| # taz.de -- Hospiz unerwünscht: Bitte sterben Sie woanders | |
| > Einen Tag nach seiner Öffnung muss ein Hospiz in Hamburg womöglich wieder | |
| > schließen. Die Kläger wollen den Tod nicht vor der Haustür haben. | |
| Bild: Zwölf Patienten sollen in dem Hospiz einmal leben – und sterben. | |
| HAMBURG taz | Das Ehepaar K. will nicht sprechen. Am Montagmittag sind alle | |
| Rollläden heruntergelassen, auf die schriftliche Bitte, sich zu melden, | |
| reagiert es nicht. Wer die beiden in ihrer Doppelhaushälfte am Hamburger | |
| Stadtrand besuchen will, kommt nur bis zur Hecke. | |
| Hier, vom Fußweg aus, kann man sehen, was das Ehepaar wütend und sprachlos | |
| macht: Gegenüber hat das Rote Kreuz (DRK) das Gemeindezentrum zum Hospiz | |
| umgebaut. Ein Doppelstockbau mit massiver Backsteinwand, keine fünf Meter | |
| entfernt von der eigenen Fensterfront. Ehepaar K. klagt gegen das Hospiz, | |
| heute verhandelt das Verwaltungsgericht. Sollte das Paar recht bekommen, | |
| kann es sein, dass das Hospiz abgerissen werden muss. Erst am Mittwoch | |
| wurde es eröffnet. | |
| Formal begründet das Ehepaar seine Einwände in der Klageschrift, die der | |
| taz vorliegt. Dort ist der Ärger in die Fachsprache der Juristen übersetzt. | |
| Bemängelt werden die „Abstandsflächen“, die „Mehrverschattung“, und d… | |
| „kurze Verweildauer“ der kranken Patienten. Ein Hospiz entspreche nicht dem | |
| „Gebietscharakter des allgemeinen Wohngebietes“, heißt es. „Der Bau nimm… | |
| mit anderen Worten, keine Rücksicht auf das Wohnumfeld.“ | |
| Zwei Tage vor der Eröffnung steht Harald Krüger am Fenster eines | |
| Patientenzimmers im Hospiz. Er zeigt auf die Hecke, die auf der | |
| Grundstücksgrenze zwischen dem Hospiz und dem Garten des Ehepaars K. | |
| verläuft: „Das war unser Kompromiss,“ sagt er. „Per Vertrag haben wir | |
| geregelt, dass die Hecke einen Sichtschutz bildet.“ | |
| ## Hinter der Hecke | |
| Harald Krüger leitet das Bezirksbüro des DRK, das Hospiz ist sein Projekt. | |
| Das Patientenzimmer, aus dem er auf die Nachbarn schaut, ist noch | |
| unbewohnt. Die Wände sind gelb und weiß gestrichen, es riecht nach frischer | |
| Farbe und Laminat. Am Montag soll die erste Patientin einziehen. Ein | |
| fahrbares Bett und ein fahrbarer Sessel sind schon da, Fernseher und | |
| Stehlampe fehlen noch. Zwölf Patienten sollen in dem Hospiz einmal leben – | |
| und sterben. Wenn das Hospiz überhaupt bleiben darf. | |
| Krüger ist ein kräftiger Mann mit grauem Bart. Er spricht mit fester Stimme | |
| und Hamburger Schnack. Keiner, der sich schnell geschlagen gibt. Seit | |
| dreißig Jahren arbeitet Krüger beim DRK und hat schon viele soziale | |
| Einrichtungen eröffnet. Bei jeder, egal ob Kindergarten oder | |
| Altenwohnanlage, habe es Beschwerden der Anwohner gegeben. „Aber so viel | |
| Widerstand wie hier habe ich noch nie erlebt“, sagt er. | |
| Krüger und das DRK hatten das Gemeindezentrum im letzten Jahr von der | |
| Kirche gekauft. Noch bevor der Kaufvertrag unterschrieben war, hatte Krüger | |
| die erste Beschwerde im Briefkasten. Damals empörten sich neben dem Ehepaar | |
| noch mehr Anwohner, und dann begann die Protestwelle. Krüger lud alle | |
| Anwohner zu einer Infoveranstaltung ein. 150 Nachbarn kamen und trugen ihre | |
| Sorgen vor: „Einer meinte, ihm bleibe das Brötchen im Halse stecken, wenn | |
| an seinem Frühstückstisch der Leichenwagen vorbeifährt. Viele Eltern hatten | |
