# taz.de -- Immobilienspekulation in Berlin: Mauer gegen Mieter | |
> Der Eigentümer der Habersaathstraße 40–48 lässt die Kellertür zumauern | |
> und versperrt damit Fluchtwege. Die Politik lässt den Investor gewähren. | |
Bild: Lange stand die Habersaathstraße leer. Das hätte der Eigentümer gerne … | |
BERLIN taz | Die Reste der Mauer sind noch zu sehen, Mörtel klebt an der | |
Tür, die Steine wurden mittlerweile weggeräumt. Am Dienstagmorgen hatten | |
Handwerker versucht, die Tür zum Keller der Habersaathstraße 40–48 | |
zuzumauern. „Es gibt hier keinen Brandschutz mehr, haben sie uns gesagt, | |
als wir dagegen protestiert haben“, erzählt Daniel Diekmann, langjähriger | |
Mieter und Vorsitzender des Mieterrats, am nächsten Morgen der taz. | |
Dabei ist die massive Stahltür nicht nur ein ausgewiesener Notausgang, | |
sondern auch der Zugang der Bewohner*innen zu ihren Habseligkeiten, | |
ihren Fahrrädern und zu den Mülltonnen im Innenhof. Doch der Protest der | |
Bewohner*innen bleibt ungehört, erst als sie die Polizei rufen, lassen | |
die Arbeiter*innen von ihrem Vorhaben ab und gehen. Doch nicht ohne zu | |
drohen, am nächsten Morgen wiederzukommen. | |
Also haben sich Bewohner*innen und Unterstützer*innen am | |
Mittwochmorgen vor dem Haus in Mitte versammelt, um ein erneutes Eindringen | |
der Handwerker zu verhindern. Denn sie vermuten, dass der Eigentümer, | |
Andreas Pichotta, Geschäftsführer des Immobilienkonzerns Arcadia Estates, | |
das Haus mit seinen rund 100 Wohnungen unbewohnbar machen will, um die | |
Bewohner*innen loszuwerden. | |
Dabei scheinen ihm alle Mittel recht. „Das ist ein Notausgang, ein | |
Fluchtweg, den zuzumauern ist absolut illegal“, sagt Valentina Hauser von | |
der Unterstützerinitiative Leerstand-hab-ich-Saath. Sie fordert die Politik | |
auf, endlich zu handeln. „Wir können hier schließlich nicht jeden Tag vor | |
der Tür stehen.“ | |
## Menschen sind ohne Strom und Warmwasser | |
Denn es ist nicht das erste Mal, dass der Eigentümer versucht, rechtswidrig | |
Fakten zu schaffen und die Bewohner*innen, unter denen sich neben rund | |
einem Dutzend langjähriger Mieter*innen auch rund [1][60 ehemals | |
obdachlose Menschen] befinden, zu räumen. Im Keller sind noch die Überreste | |
des ersten Versuchs zu sehen: Kabel von herausgerissenen Stromzählern | |
liegen herum. Wo einst Sicherungen waren, klaffen Löcher in den Wänden, | |
Heizungsrohre wurden beschädigt. | |
[2][Im August] war eines Morgens plötzlich eine Gruppe von rund 20 | |
Securitys und Bauarbeitern vor dem Haus aufgetaucht und hatte damit | |
begonnen, Fenster aus den Wohnungen zu entfernen und die Stromzähler | |
herauszureißen. Die Polizei stand untätig daneben. Seitdem haben die | |
Bewohner*innen kein warmes Wasser mehr, die ehemals Obdachlosen nicht | |
einmal Strom. Vor zwei Wochen wurden die Schlösser ausgetauscht. Als | |
Nächstes solle trotz sinkender Temperaturen die Heizung abgestellt werden, | |
sagt Mieter Diekmann. „Das ist Schikane. Sie wollen uns einschüchtern und | |
mürbe machen.“ | |
„Jetzt ist der Bezirk und auch das Land gefordert, sofort einzugreifen und | |
etwas zu unternehmen“, sagt Katina Schubert, sozialpolitische Sprecherin | |
der Linken, der taz. Sie ist, ebenso wie die wohnungspolitische Sprecherin | |
der Grünen, Katrin Schmidberger, am Mittwochmorgen in die Habersaathstraße | |
gekommen, um sich ein Bild von der Situation zu machen. | |
Die beiden Abgeordneten sind davon überzeugt, dass es sich hier um | |
Zweckentfremdung handelt. „Die Stadt muss jetzt ihre Zähne zeigen“, sagt | |
Schubert. Für sie kommt auch eine Beschlagnahmung des Plattenbaus infrage. | |
„Da müssen Bezirk und Land jetzt mutig sein.“ | |
## Gerichtsurteile zugunsten der Mieter*innen | |
Denn für die Räumungsversuche des Eigentümers gibt es keine rechtliche | |
Grundlage – im Gegenteil. [3][Im ersten Prozess] gegen Bestandsmieter Mitte | |
August hatte Pichotta eine haushohe Niederlage erlitten. „Eine Wohnung ist | |
kein Aktienpaket“, so die Richterin und wies die Verwertungskündigung ab. | |
Ähnlich äußerte sich die Richterin [4][im zweiten Prozess] vergangene | |
Woche, zu dem das Urteil noch aussteht. In einer Woche ist der nächste von | |
insgesamt sechs Prozessen. | |
Die Arcadia möchte die Altmieter*innen raushaben, um das Haus – trotz | |
seines bewohnbaren Zustands – abzureißen und dort Luxuswohnungen zu | |
errichten. Die Abrissgenehmigung ist Ende Juli abgelaufen. | |
„Pichotta nutzt kriminelle Methoden und krasse Zerstörungstaktik gegenüber | |
den Mieter*innen, um trotz Gerichtsurteil eine Räumung zu erzwingen“, | |
kritisiert die Grünen-Abgeordnete Schmidberger. Auch sie fordert Senat und | |
Bezirk auf, tätig zu werden. Immerhin dürfe dieses Beispiel von | |
„Verdrängung mit kriminellen Methoden“ keine Schule machen. „Wir müssen | |
zeigen, dass der Staat hier auch durchgreift und Eigentümer nicht machen | |
können was sie wollen.“ | |
Die zuständigen Senatsverwaltungen wollen sich nicht dazu äußern und | |
verweisen auf den Bezirk. Der reagierte bis Redaktionsschluss nicht auf | |
Anfragen. Auch Pichotta will sich nicht äußern. Schmidberger sieht gute | |
Chancen, dass der Eigentümer nach Paragraf 6 Wirtschaftsstrafgesetz belangt | |
werden kann. Demnach sind bauliche Maßnahmen, die dazu dienen, die | |
Mieter*innen zum Auszug zu bewegen, verboten und können mit einem | |
Bußgeld bis zu 100.000 Euro bestraft werden. Dazu müssen die | |
Bewohner*innen den Investor allerdings anzeigen. Daniel Diekmann ist | |
dazu fest entschlossen. „Aus Sorge um Leib und Wohl der Bewohner und damit | |
das aufhört.“ | |
18 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Marie Frank | |
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