# taz.de -- Historiker Kowalczuk über Union Berlin: Union ist Dankbarkeit | |
> Warum Trainer Urs Fischer mit dem 1. FC Union Berlin weiter | |
> Bundesligaspiele in Serie verlieren darf. Eine Liebesgeschichte. | |
Bild: Lichtgestalt: Niederlagen können den Wert von Urs Fischer für Union Ber… | |
Wer jetzt die Auswechslung von Urs Fischer herbeischreiben will, hat Union | |
nicht verstanden. Der 1. FC Union gehört zu meinem Leben. Ich bin in | |
Friedrichshagen aufgewachsen. Dort ist man von Geburt an Unioner. Als ich | |
nur ein Jahr nach der Union-Gründung zur Welt kam, war das eine | |
Selbstverständlichkeit. Bei mir um so mehr, da ich so fußballverrückt | |
aufwuchs, wie es sich kaum denken lässt. Mein Vater war damals eine kleine | |
Berliner Fußballberühmtheit. Zwar spielte er selbst nicht bei Union, aber | |
wie so viele legendäre Unioner ließ er seine Karriere bei der SG | |
Friedrichshagen ausklingen. | |
Auch ich spielte natürlich. Die Scouts von Union, die nicht so hießen in | |
den siebziger Jahren, nahmen an, wer so heißt wie der bekannte Stürmer, | |
müsste als Sohn mindestens genauso gut sein. Ich kam ins Trainingszentrum | |
von Union, mein Trainer war die Union-Legende Meinhard Uentz, maßgeblich | |
[1][am bislang einzigen Titel der Unioner, dem FDGB-Pokalsieg 1968,] | |
beteiligt. | |
Es nützte alles nichts. Ich hatte nicht das Format, um dort mitzuspielen. | |
Nach einem Jahr ging ich zu meinem Dorfverein Friedrichshagen – um eine | |
wichtige Erfahrung reicher zurück. Ich kam nicht als Verlierer zurück. Und | |
als Union-Spieler. Dazu muss man wissen, dass ich als Kind der Berliner | |
Mauer auch Hertha-Fan war, zumal ich die Hertha-Legende Hans „Gustav“ Eder | |
Mitte der siebziger Jahre privat kennenlernen konnte. Er gehörte zur | |
Familie eines meiner engsten Freunde am Müggelsee, kam sie dort besuchen | |
und brachte einmal sogar einen Ball mit, gegen den soeben noch Franz | |
Beckenbauer im Olympiastadion getreten hatte. | |
Was für eine Sensation für mich – Eder war nicht nur Interimstrainer. Nein, | |
er war auch 1950 mit Union Oberschöneweide in den Westteil der Stadt | |
gegangen, mit jenem Verein, der 1966 zur Keimzelle des heutigen Union | |
Berlin werden sollte. | |
## Mehr als nur Fußball | |
Natürlich blieb ich bis heute als Berliner auch Hertha-Fan, das können nur | |
Mauerkinder verstehen. Fansein bewährt sich in sportlich schlechteren | |
Tagen. Einen Sieg kann jeder feiern. In Stunden, in denen es nicht so rund | |
läuft, wie der Ball es gern hätte, zeigt sich, was das Fansein wert ist. | |
Wer Union-Fan ist, war es nie wegen irgendwelcher Siege. Unioner waren auch | |
in der DDR etwas Besonderes. Dort hieß, auch mit Blick auf den Stasi-Verein | |
BFC Dynamo: „Nicht alle Union-Fans sind Staatsfeinde. Aber jeder | |
Staatsfeind ist Union-Fan.“ Es ging beim Union-Fußball schon immer um mehr | |
als nur um Fußball. | |
In den letzten Jahren hat [2][die rasante Entwicklung] jeden Unioner in | |
Atem gehalten. Die Gemeinschaft der Unioner wuchs und wuchs. Nicht zum | |
Gefallen aller. An Karten ist kaum noch ranzukommen. Und nicht einmal das | |
Olympiastadion als Heimstätte ist mehr tabu. Aber fast alle Unioner haben | |
das in Kauf genommen. Sogar die Transfers vor Saisonbeginn sind überwiegend | |
unkommentiert hingenommen worden, obwohl doch offensichtlich war, dass | |
nicht jeder in das Team ohne Stars hineinpasst. | |
Das Vertrauen in die Vereinsführung und vor allem in Urs Fischer ist schier | |
grenzenlos. Von meinem Freund Olaf sagte mir einer seiner Söhne, ein Ultra, | |
Mitte letzte Saison: [3][Champions League wäre geil] und dann können wir | |
wieder absteigen, um wieder zu uns kommen zu können. Ich staunte. So hatte | |
ich das noch nie gesehen. Ich bin eher der Fußballtyp, für den das Ergebnis | |
dann eben doch wichtig ist. Mein Vater brachte es fertig, in den siebziger | |
Jahren, mit anderen Fußballern und mir bei uns zu Hause Uefa-Cup-Spiele auf | |
zwei TV-Geräten gleichzeitig zu schauen, allerdings tonlos, denn im Radio | |
lauschten wir der Übertragung eines dritten Spiels. | |
Es wäre albern, würde ich behaupten, ich wäre nicht an Ergebnissen | |
interessiert. Und doch hat mich der Ultra erinnert, dass Union eben doch | |
was anderes ist als nur Ergebnisse, als Merchandising, Kohle, Glanz und | |
Gloria. Union ist Tradition, Dankbarkeit, Gemeinschaft. | |
Und der Schweizer Urs Fischer hat dem gebeutelten Köpenicker Verein jene | |
Ruhe und Stabilität geschenkt, die Union bei allem Kult nur selten in der | |
über 50-jährigen Geschichte aufwies. Nun hat Union ein paar Spiele | |
hintereinander verloren. Na und? Vielleicht kommen noch ein paar hinzu. Na | |
und! Union ist keine Gelddruckmaschine, der sich als Fußballverein tarnt. | |
Es geht bei Union nicht nur um Fußball, es geht um mehr. Sollte Union | |
womöglich absteigen, sage ich laut: Na und! Union bleibt Union! Mit Urs | |
ging es an die Spitze. Mit ihm geht es notfalls auch runter. Der SC | |
Freiburg mit Christian Streich hat es 2015/16 vorgelebt, wie einfach es | |
ist, die angeblichen Marktgesetze zu ignorieren. Wer in Fußball mehr sieht | |
als ein Gezeter um Siege und Millionen, wird gar nicht auf die Idee kommen | |
können, Fußballuniongott Urs Fischer auszuwechseln. UNVEU! | |
3 Nov 2023 | |
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## AUTOREN | |
Ilko-Sascha Kowalczuk | |
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