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# taz.de -- Hinter den Kulissen der „Tagesschau“: Flaggschiff in Schieflage
> Das Vertrauen der Deutschen in Medien sinkt. Die „Tagesschau“ ist Teil
> des Problems, will es aber nicht wahrhaben. Unser Autor hat dort
> gearbeitet.
Bild: Ein Bild, wie es viele kennen: Die „Tagesschau“, hier mit Susanne Dau…
Berlin taz | Die [1][„Tagesschau“] bleibt das Flaggschiff des
öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Auch 2024 schauten im Schnitt um 20 Uhr
über 9,5 Millionen Menschen zu – das sind über 40 Prozent Marktanteil. Auf
Youtube, Tiktok oder X steigerte die „Tagesschau“ ihre Followerzahlen bis
zu 17 Prozent. Der Instagram-Kanal ist mit durchschnittlich fast 28
Millionen Interaktionen pro Monat der meistfrequentierte. Und so jubelt
„Tagesschau“-Chefredakteur Marcus Bornheim: „Wir freuen uns, dass wir für
alle Menschen in Deutschland die Nachrichtenmarke Nummer 1 sind.“
Aber bedeutet Interesse automatisch Zustimmung? Unzweifelhaft bestimmt die
„Tagesschau“ den politischen Diskurs in Deutschland mit. Als politisch
Interessierter kommt man nur schwer an ihr vorbei. NDR-Intendant Joachim
Knuth hält das für einen „schönen Vertrauensbeweis“ der Zuschauer und lo…
die „gleichbleibend hohe journalistische Qualität“ der „Tagesschau“.
Allerdings [2][sinkt das Vertrauen der Deutschen in Medien]. Zunehmend sind
Menschen nachrichtenmüde oder meiden Nachrichten. Studien wie der „Reuters
News Report“ belegen das. Die führende Nachrichtenquelle ist Teil des
Problems. Aus vielen Gesprächen weiß ich: Die Unzufriedenheit ist groß.
Genauso geht es etlichen Redakteuren der „Tagesschau“. Sie sehen die
eigenen Produkte kritisch, hadern mit Arbeitsbedingungen und Strukturen.
Nur sagen sie das nicht öffentlich. Sie wollen ihre gut bezahlten und
sicheren Jobs nicht gefährden. Und haben Angst vor dem Beifall von der
falschen Seite. Denn immer mehr Menschen wollen ARD & Co. nicht
[3][reformieren], sondern abschaffen. Das führt zu einer
Wagenburgmentalität innerhalb des Systems. Und behindert notwendige
Diskussionen.
Woher ich das weiß? Ich habe 21 Jahre für die ARD gearbeitet. Zuletzt sechs
Jahre bei der „Tagesschau“. Hier einige Punkte, die mir dabei aufgefallen
sind:
## Terminjournalismus
Parteitage, Wahlen, Pressekonferenzen, Gipfeltreffen oder
Bundestagssitzungen sind Klassiker der „Tagesschau“. Themen ohne Einladung
finden dagegen oft nicht statt. So entgehen den Zuschauern wichtige
gesellschaftliche Debatten. Glauben Sie nicht? Dann suchen Sie mal den
Beitrag [4][„Laschet lacht“] im Archiv. Den Wendepunkt im Kampf um die
Kanzlerschaft 2021 hat die Redaktion leider verpennt. Auch einen
„Tagesschau“-Beitrag über die Wahlkampfpannen der Grünen-Kandidatin
Baerbock werden Sie nicht finden.
## Gleiche Herkunft
Redakteure der „Tagesschau“ haben fast alle studiert und sind westdeutsch
sozialisiert. Frauen sind nicht gleichberechtigt in den Leitungspositionen
vertreten. Migranten, Ostdeutsche, Menschen mit Behinderung oder Kinder
ärmerer Elternhäuser [5][sind unterrepräsentiert]. Dies wirkt sich auf die
Auswahl der Themen aus. Genauso auf die Art, wie die Nachrichten erzählt
werden.
## Unbekannte Chefs
Die Chefredaktion hat nur einen begrenzten Einfluss auf das Programm. Das
wird in erster Linie durch die Chefs vom Dienst bestimmt. Dieser Kreis von
etwa zehn Redakteuren wird nach einem undurchsichtigen Verfahren bestimmt.
Man kann sich nicht darauf bewerben. Während jeder Chefredakteur einer
kleinen Regionalzeitung mit Gesicht und Namen für sein Produkt steht,
bleiben die Entscheider der „Tagesschau“ ihren Zuschauern unbekannt und
müssen sich nie öffentlich verantworten.
## Regierungsnah
Vertreter der Regierung kommen in der „Tagesschau“ überproportional oft zu
Wort. Nur ausnahmsweise werden ihre Aussagen eingeordnet. Sprecher der
Opposition kommen selten zu Wort. Das belegen sowohl eine Studie der Uni
Mainz als auch meine eigenen Auswertungen. So entsteht das Bild einer
Sendung auf Regierungslinie. Dies hat auch mit dem Einfluss des
ARD-Hauptstadtstudios zu tun. Manchmal bestücken dessen Redakteure ganze
Sendungen. Sie pflegen enge Beziehungen zu Akteuren im politischen Berlin.
Ihnen fehlt häufig die kritische Distanz.
## Wetter statt Klima
Die Erderwärmung halten die „Tagesschau“-Macher für ausreichend berichtet.
