# taz.de -- Krise bei Union Berlin: Biedermeier in Köpenick | |
> Der Ostverein Union Berlin hatte lange Zeit ein linkes Image. Nun wird | |
> klar: Auch dort geht's nur um Erfolg. Schwierig wird es, wenn der | |
> ausbleibt. | |
Bild: Alte Försterei, Berlin, 27.05.2019: Aufstieg feiern mit dem Rasen in der… | |
Union Berlin taumelt. Seit der Verein vor vier Jahren den Aufstieg in die | |
Fußball-Bundesliga der Männer schaffte, war jeder weitere Schritt eine | |
Erfolgsgeschichte. Der kleine Ostklub, der es allen zeigt, klug | |
wirtschaftet und sportlich immer wieder die Großen ärgert. Die | |
[1][Champions-League-Teilnahme] krönte diesen Lauf – doch auf dem Feld | |
läuft es gar nicht mehr rund. [2][Trainer Urs Fischer, der wie kein anderer | |
für Unions Erfolg und das positive Image als bodenständiger Verein stand, | |
ist Geschichte]. Und auch gesellschaftlich stellt sich Union zunehmend ins | |
Abseits. | |
Unions Aufstieg war mit einer Menge Emotionen verbunden. Denn im | |
Fußball-Oberhaus spielte damals nur ein einziger Verein aus den östlichen | |
Bundesländern: RB Leipzig, der nicht gerade für antikapitalistische | |
Fußballtradition steht. Das teils von Fans aufgebaute Stadion Alte | |
Försterei in Berlin-Köpenick trug dazu ebenso bei wie die Geschichten des | |
widerständigen, unangepassten Klubs zu DDR-Zeiten. All das machte den | |
Verein enorm sympathisch für alle, die mit dem durchkommerzialisierten | |
Geschäft der Bundesliga eigentlich fremdeln. Union wurde zum Gegenmodell | |
und damit auch zur Hoffnung vor allem linker Fußballfans. Die Köpenicker | |
avancierten zum FC St. Pauli des Ostens. Man sympathisierte mit dem | |
Underdog. | |
Präsident Dirk Zingler wies diese Lesart zuletzt vehement von sich. [3][Im | |
Gespräch mit der Zeit] lehnte er den Vergleich mit St. Pauli ab – vor allem | |
aufgrund der deutlich linken politischen Agenda der Hamburger: „Bei uns im | |
Stadion sollen die gesellschaftlichen Konflikte nicht im Mittelpunkt | |
stehen, die Menschen können sich in ihrer Unterschiedlichkeit begegnen.“ | |
Im Herbst vergangenen Jahres wurde bereits deutlich, was er damit meint. | |
Damals besuchte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán Berlin und tauchte | |
auch an der Alten Försterei auf. Dort traf er den ungarischen | |
Nationalspieler András Schäfer, der für ihn, medienwirksam inszeniert, ein | |
Trikot signierte. Das Echo bei Fans und Medien war einhelliges | |
Unverständnis. Wie kann es sein, dass ein Klub, der sportlich gegen den | |
Ausverkauf des Fußballs antritt, ausgerechnet einen Rechtsaußen-Politiker | |
hofiert? | |
Eine Antwort auf diese Frage liegt in der Diskrepanz zwischen | |
Selbstverständnis und Außenwahrnehmung. Im Oktober 2022 wurde erstmals | |
offen sichtbar, dass Union nie den Anspruch hatte, linke Werte zu | |
vertreten. Auch mit dem Image als Underdog kann man in Köpenick wohl nicht | |
allzu viel anfangen. „Alles in diesem Club ist darauf ausgerichtet, so | |
höchstklassig und erfolgreich wie möglich Fußball zu spielen“, beschrieb | |
Präsident Dirk Zingler die Ziele des Vereins in dem Interview. | |
Am Image des St. Paulis des Ostens ist also tatsächlich wenig dran. Union | |
Berlin und seine Fans prägte stets das Gefühl, ein rein sportlicher | |
Außenseiter zu sein. Einen 2:1-Sieg über den FC Bayern München im Jahr 2002 | |
feiern die „Weltpokalsiegerbesieger“ bis heute wie eine Meisterschaft. | |
