosten Toastbrot | |
und 246 andere Backwaren von Marktführer Yamazaki Baking im Schnitt über 7 | |
Prozent mehr. Die Sojasaucen der Standardmarke Kikkoman verteuern sich im | |
Februar um 4 bis 10 Prozent. Der Preis von Kerosin für die Kleinöfen, mit | |
denen viele Haushalte heizen, stieg um ein Viertel. | |
Nach dem Neujahrstag hatten die japanischen Konsumenten die Läden | |
regelrecht gestürmt: Endlich wieder Geld ausgeben nach den Einschränkungen | |
durch die Pandemie! Viele Regale waren leer. Doch nun berichten Hausfrauen, | |
vom Fernsehen im Supermarkt befragt, dass sie weniger kaufen und nur noch | |
auf Sonderangebote achten. Vier von fünf Japanern erwarten laut einer | |
Umfrage steigende Preise auf Jahressicht. | |
[2][Anders als in Deutschland] reagierte die Regierung sofort alarmiert. | |
Premier Fumio Kishida witterte in den Preissprüngen bei Energie politischen | |
Sprengstoff und versprach den Fischern und Spediteuren Ausgleichszahlungen | |
für ihren Dieselkraftstoff. | |
Kishida hat viel Spielraum: Der Staat kontrolliert nach Berechnungen der | |
Leipziger Ökonomen Gunther Schnabl und Taiki Murai über die Hälfte der | |
Waren im Preisindexkorb – von den Bahnfahrten über Reis, Weizen und | |
Sojabohnen bis zu Kindergarten- und Studiengebühren. | |
## Keine Zinserhöhung in Sicht | |
Auch Japans Zentralbank zeigte sich besorgt. In Deutschland forderte der | |
neue Bundesbank-Chef Joachim Nagel die Europäische Zentralbank zur | |
„Wachsamkeit“ für die Preisstabilität auf, da die Inflation länger andau… | |
könnte als gedacht. In Japan räumte Notenbank-Chef Haruhiko Kuroda erstmals | |
ein, die Inflation nähere sich durch die weltweit gestiegenen | |
Rohstoffkosten seiner Zielrate von 2 Prozent an. Daher machten Gerüchte die | |
Runde, die japanische Zentralbank wolle die Zinsen erstmals seit 15 Jahren | |
erhöhen. | |
Jedoch halten die meisten Japan-Experten den Inflationstrend für so | |
kurzlebig, dass die Notenbank ihre Geldpolitik nicht straffen werde. Laut | |
der Investmentbank Morgan Stanley MUFG steigt die Kerninflationsrate bis | |
April auf 1,5 bis 2 Prozent, je nach Ölpreis und Wechselkurs. Danach werde | |
die Teuerung wieder zurückgehen. „Der Ratenabstand zu anderen großen | |
Volkswirtschaften wird hoch bleiben“, schätzt man auch bei Barclays Japan. | |
## Kaum Lohnerhöhung | |
Vor allem ist in Japan keine Lohn-Preis-Spirale in Sicht. „Letztlich wird | |
Inflation durch die Lohnentwicklung getrieben“, betont Martin Schulz, | |
Chefvolkswirt beim IT-Konzern Fujitsu. „Aber bisher gibt es keine | |
lohntreibenden Verwerfungen der Wirtschaft.“ Der monatliche | |
Durchschnittslohn von Festangestellten schwankt seit zwei Jahrzehnten um | |
rund 2.400 Euro. Ein stiller Vertrag zwischen Kapital und Arbeit gilt als | |
Grund für die Stagnation. „Die Festangestellten bevorzugen sichere Jobs | |
gegenüber Lohnzuwächsen“, meint Naohiko Baba, Japan-Ökonom bei Goldman | |
Sachs. Die Unternehmen flexibilisierten ihre Belegschaft durch Zeitarbeiter | |
mit geringen Löhnen, die heute jede dritte Stelle füllen. Der Plan von | |
Kishida, mit Steuerfreibeträgen von bis zu 40 Prozent Lohnerhöhungen zu | |
subventionieren, dürfte bereits daran scheitern, dass zwei Drittel der | |
Firmen keine Einkommensteuer zahlen. | |
Die Preiswende aus heiterem Himmel bewegt die Japaner stark. So wie die | |
Deutschen seit der Hyperinflation von 1922/23 nichts mehr fürchten als eine | |
rasche Geldentwertung, so leiden die Japaner bis heute unter dem Trauma der | |
„Preiszerstörung“. Das Wort „Kakaku Hakai“ beschreibt den Wertverlust … | |
Aktien und Immobilien von bis zu 90 Prozent, als die spekulative Luft aus | |
der „Blasenwirtschaft“ der 1980er Jahre entwich. Seitdem stagnierten viele | |
Preise – vom Glas Bier in der Kneipe bis zur Wohnungsmiete. | |
## Hersteller setzen auf Shrinkflation | |
Das Verschwinden der Inflation verursachte, so klagt Notenbank-Chef Kuroda | |
bereits seit Langem, bei den Bürgern eine „deflationäre Denkweise“, die | |
steigende Preise nicht mehr akzeptieren will. Umfragen zufolge wechseln die | |
meisten Japanerinnen und Japaner lieber das Geschäft oder den Hersteller, | |
als eine Preiserhöhung zu akzeptieren. | |
Als die Taxen in Tokio einmal ihre Fahrpreise erhöhten, kam es zu einem | |
spontanen Boykott. Die Billigtextilkette Uniqlo musste Preisanhebungen von | |
über 15 Prozent wegen Umsatzverlusten zurücknehmen. Als Ausweg verringern | |
viele Unternehmen die Inhaltsmenge ihrer Packungen, in Fachkreisen | |
Shrinkflation genannt, und verwenden billigere Materialien. | |
Nun liefert die weltweite Inflationswelle den Herstellern eine gute Ausrede | |
für eine Anhebung. Doch bislang wagen sich nur die Marktführer mit viel | |
Preismacht aus der Deckung und testen die Akzeptanz der Konsumenten: So | |
erhöhte der Schreibwarenriese Kokuyo die Preise von Scheren und Tackern um | |
8 Prozent, allerdings nur bei jedem sechsten Produkt. | |
16 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Martin Fritz | |
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