Man wolle nicht langweilen. Dafür werden gern Naturkatastrophen gesendet:
Tornados, Lawinen, Blitzeis und Stürme schaffen es oft in die Sendung. Denn
sie liefern beeindruckende Bilder. Doch sind die Ereignisse meist
austauschbar. Was dagegen fehlt, sind Einordnungen: Brennt es derzeit
häufiger, und gibt es mehr Überflutungen? Wie können sich Städte vor Hitze
schützen, und was hilft gegen Waldbrände?
## Kurzatmigkeit
Der Nachrichtentakt schlägt immer schneller. Leider produziert die
„Tagesschau“ dabei auch Falschmeldungen, weil den Redakteuren keine Zeit
mehr zur Faktenprüfung gegeben wird. So fiel sie auf das Satiremagazin
Titanic herein und vermeldete das Ende der Koalitionsgemeinschaft von CDU
und CSU. Die „Tagesthemen“ widmeten sich 23 Minuten lang dem Rücktritt von
CSU-Chef Seehofer – der aber gar nicht zurückgetreten war. Stundenlang
berichtete „Tagesschau 24“ über einen Amoklauf an einer Hamburger Schule,
der sich als Drohung mit einer Spielzeugpistole von Dreizehnjährigen
entpuppte.
## Boulevardisierung
Der Sport ist auf dem Vormarsch. Selbst eine U21-WM, Freundschaftsspiele
oder ein Bobweltcup sind der „Tagesschau“ Beiträge wert.
Männer-Bundesligaspiele sind Pflicht – sogar Kiel gegen Bochum. Dazu gibt
es die Tabelle, auch wenn sie an Spieltag zwei keine Aussagekraft hat.
Politisch relevante Nachrichten fallen dafür unter den Tisch. Auch
zugunsten [6][der Royals]. Hochzeiten, Todesfälle und Geburten nehmen
breiten Raum ein. Sogar Krankheiten der Frau des Thronfolgers oder das Buch
eines Ex-Prinzen erscheinen berichtenswert. Und wozu? Die Quote ist selbst
bei der „Tagesschau“ inzwischen heilig – jeden Morgen werden in der
Konferenz als Erstes die Zahlen verlesen.
## Expertenunwesen
In vielen Beiträgen und Gesprächen tauchen Experten auf. Doch ihre Auswahl
beruht weniger auf ihrer Expertise als auf Erreichbarkeit, Prominenz oder
Einfluss. Die Organisationen, bei denen sie angestellt sind, werden selten
eingeordnet. So ist die Stiftung Wissenschaft und Politik ein Dauergast.
Dass ihre Akteure oft gleichzeitig die Bundesregierung beraten, bleibt
meist unerwähnt. Zudem werden Experten, die Meinungen vertreten, die den
Ansichten der Redakteure widersprechen, nicht mehr eingeladen.
## Wording und Framing
Die Sprache der „Tagesschau“ ist nicht neutral. Bolsonaro, der Ex-Präsident
Brasiliens, wurde oft als „rechtsextrem“ bezeichnet, sein Nachfolger Lula
da Silva als „links“, was sehr unkonkret ist. Venezuelas linksextremer
Präsident Maduro dagegen ist ein „Machthaber“. Bei Italiens
Regierungschefin Meloni wird auf den Zusatz postfaschistisch verzichtet.
Die FPÖ bekommt dagegen oft ein „rechtspopulistisch“ umgehängt, und ihr
Chef Kickl ein „rechtsnational“, manchmal muss es auch ein „rechts“ tun,
oder die FPÖ wird als „in Teilen rechtsextrem“ bezeichnet wie sonst die
AfD. Besser wäre, solche unpräzisen Bezeichnungen in den Nachrichten ganz
wegzulassen. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist ein „Angriffskrieg“,
gern auch „brutal“ oder „verbrecherisch“. Sind Kriege das nicht immer?
Weniger wäre mehr. Eine sachliche Sprache angemessener. Die Mehrheit der
Staaten wird undemokratisch regiert. Manchen Präsidenten als Machthaber
oder Diktator zu bezeichnen, andern dagegen nicht, wirkt willkürlich.
## Seichtes Social
Nicht überall, wo „Tagesschau“ draufsteht, sind noch nüchterne politische
Informationen drin. Auf Tiktok, Facebook und Whatsapp kapern seichte
Unterhaltung und bunte Bildchen die Marke. Hier Beispiele des
Instagram-Kanals: Männershorts mit Spitze in Japan, ein Eisfestival in
China, 45 Tannen für Elefanten im Zoo Berlin, ein Kreisliga-Team, in dem
fast alle Spieler Kurtanovic heißen, ein Marathon in der Antarktis und: Wie
schnell muss der Weihnachtsmann sein?
23 Jan 2025
## LINKS
[1] /Tagesschau/!t5010084
[2] /Journalismus-und-Glaubwuerdigkeit/!5534014
[3] /Oeffentlich-rechtlicher-Rundfunk/!5884228
[4] /PolitikerInnen-im-Fluteinsatz/!5781625
[5] /Mangelnde-Diversitaet-in-deutschen-Medien/!5913880
[6] /Royals/!t5044327
## AUTOREN
Alexander Teske
## TAGS
Medienkritik
Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk
Tagesschau
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klimataz
NDR
Konstruktiver Journalismus
Social Media
Kolumne Flimmern und Rauschen
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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