Natürlich wohnt Gewinnenwollen dem Sport inne, aber bei St. Pauli stand der | |
Tabellenplatz immer eher im Hintergrund. | |
Nun müssen sich sportliche und politische Ambitionen keineswegs | |
ausschließen. Doch wenn vonseiten der Fans eine Haltung erwartet wird, die | |
gar nicht vorhanden ist, ist das Enttäuschungspotenzial groß. „Union steht | |
aber nicht für eine bestimmte politische Richtung. Wir sind humanistischen | |
Grundwerten verpflichtet“, so Zingler. Wenn im Stadion zwei Menschen, die | |
sonst im Leben wenig verbinde, nebeneinanderstehen und denselben Klub | |
anfeuern würden, sei das etwas Richtiges. | |
## Orbán bei Union | |
Hier wird eine nicht ungefährliche Verortung im Unpolitischen deutlich, die | |
auch den Orbán-Eklat erklären kann. Sich selbst und das eigene Handeln als | |
unpolitisch zu benennen klingt im ersten Moment wie eine einfache Sache. | |
Man zieht sich gänzlich raus und agiert als vermeinlich neutrale Bühne. Als | |
solche kann man dann auch einen Regierungschef empfangen, der im eigenen | |
Land Menschenrechte massiv einschränkt. Der FC Union sah sich bei diesem | |
Termin offenbar nur als bloßer Ort an, an dem ein privates Treffen | |
stattfand. | |
Doch spätestens bei einem Gast wie Orbán funktioniert diese Strategie nicht | |
mehr. Ohnehin mutete es kurios an, den Besuch eines Regierungschefs als | |
unpolitisch zu bewerten. Denn der schlachtet jeden Auftritt politisch aus, | |
um seinen Wählern zu Hause zu beweisen, dass seine Politik erfolgreich sei. | |
Internationale Anerkennung wie ein Besuch bei einem populären | |
Bundesligisten zahlt besonders stark auf dieses Konto ein. Es entstehen | |
Bilder, die kein Statement und kein Selbstbild der Unioner wieder einfangen | |
kann. | |
Außerdem beschneidet die vermeintlich unpolitische Selbstbehauptung das | |
eigene Handeln fast immer auf der linken Seite. Der Kampf gegen den | |
Rechtsextremismus sei wichtig, habe allerdings im Stadion keinen Platz, | |
findet Zingler. Ein Viktor Orbán darf dort hingegen schon stattfinden, | |
inklusive allem, wofür er in Ungarn und Europa steht: Einschränkung der | |
Meinungs- und Pressefreiheit, Unterdrückung von Minderheiten, Missachtung | |
der Menschenrechte. Unpolitisch – das bedeutet vor allem, sich | |
herauszuhalten, wo es eigentlich darum ginge, aktiv zu werden. | |
## Underdog-Ticket passé | |
Doch was bleibt von [4][Union Berlin], wenn das Image der linken | |
Bundesliga-Rebellen wegfällt? Immer noch ein Verein, der mit einem ziemlich | |
kleinen Budget ziemlich hoch hinaus will. Der aber auch mehr und mehr an | |
seinen Erfolgen gemessen wird. Aber die bleiben aus: Die Niederlagen in der | |
Champions League könnte man locker abstreifen – wenn man denn das | |
Selbstverständnis hätte, da eher so hineingeraten zu sein. | |
In den ersten vier Bundesliga-Jahren fuhr Union sehr gut auf dem | |
Underdog-Ticket. Jetzt wird klar, dass so ein Image in großem Maße abseits | |
des Platzes hergestellt wird. Und nebenbei auch, wie viel es auf dem Platz | |
ausmacht. | |
17 Nov 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Union-Berlin-in-der-Champions-League/!5968111 | |
[2] /Union-Berlin-trennt-sich-von-Urs-Fischer/!5969768 | |
[3] https://www.zeit.de/2023/41/dirk-zingler-fc-union-berlin | |
[4] /Union-Berlin/!t5010664 | |
## AUTOREN | |
Henning Schneider | |
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