| Angst um ihre Kinder, wenn die sehen, wie hier Leichen abtransportiert | |
| werden. Und wieder andere hatten Angst, dass sie im Sommer nicht mehr | |
| draußen grillen dürfen“, erinnert sich Krüger. | |
| ## „Wir sind von Anfang an belogen worden“ | |
| Zurück auf der Straße in Sichtweite von Hospiz und Nachbarhaus: Einer der | |
| Anwohner steht vor seinem Gartentor. Wie er es findet, dass hier ein Hospiz | |
| eröffnet? „Wir sind von Anfang an belogen worden“, sagt er. „Die Bauplä… | |
| die uns das DRK im letzten Jahr vorgesetzt hat, sahen ganz anders aus.“ Er | |
| trägt Funktionsjacke und eine Aktentasche, beim Reden läuft er auf und ab, | |
| wird immer lauter und gestikuliert mit seiner freien Hand. | |
| Das Hospiz regt ihn auf, aber seinen Namen will er nicht in der Zeitung | |
| lesen: „Das Gebäude versperrt dem Ehepaar die Aussicht. Ich kann gut | |
| verstehen, dass die sich beschweren.“ Auch er habe am Anfang gegen das | |
| Hospiz gekämpft, mittlerweile sei ihm das aber zu viel Arbeit. „Ich habe | |
| doch überhaupt nichts gegen das Hospiz“, sagt er. „Aber im Umkreis von | |
| nicht einmal zwei Kilometern gibt es einen Waldrand am freien Feld. Wieso | |
| konnte man das Hospiz nicht dahin bauen? Dort hätte es keinen gestört.“ | |
| Solche Sätze hat Martina Kuhn schon oft gehört. Sie koordiniert die | |
| Hamburger Hospize. „Jedes Hospiz, das in Hamburg neu aufgemacht hat, hat | |
| Proteste erlebt“, sagt sie. „Aber bei keinem haben die Anwohner so lange | |
| gekämpft und sind sogar vor Gericht gegangen.“ In einem anderen Stadtteil | |
| sei ein Ehepaar umgezogen, als es einsah, dass es das Hospiz nicht | |
| verhindern konnte. Bei einem anderen Hamburger Hospiz, das seit 15 Jahren | |
| geöffnet ist, beschweren sich die Nachbarn bis heute regelmäßig mit Zetteln | |
| im Briefkasten, wenn das Licht im Haus zu lange brennt oder man nachts in | |
| die Zimmer schauen kann. | |
| „Das sind alles vorgeschobene Gründe. In Wirklichkeit ertragen es die | |
| Menschen nicht, den Tod so nah vor der Haustür zu haben“, sagt Kuhn. „Sie | |
| haben Angst vor ihrem eigenen Tod und wollen den Gedanken so weit es geht | |
| wegschieben. Viele wissen gar nicht, was in einem Hospiz überhaupt | |
| passiert.“ | |
| Auch in Nordrhein-Westfalen klagen derzeit vier Anwohner gegen den Neubau | |
| eines Hospizes. „Ich habe doch Kinder und Enkel – an die muss man doch auch | |
| denken“, rechtfertigt sich einer der Kläger in der Lokalzeitung. Er habe | |
| grundsätzlich nichts gegen ein Hospiz, sagt der Rentner. „Aber doch nicht | |
| in einem gewachsenen Wohngebiet wie hier.“ | |
| ## „Da gehört das Hospiz hin“ | |
| Langenbek, der Ortsteil, in dem das Hospiz des DRK entstehen soll, ist auch | |
| so ein gewachsenes Wohngebiet. Eine typische deutsche Vorstadtsiedlung: | |
| Einfamilienhäuser aus rotem Backstein stehen dicht beieinander, abgegrenzt | |
| durch kniehohe Gartenzäune und Hecken. Dahinter: Weihnachtssterne und | |
| Lichter in den Fensterscheiben. | |
| „Genau da gehört das Hospiz hin“, sagt Pastorin Hella Lemke. Sie ist | |
| Hospizseelsorgerin und hat bis vor sieben Jahren in den Räumen gewohnt, in | |
| denen jetzt das Hospiz entsteht. „In einem Hospiz geht es nicht nur ums | |
| Sterben, sondern auch um Leben. Ein Hospiz, das mitten im Wohngebiet steht, | |
| macht auch architektonisch klar: Leben und Sterben gehören zusammen.“ | |
| Wenn Lemke aus ihrer Wohnung tritt, steht sie auf dem Kirchfriedhof. Sie | |
