# taz.de -- Hinterbliebenen-Vertreter über Sklaverei: „Entschuldigungen sind… | |
> Die Niederlande wollen sich für die Verbrechen der Kolonialzeit | |
> entschuldigen. Der Vertreter der Hinterbliebenen in Surinam kritisiert | |
> den Zeitpunkt. | |
Bild: Einst Kolonie der Niederlande: Paramaribo, Hauptstadt der Republik Surinam | |
taz: Meneer Groenberg, Ihre Stiftung Eer en Herstel wollte die offizielle | |
Entschuldigung der Niederlande für die Versklavung von Menschen in der | |
Kolonialzeit im letzten Moment verhindern. Warum denn das? | |
Roy Kaikusi Groenberg: Wir sind nicht prinzipiell gegen Entschuldigungen, | |
sondern dagegen, wie diese Sache abläuft. Wenn man sich entschuldigt für | |
etwas so Wichtiges, sollte man das auch auf die richtige Art tun. Ich | |
erinnere mich, als 1995 der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl in die | |
Niederlande kam, um sich für das, was im Zweiten Weltkrieg geschehen war, | |
zu entschuldigen. Das hat die Niederländer nicht direkt überzeugt, aber es | |
hinterließ ein Gefühl von: Dies ist ernst gemeint. Entschuldigungen sind | |
etwas, das Frieden und Ruhe bringt, sodass ein neuer Tag anbrechen und wir | |
zusammen weitermachen können. | |
Und das sehen Sie in diesem aktuellen Fall nicht? | |
In diesem Fall sind sie unvorbereitet und ohne Rücksprache. Manche mögen es | |
merkwürdig finden, dass man diesen Schritt in Rücksprache unternimmt. Aber | |
Kohl tat dies auch nicht auf irgendeinem Platz in Deutschland, sondern kam | |
dafür in die Niederlande. Als Nachfahren sagen wir: Es ist eine so | |
bedeutende Sache, auch spirituell wichtig für uns, dass es besser ist, wenn | |
ihr das gemeinsam mit uns angeht. Und dann ist es auch zu 100 Prozent | |
sicher, dass eine Entschuldigung angenommen wird. | |
Es geht in diesem Fall auch um das Datum. | |
Das liegt daran, dass am 1. Juli 1863 die Sklaverei abgeschafft wurde. Am | |
selben Tag bekamen die Menschen zu hören, dass sie noch weitere zehn Jahre | |
gezwungen würden, auf den Plantagen zu arbeiten. Erst am 1. Juli 1873 | |
wurden sie frei. Schon seit 160 Jahren wird am 1. Juli der Abschaffung der | |
Sklaverei gedacht. Die Abschaffung geschah unter Regie von König Willem | |
III. Warum soll die Entschuldigung [1][dann nun nicht am 1. Juli] vom König | |
ausgesprochen werden? Jetzt sind wir nicht vorbereitet. Am 19. Dezember | |
fragen sich die Leute in Surinam, was sie zu Weihnachten essen werden. | |
Wie ist es Ihrer Meinung nach in den Niederlanden um das Wissen über die | |
Sklaverei bestellt? | |
Sehr schlecht. Darum sagte der Premier ja, man wolle einen Betrag [2][von | |
200 Millionen Euro zur Verfügung stellen], um die niederländische | |
Gesellschaft besser zu informieren. Das ist sehr wichtig, denn viele denken | |
jetzt, wir hätten etwas gegen das niederländische Volk, gegen die | |
Gesellschaft. Das ist nicht wahr. Es geht um die Rechtsnachfolge in Bezug | |
auf diejenigen Menschen, die damals in Surinam die Sklaverei betrieben | |
haben: die Westindien-Kompanie, die königliche Familie, die niederländische | |
Regierung, die Banken. Es geht nicht um die gewöhnlichen Leute – die wissen | |
oft nicht einmal, was damals los war. Und bei denen entsteht nun der | |
Eindruck, dass die Nachkommen der Versklavten sich in ihrer Opferrolle | |
inszenieren und am Ende auch noch Geld haben wollen. Ganz so, als ginge es | |
um ein Komplott, um den niederländischen Staat zu betrügen. Das tut weh. | |
Aber es gab doch die letzten Jahre eine Art Bewusstseinswandel? | |
Verglichen mit der Situation vor 25, 30 Jahren ist einiges geschehen: Man | |
hat Monumente errichtet, mehr Menschen beschäftigen sich mit dem Thema | |
Sklaverei, viele Menschen sind sich dessen bewusster geworden. Es gibt auch | |
mehr Solidarität von weißen Niederländern. Aber gerade in diesem wichtigen | |
Moment, in dem man den nächsten Schritt setzt in Richtung Reparationen und | |
Wiedergutmachung, wird beinahe alles, was man erreicht hat, was man | |
vorbereitet hat, einfach weggeworfen. Nur, weil eine Regierung diesen | |
Schritt so setzen will, wie sie darüber denkt. Das geht nicht! | |
Entschuldigungen sind keine Privatangelegenheit, sondern eine | |
Staatsangelegenheit, bei der man gemeinsam mit den Nachkommen der Opfer | |
vorgeht. | |
19 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/aktuelles/archiv/2021/0107_Keti_… | |
[2] https://www.volksstimme.de/deutschland-und-welt/politik/holland-ringt-um-en… | |
## AUTOREN | |
Tobias Müller | |
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