| kann verstehen, dass es Zeit braucht, sich daran zu gewöhnen, neben einem | |
| Haus zu wohnen, in dem Menschen sterben. „Aber ich finde es sehr traurig, | |
| dass die vergangenen eineinhalb Jahre nicht ausgereicht haben, damit sich | |
| die Nachbarn an das Hospiz gewöhnen.“ | |
| ## Bestatter fahren VW-Bus | |
| Eine Spielstraße führt direkt auf das Hospiz zu. Als es noch ein | |
| Gemeindezentrum war, kamen viele Menschen: Bibelstunde, Jugendgottesdienst | |
| oder die Seniorensportgruppe. Jetzt, wo das Gemeindezentrum weg ist, ist es | |
| ruhiger geworden. | |
| So wird es nicht bleiben, wenn das Hospiz erst einmal da ist, argumentiert | |
| das Ehepaar K. 150 Leichenwagen würden jährlich durch die Straße fahren, | |
| haben sie ausgerechnet. „Bei einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von | |
| 28 Tagen und 12 Gästen findet alle zwei bis drei Tage ein Wechsel statt“, | |
| steht in der Klageschrift. „Diese hohe Fluktuation übersteigt den Rahmen | |
| dessen, was in dem allgemeinen Wohngebiet verträglich ist.“ | |
| Harald Krüger zieht bei solchen Sätzen die Schultern hoch: „Wenn sich | |
| Anwohner vom Leichenwagen gestört fühlen, finden wir da eine Lösung. Die | |
| Leichen müssen ja nicht zur Frühstückszeit abtransportiert werden oder wenn | |
| die Kinder von der Schule kommen“, sagt er. Außerdem: „Leichenwagen | |
| erkennen Sie heute gar nicht mehr. Es gibt kaum noch Bestatter, die mit den | |
| klassischen Autos fahren. Die meisten fahren einen VW-Bus oder einen | |
| Kombi.“ | |
| Ein Jahr lang habe er die Anwohner zu überzeugen versucht. Einzelgespräche | |
| habe er geführt, ein Sommerfest organisiert. Mit Erfolg: Mittlerweile haben | |
| sich viele Nachbarn als Ehrenamtliche gemeldet, die vorlesen oder Sträucher | |
| einpflanzen wollen. In dem Raum, der einmal der Speisesaal für die | |
| Patienten werden soll, steht ein Regal voller Bücher und Spiele – Spenden | |
| von den Nachbarn. Eine Frau, die mit ihrem Hund am Hospiz vorbeispaziert, | |
| sagt: „Mein Vater ist im vergangenen Jahr gestorben. Ich wäre froh gewesen, | |
| wenn ein Hospiz in der Nähe gewesen wäre. Gut, dass hier nun eins | |
| eröffnet.“ | |
| Von all jenen, die das Hospiz verhindern wollten, ist nur noch das Ehepaar | |
| geblieben. Krüger steht im Treppenhaus des Hospizes und guckt auf das | |
| Nachbargrundstück: „Wir haben Briefe geschrieben, eine Mediation angeregt | |
| und angeboten, den Eheleuten andere Hospize zu zeigen. Nichts davon wollten | |
| sie.“ Einmal hat er die Ehefrau gesprochen, da habe sie gesagt, sie habe | |
| keine gute Erinnerung an ihren letzten Besuch in einem Hospiz. | |
| ## Die entscheidende Frage | |
| Wenn das Hamburger Verwaltungsgericht heute über die Klage gegen das Hospiz | |
| verhandelt, werden baurechtliche Vorgaben im Vordergrund stehen: Sind die | |
| 2,5 Meter Mindestabstand zwischen Grundstück und Hospiz gewahrt? Darf das | |
| Hospiz zwei oder nur ein Stockwerk haben? Ist die Hecke hoch genug? Dürfen | |
| dort zwölf oder acht Menschen gleichzeitig sterben? | |
| Das sind die formalen Punkte, auf die sich das Kläger-Ehepaar stützt. | |
| Eigentlich steht dahinter aber eine ganz andere Frage. Eine, die sich nicht | |
| mit Zahlen messen lässt: Wie viel Sterben verträgt die Vorstadt? | |
| 12 Dec 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Anne Fromm | |
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| Gabriele Goettle | |
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